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Der Bundestag soll schrumpfen

Union und Linke kritisieren die von der Koalition vorgelegte Wahlrechtsreform als undemokratisch

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Politiker der rot-grün-gelben Bundesregierung haben am Montag die von ihnen geplante Wahlrechtsreform verteidigt. Demnach soll der Bundestag bis Ende der Woche beschließen, dass das Parlament auf dauerhaft 630 Abgeordnete nach der nächsten Wahl 2025 schrumpfen wird.

»Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf beenden wir das jahrelange Ringen«, erklärte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann. »Mit der Reform setzen wir den Grundcharakter unseres Wahlsystems, das Verhältniswahlrecht, konsequent um. Es ist an der Zeit und lange überfällig, nach vielen Jahren der Auseinandersetzung endlich die Kraft zu finden, diese dringend nötige Reform an uns selbst vorzunehmen.«

Anstoß für die Debatte um eine Reform war, dass die Mitgliederzahl des Bundestags zuletzt immer weiter gewachsen war. Kritisiert wurden etwa die dadurch entstehenden Kosten. Nach der Wahl 2013 saßen noch 631 Abgeordnete im Parlament. 2017 waren es 709. Vier Jahre später wuchs der Bundestag auf die Rekordgröße von 736 Abgeordneten.

Ursache hierfür ist das Wahlsystem mit zwei Stimmen. Mit der ersten kann man einen Abgeordneten in seinem Wahlkreis direkt wählen. Aus den Zweitstimmen berechnet sich der Anteil der Sitze, den eine Partei im Bundestag insgesamt bekommt.

Erringt eine Partei über die Zweitstimme weniger Sitze, als sie über die Erststimme Wahlkreise gewinnt, bekommt sie Überhangmandate zugesprochen. Die anderen Parteien erhalten dann Ausgleichsmandate. Deswegen ist das Parlament über die Soll-Größe von 598 Abgeordneten hinaus gewachsen.

Überhang- und Ausgleichsmandate sollen nach dem Willen der Koalition wegfallen. Die Zahl der Wahlkreise bleibt bei 299. Es werden nicht, wie ursprünglich vorgesehen, doppelt so viele Mandate vergeben, sondern 32 mehr. Das soll bewirken, dass die Zahl der Abgeordneten, die einen Wahlkreis über die Erststimmen gewinnen und trotzdem nicht in den Bundestag kommen, möglichst klein bleibt.

In den vergangenen Wochen seien viele Gespräche auch mit den anderen demokratischen Fraktionen geführt und Änderungen am ursprünglichen Reformvorschlag vorgenommen worden, erklärte Haßelmann. Nun stünden die abschließenden Beratungen an und die Koalition werde bei allen demokratischen Fraktionen um Zustimmung werben. Damit waren Union und Linke, nicht aber die AfD gemeint.

Die von Haßelmann angekündigten Gespräche dürften schwierig werden. Denn die Opposition kritisierte das Vorhaben scharf. Die Spitze der Unionsfraktion kündigte an, sie werde die Pläne ablehnen. Das erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Abgeordneten im Bundestag, Thorsten Frei (CDU), am Montag vor Sitzungen der Spitzengremien seiner Partei in Berlin. Die Konservativen halten sich auch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe offen. Wenn das Gesetz vorliege, werde die Union »auf dieser Grundlage prüfen, ob wir eine abstrakte Normenkontrolle anstrengen werden«, kündigte Frei an.

Verfassungspolitisch sei das Gesetz abzulehnen. »Verfassungsrechtlich halten wir den Vorschlag für hochproblematisch«, weil er dazu führe, dass gewonnene Direktmandate nicht zugeteilt würden, so der Parlamentarische Geschäftsführer. Dies werde insbesondere in städtischen Regionen und im Osten, »wo wir sehr stark umkämpfte Wahlkreise haben, dazu führen, dass es verwaiste Wahlkreise gibt und diese Regionen dann nicht direkt im Bundestag vertreten sind«.

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer warf dem Bündnis aus SPD, Grünen und FDP vor, »die Axt an die Wurzeln der Demokratie« anzulegen. Der Vorschlag sei unfair und undemokratisch. Niemand werde verstehen, wenn künftig ein Kandidat zwar seinen Wahlkreis gewinne, dann aber am Einzug in den Bundestag gehindert werde. »Das wird die Politikverdrossenheit weiter stärken«, prognostizierte Kretschmer, der auch stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU ist. Mit Blick auf eine mögliche Klage vor dem Bundesverfassungsgericht teilte der Ministerpräsident mit: »Ich verstehe nicht, warum die Kommentare alle so zurückhaltend sind.« Der Sachse hofft, dass es Klagen geben werde, »damit die Richter feststellen können, ob das alles mit Recht und Gesetz vereinbar ist«.

Auch die Linkspartei ist mit dem Reformplan unzufrieden. Denn sie könnte dadurch existenziell bedroht werden. SPD, Grüne und FDP wollen nämlich die sogenannte Grundmandatsklausel streichen. Die Klausel sorgt dafür, dass auch Parteien ins Parlament einziehen können, die weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen erhalten. Sie müssen dafür drei Direktmandate über die Erststimmen gewinnen.

Ohne diese Regelung wäre die Linke zurzeit nicht in Fraktionsstärke im Parlament vertreten. Sie stellt derzeit 39 Abgeordnete im Bundestag, obwohl sie bei der Wahl 2021 nur 4,9 Prozent der Zweitstimmen erreichte. Das hat sie ihren drei direkt gewählten Parlamentariern zu verdanken. Gregor Gysi und Gesine Lötzsch in Berlin sowie Sören Pellmann in Leipzig verteidigten ihre Direktmandate.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte, wertete die angestrebte Reform als gezielten Angriff auf seine Fraktion. »Mit der Streichung der demokratisch sinnvollen Grundmandatsklausel erfüllen die Ampelparteien der AfD einen großen Wunsch – die Verdrängung der Linken aus dem Bundestag«, kritisierte Korte. Seine Parteichefin Janine Wissler geht von einer Verfassungsklage aus.

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