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  • Serie »Extrapolations«

Sommerherz und Nano-Spray

Ein bisschen zu selektiv erzählt die Serie »Extrapolations« vom Leben in unserer klimagebeutelten Zukunft

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.
Fulminantes Star-Aufgebot: Marion Cotillard ist nur eine von vielen Hollywood-Größen, die in »Extrapolations« zu sehen sind.
Fulminantes Star-Aufgebot: Marion Cotillard ist nur eine von vielen Hollywood-Größen, die in »Extrapolations« zu sehen sind.

Kaum ein Thema scheint so zentral für die allgemeinen gesellschaftspolitischen Debatten zu sein und immer mehr in den Vordergrund zu rücken wie der Klimawandel. Dennoch war das Thema in der Kulturindustrie lange nicht wirklich präsent – erst jetzt gewinnt es langsam an Boden. So erscheint im Mai T.C. Boyles neuer Roman »Blue Skies«, der die hitzigen Debatten über den Klimawandel als familiären Streit inszeniert. Und in »Avatar 2«, einem der derzeit global meistgesehenen Kinofilme, wird, wenn auch etwas platt, die menschliche Vernichtung von Naturressourcen in Szene gesetzt. Ein breitenwirksames kulturindustrielles Narrativ zum Klimawandel und seinen möglichen Auswirkungen, in dem diese fiktional durchexerziert werden, fehlt jedoch bisher. In diese Lücke stößt jetzt Apple TV mit der achtteiligen Anthologie-Serie »Extrapolations«, die ein verblüffend hochkarätiges Star-Ensemble aus Hollywood die Klimakrise im zweiten Drittel des 21. Jahrhunderts durchspielen lässt.

Fast könnte man meinen, die Stars hätten sich darum beworben, hier mitspielen zu dürfen: So betrügt Tobey McGuire beim Dinner im postapokalyptischen San Francisco Forest Whittaker mit dessen Frau Marion Cotillard, Edward Norton versucht im Oval Office mit Cherry Jones als amerikanischer Präsidentin einen terroristischen Geo-Engineering-Anschlag zu verhindern, Sienna Miller spricht vor der kolumbianischen Küste in einer Unterwasser-Forschungsstation per digitaler Übersetzungssoftware mit einem Wal, als wäre der ihr engster Freund, Heather Graham stiefelt als Oligarchengattin durch eine vom Klimawandel veränderte Polarzone, Kit Harington steht als Großunternehmer wegen Ökozid vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag und »Friends«-Star David Schwimmer setzt als knallharter Immobilienmakler im dauerhaft überschwemmten Miami rücksichtslos seine Interessen durch. »Extrapolations« erzählt acht motivisch eng und dramaturgisch lose miteinander verwobene Geschichten, die zwischen 2036 und 2070 an ganz unterschiedlichen Orten von Mumbai über New York und Tel Aviv bis London angesiedelt sind.

Die Serie hat ihre Highlights, kann aber nicht in jeder Episode überzeugen. Sie geht insgesamt etwas zu selektiv vor, zentral sind vor allem auf die Befindlichkeiten des Mittelstands im globalen Norden. Nur eine Episode ist im globalen Süden angesiedelt, in Indien. Dort transportieren zwei Männer ein aus einem Konzernlabor gestohlenes genetisch verändertes und gegen Hitze resistentes Saatgut durchs halbe Land, werden dabei an Polizei-Checkpoints brutal gestoppt und haben stets Verfolger im Nacken, die ihnen das wertvolle Gut wieder abjagen wollen. Insgesamt ist vor allem beeindruckend, wie »Extrapolations« den Klimawandel in Szene setzt, egal, ob Miami durch Überschwemmungen langsam absäuft, San Francisco unter einer Glocke grauer und giftiger Abgase hängt, London im Dauerregen versinkt, die Menschen in Indien wegen der enormen Hitze tagsüber nicht mehr das Haus verlassen dürfen oder die Wälder in Südamerika dauerhaft vor sich hinbrennen. Die Serie erzählt dabei nicht wie viele andere Dystopien von einer alle gesellschaftlichen Ordnungssysteme aushebelnden Apokalypse, vielmehr geht es um den Alltag und das Sich-Arrangieren mit der sich verstetigenden Krise.

So gibt es neue, dem Klimawandel geschuldete chronische Erkrankungen wie das »Sommerherz«, das auch bei jungen Menschen Demenz verursacht. Die Industrie beginnt Nahrungsmittel aus bisher unbekannten Stoffen herzustellen und Sauerstoff lässt sich per handlichem Nano-Nasenspray applizieren. »Extrapolations« erzählt aber auch von einer voranschreitenden Digitalisierung, wie der CO2-Abdruck schließlich sogar zur Währung wird und die Grenzen und Möglichkeiten der digitalen Ressourcen vor allem auch mit der Energie zu tun haben, die nötig ist, um Server zu betreiben. So hypermodern vieles in dieser gar nicht so weit entfernten Zukunft des 21. Jahrhunderts scheint, das Leben in dieser vom Klimawandel immer stärker geprägten Welt ist der reine Horror. Das etwas zu hoffnungsvolle und Hollywood-kompatible Ende der Serie spendet da nur wenig Trost.

»Extrapolations« läuft seit dem 17. März auf Apple TV.

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