Feministische Kanzlei: Rechtsbeistand für Opfer häuslicher Gewalt

Zwei junge Anwältinnen eröffnen eine feministische Anwaltskanzlei in Berlin

An der mit ihren Hinterhöfen weitläufigen Bergmannstraße 103 in Kreuzberg sind Restaurants, Werbeagenturen, Arztpraxen und Anwaltskanzleien zu finden. Unter den Firmenschildern im Durchgang zum ersten Hof hängt unübersehbar auch eines für die Bürogemeinschaft der erfahrenen Rechtsanwältin Änne Ollmann. Noch nicht so leicht zu entdecken sind am Samstag ihre jungen Kolleginnen Laura Leogrande und Magdalena Gebhard. Nur ein winziges weißes Zettelchen an den Klingelknöpfen verrät wie bei einer frisch bezogenen Wohnung, wo die beiden zu finden sind. Im zweiten Stock des Vorderhauses ist in Änne Ollmanns Bürogemeinschaft ein Raum für Gebhard und Leogrande frei geworden. Dort feiern die beiden mit Gästen ab 16 Uhr die Eröffnung ihrer feministischen Kanzlei.

Montag starten Gebhard und Leogrande in die berufliche Selbstständigkeit. Dann kommt die erste Person, die sich von ihnen vertreten lassen möchte. Ein weiterer Termin für den Donnerstag ist auch schon vereinbart, obwohl es die Kanzlei Gebhard & Leogrande offiziell erst ab Montag gibt.

Doch die jungen Anwältinnen nahmen vorab Kontakt zu Frauenhäusern auf. Denn sie wollen sich darauf konzentrieren, in Gerichtsverfahren gegen Täter häuslicher Gewalt die als Nebenkläger auftretenden Opfer zu betreuen. Selbstverständlich sind Gebhard und Leogrande nicht die erste und nicht die einzige Kanzlei, die sich in Berlin um die Frauen und Kinder gewalttätiger Männer kümmert. Das mache zum Beispiel auch ihr großes Vorbild Änne Ollmann, sagt Leogrande. Ihre Mistreiterin Gebhard zweifelt nicht, dass es für die neue feministische Kanzlei mehr als genug Fälle geben wird. »Allein die Tatsache, dass die Frauenhäuser überrannt werden, zeigt, dass es Bedarf für unsere Arbeit gibt«, sagt sie.

Eine leichte Arbeit ist das ganz gewiss nicht. Man müsse emotional schon einiges aushalten, wenn vor Gericht die Details grausamer Gewalttaten zur Sprache kommen, erzählt Gebhard. Als Referendarin war sie bei solchen Prozessen bereits dabei. Mut braucht es auch in anderer Hinsicht. Leogrande erzählt, dass sie mitbekommen habe, wie Männer wütend in den Kanzleien angerufen hätten, die ihre Opfer verträten. Für Schlagzeilen sorgte einst ein krasser Fall: Die bekannte Berliner Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ateş wurde 1984 bei einem tödlichen Attentat auf ihre Mandantin Fatma F. lebensgefährlich verletzt. »Aber davon lassen wir uns auf gar keinen Fall abschrecken«, versichert Gebhard.

Die 28-Jährige stammt aus Bayern, die 27-jährige Leogrande aus Norddeutschland. Kennengelernt und angefreundet haben sie sich beim Jurastudium in Leipzig. Schon da sei ihnen klar geworden, was sie nach abgeschlossener Ausbildung machen wollten. Dabei geht es ihnen auch ums Prinzip. Sie wollen für Veränderungen in der Rechtsprechung und in der Gesetzgebung kämpfen. Es dürfe zum Beispiel nicht sein, dass gewalttätigen Männern immer noch als mildernder Umstand zuerkannt werde, dass sich ihre Partnerin von ihnen habe trennen wollen, oder dass ein Mord an der Frau – ein Femizid – nur als Tötung eingestuft werde, weil der Täter eigentlich die Beziehung habe bewahren wollen und deshalb angeblich nicht das Mordmerkmal eines niederen Beweggrundes vorliege.

»Es passiert in Marzahn, es passiert im Bergmannkiez, es passiert in allen gesellschaftlichen Schichten«, weiß Leogrande über häusliche Gewalt. 14 959 Fälle wies die Berliner Polizeistatistik für das Jahr 2021 aus. In Brandenburg wurden im selben Jahr 5073 Fälle gezählt.

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