Kritik am Klima-Volksentscheid: Abstriche bei sozialen Maßnahmen

Linke-Politiker Moheb Shafaqyar befürchtet massive Abstriche bei sozialen Maßnahmen, sollte Berlin für die Gesetzesänderung stimmen

  • Patrick Volknant
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenige Tage vor dem Volksentscheid, der zur Berliner Klimaneutralität bis 2030 führen soll, könnten die Vorzeichen für einen Erfolg weitaus schlechter stehen: Rund 447 000 Briefwahlstimmen wurden laut Angaben der Innenverwaltung vom Donnerstag beantragt. Der Anfang ist gemacht, auch wenn die Organisator*innen von Klimaneustart Berlin von nicht erhaltenen Unterlagen berichten.

Zu denjenigen, die am Sonntag allerdings »Nein« ankreuzen werden, gehört der Linke-Abgeordnete Moheb Shafaqyar, der sich auch für die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen (DWE) einsetzt. Im Fall eines erfolgreichen Volksentscheids befürchtet er massive Auswirkungen auf die Berliner Sozialpolitik – und zwar negative. »Alle gehen davon aus, dass es bei einer symbolischen Abstimmung bleibt und das könnte auch so sein«, sagt Shafaqyar zu »nd«. »Es kann aber auch sein, dass Verpflichtungen eingeklagt werden können.«

Es ist besonders eine der angestrebten Änderungen des Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetzes, die dem Juristen Sorgen bereitet. Bisher ist in dem Gesetz festgeschrieben, dass Klimaschutzmaßnahmen keine Mieterhöhungen in Berlin zur Folge haben dürfen. In der durch den Volksentscheid nun vorgesehenen Änderung heißt es jedoch, dass mögliche Auswirkungen auf Mietpreise vom Senat bezuschusst werden müssen. Das Geld lande dann womöglich in den Taschen der Vermieter*innen, so Shafaqyar. »Selbst bei einer berlinweiten Mieterhöhung von nur einem Euro hätten wir es mit vier Milliarden Euro zu tun.«

Wird der Entscheid angenommen, liegt die Verantwortung beim Senat, entsprechende Konzepte für die Umsetzung der neuen gesetzlichen Vorgaben zu präsentieren. Shafaqyar ist sich sicher: Im Falle einer Koalition aus CDU und SPD würde das vor allem auf Kosten der Sozialpolitik gehen. Einiges in der von Klimaneustart Berlin vorgeschlagenen Gesetzesänderung sei schlichtweg nicht durchdacht. »Sie sagen zwar, dass sie offen für Änderungen sind, haben aber gar keine Möglichkeit, darauf noch einzuwirken.«

Zwischen der Klimakrise und Mietkrise sieht auch Klimaneustart-Sprecher Stefan Zimmer den »größten Zielkonflikt«. Er gibt gegenüber »nd« zu: »Das ist tatsächlich eine schwierige Sache.« Zwar sollten Mieter*innen auf keinen Fall für den Umbau der Stadt zahlen müssen, unausweichlich sei der Umbau aber trotzdem. Ganze 40 Prozent der Berliner Emissionen stammten aus dem Heizungsbereich, der Volksentscheid könne zu einem Push von Sanierungen und Dämmungen führen.

»Wenn es keine Miethaie gäbe, wäre das Ganze ein Nullsummenspiel«, sagt Zimmer. Ihre Investitionen könnten Vermieter*innen vom Land zurückbekommen, die Miete bliebe gleich. »Wenn Sanierungen zum Vorwand für exorbitante Mieterhöhungen werden, darf man das nicht durchgehen lassen.« Die Werkzeuge hierfür lägen zwar hauptsächlich auf Bundesebene, doch das Land Berlin sei gezwungen, jetzt zu handeln. Gerade Menschen mit wenig Geld litten besonders unter der Klimakrise und unsaniertem Wohnraum.

Mit mehreren Jurist*innen, so Zimmer, habe Klimaneustart »an einer juristisch wasserdichten Änderung« gearbeitet, der Volksentscheid werde auch von DWE unterstützt. Dafür, den Mietpreis-Konflikt verwaltungstechnisch in eine bessere Form zu passen, habe es letztlich an Zeit gefehlt. »Wir wollten das Thema zum Wahlkampf 2021 auf den Zettel bringen, damals ging alles nur um Corona«, sagt Zimmer. Für eine sozial gerechte Umsetzung bleibe rein technisch nichts anderes übrig, als an den künftigen Senat zu appellieren, trotz aller Vorbehalte. »Wir haben das Maximum herausgeholt.«

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