Rentenreform passiert Senat

Streiks und Proteste gehen in Frankreich weiter

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Siebter Streik- und Aktionstag gegen die Rentenreform in Paris
Siebter Streik- und Aktionstag gegen die Rentenreform in Paris

Die von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und seiner Regierung geplante Rentenreform schwenkt in dieser Woche auf die Zielgerade ein, doch der Kampf gegen das Vorhaben geht weiter. Mehr als eine Million Menschen haben am vergangenen Samstag am inzwischen siebten Streik- und Aktionstag gegen die Reform an landesweit 230 Demonstrationen teilgenommen. Der nächste Aktionstag findet am Mittwoch statt. Zumindest bis zu diesem Termin sollen viele der seit Tagen anhaltenden Streiks weitergehen. Beim Bahnunternehmen SNCF und vielen städtischen Verkehrsbetrieben, in der Energiewirtschaft und in den Raffinerien, in Seehäfen und Flüssiggasterminals sowie bei vielen Kommunalbetrieben und der Müllabfuhr kam es zu Arbeitsniederlegungen.

Angesichts der verhärteten Haltung der Regierung, die die von zwei Dritteln der Französ*innen abgelehnte Reform um jeden Preis durchdrücken will, wird die Frustration unter den Protestierenden immer größer. Besonders empört reagieren viele darauf, dass sich Macron weigerte, die Gewerkschaften zu empfangen, die ihm ihre Positionen vortragen wollten. Der Präsident verwies dabei darauf, dass er »die Institutionen respektiere« und dass jetzt das Parlament mit der Reform befasst sei. Anfang des Jahres hatte er die Vorsitzenden der großen Parteien und Gewerkschaften noch in den Elyséepalast eingeladen, um ihnen seine Beweggründe für die Rentenreform darzulegen.

Außerdem wurde das Parlament, hinter dem sich der Präsident nun verschanzt, gerade erst von der Regierung Macron in seinen Möglichkeiten beschnitten, indem »zur Beschleunigung der Debatte« angesichts der vielen Änderungsanträge auf Artikel 44.3 der Verfassung zurückgegriffen wurde. Dieser erlaubt eine einmalige »Blockabstimmung« über alle Artikel eines Gesetzentwurfs, während sonst nach der Debatte zu jedem einzelnen Gesetzesartikel separat über diesen abgestimmt wird.

Linke Senatsmitglieder kritisierten dies als »undemokratischen Taschenspielertrick« und »Affront gegenüber den zwei Dritteln der Französ*innen, die die Reform ablehnen und von denen viele auf die Straße gehen«. Doch da Republikaner, eine rechte Oppositionspartei, dieses Manöver des Regierungslagers unterstützten, kam es am Samstagabend tatsächlich zu einer solchen Blockabstimmung, bei der das Gesetz erwartungsgemäß die nötige Mehrheit erhielt.

Da vor zwei Wochen in der Nationalversammlung keine Abstimmung über das Gesetz zustande gekommen war, muss sich am kommenden Mittwoch eine aus je sieben Abgeordneten und Senator*innen zusammengesetzte Parlamentskommission auf einen Kompromisstext einigen. Über diesen müssen dann am Donnerstag beide Kammern des Parlaments abschließend abstimmen, wobei bei einem unterschiedlichen Ausgang das Votum der Nationalversammlung den Ausschlag gibt. Da auch hierbei viele Republikaner der Regierung zur Seite stehen dürften, hofft diese, dass die Vorlage beschlossen wird.

Da es selbst in der Regierungspartei »Renaissance« einige Dissident*innen gibt, die die Reform kritisch sehen und sich möglicherweise der Stimmen enthalten wollen, hat die Parteiführung angedroht, dass Abweichler*innen aus der Fraktion ausgeschlossen werden sollen. Notfalls bleibt der Regierung noch der Rückgriff auf den Artikel 49.3 der Verfassung, um die Abstimmung mit der Vertrauensfrage zu verbinden, eine Option, die sie im vergangenen Herbst wiederholt wählte. So könnte die Rentenreform, wie von Macron beabsichtigt, kurzfristig in Kraft treten, wahrscheinlich bereits im September. Es bleibt abzuwarten, welche Konsequenzen es für den Präsidenten und seine Regierung haben wird, dass sie nicht auf die Demonstranten gehört und sich über die Meinung der großen Masse der Französ*innen hinwegegesetzt haben. Der Vorsitzende der größten Gewerkschaft CFDT, Laurent Berger, forderte die Rentenreformdebatte »durch ein Referendum, durch das alle Franzosen ihre Meinung zum Ausdruck bringen können« abzuschließen.

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