EZB-Leitzinserhöhung verringert Inflation nicht

Robin Jaspert über die Leitzinserhöhung der Europäischen Zentralbank

  • Robin Jaspert
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) trifft sich am Donnerstag in Frankfurt am Main, um über die weiteren Leitlinien der Geldpolitik der Eurozone zu entscheiden. Schon vor dem Treffen stehen die Erwartungen an das Ergebnis fest: eine Erhöhung der Leitzinsen von 3 Prozent auf mindestens 3,5 Prozent. Diese wurde von EZB-Präsidentin Christine Lagarde bereits angekündigt. Zentralbanker*innen, ein erstaunlich großer Teil der Wirtschaftswisenschaftler*innen und Politiker*innen erhoffen sich mittels Erhöhung der Leitzinsen ein Abflauen der Inflation. Durch die steigenden Leitzinsen würden die Kosten für die Aufnahme von Krediten in die Höhe getrieben, wodurch Anreize für Investitionen gesenkt und die Wirtschaft »abgekühlt«, also die Inflation gesenkt werden soll. So die Theorie.

Diese Annahmen beruhen auf einem Verständnis der Ökonomie, das als Monetarismus bekannt ist. Seine Anhänger*innen betrachten Inflation als ein Phänomen, das durch eine zu hohe Geldmenge ausgelöst wird. Folgerichtig ist das Mittel der Wahl zur Bekämpfung der Inflation die Reduzierung der Geldmenge – was Zentralbanken durch Erhöhung der Leitzinsen anstreben sollen. Genannte Überlegungen haben mit den Realitäten der aktuellen Inflation nur leider wenig zu tun. Jene wurde, das ist inzwischen weitestgehender Konsens unter realitätsinteressierten Ökonom*innen, durch einen angebotsseitigen Schock ausgelöst. Russlands Angriffskrieg in der Ukraine, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und die enormen Profitraten der fossilen Energie- und Nahrungsmittelgroßkonzerne trieben zuerst die Preise für Energie und anschließend auch für Nahrungsmittel in die Höhe.

Robin Jaspert
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Robin Jaspert studiert Wirtschaftssoziologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Gegen diese Missstände kann eine Erhöhung der Leitzinsen nichts ausrichten. Die Erfolgsaussichten sind mit dem Versuch vergleichbar, mit einem Schraubenzieher eine Hecke zu stutzen. Es ist schlicht das falsche Werkzeug. Der Chef der US-Amerikanischen Zentralbank, Jerome Powell, der wahrlich nicht als wirtschaftsfeindlicher Spinner abgetan werden kann, gibt inzwischen offen zu, dass die Einschränkung von Unternehmensprofiten deutlich besser zum Ausbremsen der Inflation geeignet wäre als Erhöhungen der Leitzinsen.

Während der Versuch, eine Hecke mit einem Schraubenzieher zu stutzen, für Unbeteiligte humoristischen Mehrwert verspricht, sind die Auswirkungen der konstanten Leitzinserhöhungen alles andere als unterhaltsam. Durch die steigenden Leitzinsen im Globalen Norden explodieren die Kosten für die Zinstilgungen der Staatsschulden im Globalen Süden und treiben immer mehr Länder an den Rande der Zahlungsfähigkeit. Im Norden bremsen die Leitzinserhöhungen die Entwicklung der Wirtschaft bei zeitgleich steigenden Preisen. Das bedeutet im Kapitalismus Reallohnverluste, zunehmende Armut und grassierende Prekarität.

Obwohl diese Zusammenhänge den Entscheider*innen in der EZB wohlbekannt sind, setzen sie die Politik der Geldverknappung unbeirrt fort. Das liegt nicht zuletzt daran, dass eine Fortschreibung der aktuellen wirtschaftspolitischen Linie eine Umverteilung von Süd nach Nord und von unten nach oben bedeutet. Diese ist politisch gewollt, mindestens akzeptiert. Wirksame Maßnahmen gegen hohe Inflationsraten, wie die stärkere Besteuerung von Unternehmensprofiten durch die Politik oder die Vergesellschaftung von Energiekonzernen, werden ignoriert. Selbes gilt für die Forderung nach der Streichung von Staatsschulden im Globalen Süden. Die negativen Auswirkungen geldpolitischer Entscheidungen des Nordens im Süden könnten so minimiert werden.

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