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DFL und Fußball-Klubs: Die verlogene Demut im Corona-Lockdown

Fanvertreterin Helen Breit im Interview über die Sonderrolle des Profifußballs in der Pandemie

Vor drei Jahren wurde in Deutschland der erste Lockdown verhängt. Aus dem Profifußball gab es daraufhin sogleich schwere Vorwürfe an die Politik und Belehrungen für Gesundheitsexperten. Waren die ersten Reaktionen rückblickend sinnbildlich für das Verhalten von Verbänden und Vereinen in der gesamten Coronazeit und danach?

Es kommt mir viel länger vor als drei Jahre. Aber ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie abstoßend ganz viele Menschen die Forderungen fanden, dass trotz dieser gesundheitlichen Risikolage, die keiner richtig einschätzen konnte, unbedingt weiter Fußball gespielt werden müsse. Und das hauptsächlich, um das Geschäftsmodell und den eigenen Profit zu sichern. Und ja, in diesem Sinne ist das exemplarisch für den Profifußball.

Interview

Helen Breit liebt den Fußball. Die Sozialarbeiterin und Doktorandin ist Anhängerin des SC Freiburg und dort in der Supporters Crew aktiv. Für Veränderungen des kommerzorientierten Sports kämpft sie im Fan-Projekt »Zukunft Profifußball«, erarbeitete dort in der Coronazeit Reformideen und vertrat diese dann in der gleichnamigen Taskforce der Deutschen Fußball-Liga. Die 35-Jährige sprach mit Alexander Ludewig über falsche Versprechen des Profifußballs, enttäuschte und bestehende Hoffnungen sowie kleine und große Erfolge.

Nach der Sofortmaßnahme von Spielverboten und dem folgenden Zuschauerausschluss erzeugte der Profifußball beispielsweise mit dem möglichen Konkurs von Bundesligisten eine Untergangsstimmung. Wurde da, um Druck auf Entscheider und Verantwortliche zu machen, auch mit Lügen gearbeitet?

Nein, es ist die traurige Wahrheit, dass es tatsächlich so war. Diese Unterbrechung hat gezeigt, wie schlecht einzelne Vereine wirtschaften. Also wie viel Geld in den vermeintlich sportlichen Erfolg gesteckt wird, ohne Rücklagen zu bilden. Das war schon eine schockierende Nachricht für einen Betrieb, der jedes Jahr Rekordumsätze verkündet und ständiges Wachstum propagiert. Diese Misswirtschaft war ja dann auch der Anlass, um tatsächlich mal intensiv über Reformen im Profifußball sprechen zu können, weil plötzlich jeder gesehen hat, dass sich da etwas verändern muss.

Mit der Einsicht, dass es in der bedrohlichen Zeit einer Pandemie auch Einschränkungen für den Sport geben muss, folgte die Phase der öffentlichen Demut. Welche wichtigen Versprechungen des Profifußballs haben Sie noch im Kopf?

Verstanden zu haben, wie wichtig Fans sind. Und wie wichtig es ist, sich gesellschaftlich zu verankern und nicht in einer Blase zu leben. Ich kann mich noch erinnern, dass manche Funktionäre regelrecht empört waren, dass der Profifußball nun aufgefordert war, sich in einer gesamtgesellschaftlichen Situation einzufinden. Also so, als ob man das nicht erwarten dürfte (lacht). Versprochen wurde auch, künftig nachhaltiger zu wirtschaften und ein Ende des immer höher, schneller, weiter.

Welche davon wurden eingelöst?

Als alles wieder normal war, wurde die Demut schnell wieder vergessen. Weitreichende Maßnahmen zur Chancengleichheit, etwa über eine gleichmäßigere Verteilung der Medienerlöse, wurden nicht ergriffen. Die Dinge, die auf den Weg gebracht wurden, fühlen sich nicht nach substanzieller Veränderung an. Es sind eher kleine Kompromisse.

Die Hoffnung hieß »Zukunft Profifußball«. Unter gleichem Namen haben ihre Faninitiative und die Deutsche Fußball-Liga (DFL) Konzepte für Veränderungen erarbeitet. Ganz allgemein gefragt: In welcher Gegenwart leben wir?

(lacht) Noch nicht in der Zukunft. Vielleicht haben wir einen Minischritt dahin gemacht.

Viele der in beiden Lagern erarbeiteten Lösungen waren zumindest vom Namen her deckungsgleich.

Das stimmt. Wir haben in unserem Netzwerk für viele Bereiche Empfehlungen erarbeitet. Mit unseren Ideen und Konzepten sind wir ja dann in die DFL-Taskforce gegangen. Damals war klar, dass nicht alle Handlungsempfehlungen aus dieser Taskforce gleich umgesetzt werden können. Trotzdem haben wir auch ein Jahr nach der DFL-Taskforce schon das Fazit gezogen, dass es nur ein Anfang ist, das System also nicht umfassend verändert und besser gemacht wurde. Deshalb ist das Misstrauen groß, dass nur Bereiche angetastet werden, die nicht so arg wehtun, wo sich der Profifußball kaum bewegen muss und das Geschäft so weiterlaufen kann wie bisher. Positiv ist, dass wir überhaupt Vertreter*innen in die DFL-Taskforce entsenden konnten und auch noch andere Fanorganisationen dabei waren. Und so konnten deckungsgleiche Empfehlungen, wie zum Beispiel die Änderung in der Lizenzordnung, zu einer verpflichtenden Durchführung eines strukturierten Klub-Fan-Dialogs durchgesetzt werden. Auch die Aufwertung der AG Fankulturen in die ständige Kommission »Fans & Fankulturen« ist ein starker Erfolg. Beides sind wichtige strukturelle Maßnahmen zur besseren Berücksichtigung von Faninteressen, die in der Zukunft hoffentlich Früchte tragen, indem sie gelebt werden.

Was muss aus ihrer Sicht noch ganz dringend umgesetzt werden?

Im Bereich Integrität des Wettbewerbs ist fast gar nichts passiert. Beim Financial Fairplay oder der strengeren Regulierung von Mehrfachinvestitionen muss auch noch viel geschehen.Und beim Beispiel der gesellschaftlichen Verantwortung reicht es nicht, eine Nachhaltigkeitsstrategie auf den Weg zu bringen und dann nur einige wenige Punkte wirklich davon anzugehen. Ein ganz wichtiger Erfolg allerdings ist die jüngst bestätigte Rechtssicherheit der 50+1-Regel: Dass Vereine die Mehrheit und Entscheidungsgewalt haben müssen, ist ja ein Thema, das alle schon viel länger als die Pandemie begleitet.

Mit dem auch im Ausland gelobten medizinischen Konzept von DFL und DFB durfte recht schnell wieder gespielt werden. Dies wurde öffentlichkeitswirksam ja auch immer als Modell für eine Rückkehr zur Normalität der gesamten Gesellschaft verkauft. Wie bewerten Sie dieses Konzept im Nachhinein?

Es war, auch wenn man andere Branchen anschaut, in Richtung des Öffnungsprozess durchaus sinnvoll. Es war aber auch ein Konzept, um den Profifußball aufrechtzuerhalten und keines für die Menschen, die eigentlich im Stadion sein wollen. Ich glaube, es wurde seitens des Profifußballs einfach clever kommuniziert. Und die Vereine, die mit dem vielen, vielen Geld, das da im Umlauf ist, vorher gut gearbeitet haben, sind ja auch gut durch diese Krise gekommen.

Fast alle Klubs klagten über Einnahmeverluste. Einige Vereine bekamen staatliche Hilfen. Einen Gehaltsverzicht konnten sie ihren sehr gut bezahlten Spielern aber nur für eine sehr kurze Zeit abringen. Oft wurde von einer Sonderrolle des Profifußballs gesprochen. Teilen Sie diese Meinung?

Es ist die Frage, wie man diese Rolle interpretiert. Ich hätte mir vom Profifußball eine positive Sonderrolle gewünscht: dass die Klubs keine staatlichen Hilfen in Anspruch nehmen, sondern es aus dem eigenen milliardenschweren System heraus selber schaffen. Und wenn man dann mit Erlaubnis der Politik schnell weiterspielen darf, wäre es angemessen gewesen, dass man auf staatliche Hilfe verzichtet hätte. Dann wäre vielleicht die Kritik an einer Sonderrolle auch nicht ganz so scharf ausgefallen.

Der Ruf des Profifußballs hat stark gelitten. Und Kritik gibt es immer noch. Blickt man auf Zahlen wie die großen Gehälter oder die horrenden Ablösesummen, hat sich eigentlich nichts geändert. Warum sind die Stadien immer noch voll?

(lacht) Gute Frage. Ich glaube, weil sich nicht immer alles, was Menschen empfinden, dann auch logischerweise in ihrem Handeln zeigt. Oder dass es einfach ein bisschen komplizierter ist. Ich glaube, dass viele Menschen gerade nach der Pandemie Lust hatten, wieder Normalität zu erfahren und auch zu spüren. Und dafür gibt es kaum einen besseren Ort als Fußballstadien, in Menschenmassen zu stehen, zu singen, zu springen. Ich glaube aber auch, dass sich grundsätzlich schon eine kritischere Haltung entwickelt hat, auch bei Menschen, die diese dem eigenen Verein oder der Gesamtentwicklung im Profifußball gegenüber vorher nicht hatten.

Viele dachten, dass spätestens die WM in Katar die Lust der Fans am Geschäft Profifußball verdirbt. Ihre Antwort ist wahrscheinlich dieselbe wie auf die letzte Frage.

Das zeigt zum einen, dass der Fußball eine sehr hohe Identifikation bietet, dass viele Menschen da sozialisatorisch reingewachsen sind. Und, dass man sich da nicht ohne weiteres von löst. Wir hatten ja trotzdem eine sehr intensive Diskussion über die Bedingungen der Teilnahme an der WM. Wenn man das mit vielen anderen Ländern vergleicht, gab es einen sehr intensiven Diskurs und viele Forderungen an den DFB. Und ja, trotzdem ist es in Teilen die gleiche Antwort wie davor. Wir sind wohl noch nicht an dem Punkt, dass sich die Menschen mehrheitlich abwenden, aber es immerhin kritischer begleiten.

Trotz der Kritik an der endlosen Kommerzialisierung will die DFL jetzt Medienrechte an Investoren verkaufen. Ist das ein weiterer Schritt in die falsche Richtung?

Ja, dazu haben wir vom Netzwerk »Zukunft Fußball« auch eine Pressemitteilung veröffentlicht. Wir haben mindestens sechs starke Kritikpunkte an diesem Schritt, lehnen den unter den aktuellen Bedingungen komplett ab und erwarten, dass sich alle noch mal sehr kritisch damit auseinandersetzen. Ein wichtiger Punkt ist, dass mehr Geld dieses System noch nie besser gemacht hat. Und wir gehen davon aus, dass das mehr eingenommene Geld nicht gleichmäßiger verteilt wird und alle Ungleichheiten manifestiert, die es jetzt schon gibt. In diesen Entscheidungsprozess sind die vielen Vereinsmitglieder nicht einbezogen. Daran kann man bestens sehen, was sich durch die Pandemie nicht verbessert hat: die Rückbindung an die Basis. Wenn die Klubs das verstanden hätten, dann hätten sie schon längst ihre Mitglieder dazu befragt oder zumindest in eine Informationsveranstaltung einbezogen und erklärt, was dieser Schritt bedeutet. Das ist bislang nicht passiert.

Das lange Jahre aktive, bundesweite Bündnis »ProFans« hat seine Arbeit eingestellt. Sie müssen ja noch Hoffnung haben, da sie weiterhin aktiv Fanarbeit machen. Können Sie die Hoffnung beschreiben, die sie antreibt?

Ich glaube, das ist der Wille zur Veränderung. Und der Wille, die Leidenschaft für den Fußball zu behalten und deswegen Einfluss darauf zu nehmen, dass er eine bessere Entwicklung nimmt. Es gibt ja durchaus Beispiele, die Hoffnung machen. Dass in manchen Vereinen Menschen, die als aktive Fußballfans sozialisiert sind, jetzt in den Entscheidungspositionen sitzen. Je heterogener die Zusammensetzung der Entscheider*innen in den Vereinen, vielleicht auch in den Verbänden, wird, desto eher wird es auch strukturelle Veränderungen geben.

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