Beitritt in greifbarer Nähe

Der Prozess der Erweiterung der Nato um Finnland und Schweden schreitet voran

  • Robert Stark, Helsinki
  • Lesedauer: 4 Min.

Es war eine ereignisreiche Woche für die Norderweiterung der Nato: Zunächst reiste am Dienstag Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach Stockholm. Dort informierte er die Spitzen der schwedischen Parteien, die einen Nato-Beitritt befürworten, über den weiteren Prozess. Schwedische Linke und Grüne waren, als erklärte Gegner des Beitritts, also zu dem Treffen nicht eingeladen. Am Mittwoch fand in Stockholm das Treffen der EU-Verteidigungsminister*innen statt, im Mittelpunkt standen Produktionserhöhungen für Artilleriemunition für die Ukraine.

Schweden hatte das Treffen als Gastgeber organisiert, da es momentan den Vorsitz des Rats der EU innehat. Dienstag und Mittwoch besuchte eine Delegation des ungarischen Parlaments Stockholm und Helsinki. Dabei sollten letzte Zweifel innerhalb von Viktor Orbáns Fidesz-Partei ausgeräumt werden. Welcher Gestalt diese sind, blieb unklar. Ein Delegationsmitglied ließ sich vom schwedischen Fernsehen SVT mit dem Kommentar zitieren: »Wir wollen Respekt, sowohl Schweden als auch Finnland haben Ungarn wegen seiner mangelnden Rechtsstaatlichkeit kritisiert.« Der Sprecher des ungarischen Parlaments Csaba Hende versicherte jedenfalls, dass der Nato-Beitritt noch in den kommenden Wochen ratifiziert werde.

Bereits in der vergangenen Woche stellte Finnlands Legislative die Weichen für einen Nato-Betritt: Das Parlament in Helsinki hatte den Beitritt mit 184 zu 7 Stimmen angenommen. Rechtlich ist Finnland nach der Unterschrift von Staatspräsident Sauli Niinistö nun bereit für einen Beitritt zum Nordatlantikpakt. In Schweden wird dem Reichstag noch im März die Gesetzesvorlage zur Abstimmung vorlegt, was allerdings eher eine Formsache werden wird. Die Blicke richten sich zunehmend auf die Türkei und Ungarn.

Am Donnerstag trafen türkische, schwedische und finnische Diplomat*innen zu trilateralen Gesprächen im Nato-Hauptquartier in Brüssel zusammen. Die Nato hatte keine Pressekonferenz nach den Gesprächen angesetzt. Die Türkei hatte die Beitrittsgespräche im Januar ausgesetzt, nachdem ein Rechtsradikaler vor der türkischen Botschaft in Stockholm eine Koranausgabe verbrannt hatte. Auf einer prokurdischen Demonstration wurde auch eine klar als Recep Tayyip Erdoğan erkennbare Puppe im Stockholmer Zentrum erhängt.

In Helsinki hingegen kam es nach dem Abbrennen von einem Erdoğan-Bild vor der türkischen Botschaft zu recht grundsätzlichen Diskussionen um die Grenzen von Meinungsfreiheit. Die Helsinkier Polizei hatte vier Protestierende nach der Aktion festgenommen und Ermittlungen wegen Beleidigung eingeleitet. Schon im letzten Dezember hatte die Polizei mit recht eigenwilligen Argumentationen Fahnen kurdischer Organisationen verboten. Auch die schwedische Polizei hatte nach den Vorfällen vom Januar weitere öffentliche Koranverbrennungen untersagt. Die nordischen Länder versuchen, den Forderungen aus Ankara entgegenzukommen, um die türkische Blockadehaltung aufzuweichen.

Die Nato proklamiert eine Politik der offenen Tür

Im trilateralen Memorandum vom Juni 2022 hatten sich Finnland und Schweden beispielsweise verpflichtet, die syrisch-kurdische Miliz YPG nicht mehr zu unterstützen und Waffenexportverbote in die Türkei aufzuheben. Der ehemalige, langjährige schwedische Außenminister und heutige Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Peter Hultqvist erklärte im Interview mit der finnischen Zeitung Helsingin Sanomat: »Finnland und Schweden haben alles getan, was von uns verlangt wurde. Die Nato proklamiert eine Politik der offenen Tür, und sie muss nun zeigen, dass diese Politik noch gültig ist.« Die schwedische Regierung unter dem konservativen Ministerpräsident Ulf Kristersson präsentierte dem Parlament in Stockholm noch am Donnerstag eine neue Anti-Terrorgesetzgebung.

Finnlands Präsident Sauli Niinistö unternahm derweil eine fünftägige Reise durch die USA. Als erster ausländischer Staatschef überhaupt sprach er vor dem Parlament des Staates Washington, traf auf Gouverneur*innen, Senator*innen und besuchte die Naval Station Norfolk, Virginia, die als größte Marinebasis der Welt gilt.

Finnland ist an einem Ausbau seiner Marinefähigkeiten interessiert, denn eine Versorgung über die Ostsee ist für Finnland von elementarer Bedeutung. Auch wollen Schweden und Finnland noch in diesem Jahr eine gemeinsame, binationale Marinebrigade aufstellen.

Der finnische Thinktank Ulkopoliittinen instituutti (Außenpolitisches Institut) analysiert in seinem Strategiepapier »Finnland als Nato-Verbündeter«, dass sich das Gravitationszentrum der Nato mit dem Beitritt Schwedens und Finnlands weiter nach Nordosten verschieben werde. »Die Art und Weise, in der Finnland in die Nato integriert wird, wird einen signifikanten Einfluss darauf haben, wie sich Abschreckung und Defensivhaltung der Nato gegenüber Russland entwickeln«, so das Institut.

Indes ist die systemische Integration der beiden nordischen Länder in die Strukturen der Nato bereits im Gange. In den Hauptstädten der Nato-Länder findet bis zum 15. März die Krisenmanagementübung »CMX 2023« statt, in der Entscheidungsprozesse und Konsultationen innerhalb der politisch-militärischen Führung trainiert werden. Finnland und Schweden sind erstmals in ihrer Rolle als Bewerber mit dabei.

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