Späti für Sprayer und Autonome in Berlin-Neukölln

In Neukölln eröffnet ein kollektiv geführter Späti für den linksradikalen Alltagsbedarf und als Raum für Austausch und Vernetzung in der Szene

Im Zeitschriftenregal gilt es noch ein paar Lücken zu füllen, die Auswahl an Spraydosen in dem linken Späti in der Lenaustraße kann sich bereits sehen lassen.
Im Zeitschriftenregal gilt es noch ein paar Lücken zu füllen, die Auswahl an Spraydosen in dem linken Späti in der Lenaustraße kann sich bereits sehen lassen.

In dem Regalfach unter den Pringles stehen ein paar Packungen schwarzer Einweghandschuhe. Noch ein Fach darunter finden sich altmodische Tastenhandys, Headsets und Kleister. Und darunter liegen Raffaello, Giotto und Manner-Schnitten aus. Das Sortiment des neu eröffneten Spätis in der Lenaustraße in Neukölln richtet sich nicht nur an den gemeinen Kunden auf der Suche nach einem nächtlichen Snack oder einem Wegbier. Der Laden bietet ebenso Waren des täglichen Bedarfs der Berliner Demo- und Graffiti-Szene. »Drinks, Drips & Politics« steht auf dem noch provisorisch hinter das Ladenfenster gehängten Eingangsschild – das heißt so viel wie »Getränke, Style und Politik« und fasst gut die Mischung auf den rund zwanzig Quadratmetern Verkaufsfläche zusammen.

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Seit einer Woche hat der Spätkauf geöffnet, an der Fassade steht noch der Name des Cafés, das dort Ende vergangenen Jahres dichtmachte. Am 1. April steht die offizielle Eröffnungsfeier an. Feiern können dann die rund 30 Personen, die seit Monaten an der Entstehung des Ladens arbeiten – und das ehrenamtlich. So wie manche der angebotenen Waren dem antikapitalistischen Engagement dienen, versteht sich auch der Späti selbst als ein gemeinsam geführtes und nicht-profitorientiertes Unternehmen. Nur die Menschen hinter dem Tresen werden für die Verkaufsschichten bezahlt, mit einem Stundenlohn knapp über dem Mindestlohn.

Das erzählt Markus. Er gehört zu der Kerngruppe, die von der Idee bis zur Auswahl der Biersorten an der Umsetzung arbeitet. Der ursprüngliche Gedanke entstand mit Blick auf die zahlreichen Räumungen linker Orte in den vergangenen Jahren. »Nach dem Syndikat, der Liebig, der Meuterei, der Friedel, dem Köpi Wagenplatz«, zählt Markus das Ende vieler langjähriger Projekte auf, »da haben wir uns gedacht: Es braucht wieder neue Orte.« Zwar gebe es nach wie vor viele selbstverwaltete Räume etwa in Hausprojekten, die als Treffpunkt dienen und Gelegenheit für Austausch und Mobilisierung bieten. »Aber etwas Neues gibt immer Hoffnung.« Das merke er bereits jetzt bei den Reaktionen auf den Laden. Bereits in den Tagen vor der offiziellen Eröffnung seien linke Jugendliche vorbeigekommen, um sich ein Bild zu machen, ein kürzlich eingerichteter Instagram-Account zählt bereits über 700 Follower.

Und warum ein Späti? »Clubs setzen auf eine bestimmte Feierkultur, eine Bar setzt darauf, dass Leute bis spät in die Nacht trinken und Buchläden gibt es schon eine Menge«, sagt Markus zu den übrigen Optionen für linkes Kleingewerbe. Spätis hingegen würden weder Szenezugehörigkeit noch eine bestimmte Freizeitgestaltung voraussetzen. Dazu kommt die finanzielle Ebene: »Wir haben alle schon in anderen selbstverwalteten Projekten gearbeitet, wir wollten uns nicht kaputtmachen.« Im Gegensatz zu Stadtteilläden, die meist auf die Selbstausbeutung der Aktivist*innen angewiesen seien, um überhaupt die Miete zu stemmen, biete der Umsatz im Verkauf eine materielle Sicherheit.

Und schließlich gibt es für viele linke Produkte sonst kaum Vertriebsmöglichkeiten außerhalb des Internets. Markus kümmert sich um den Verkauf von Zeitschriften und Magazinen, die im Print-Regal neben den Schokoriegeln ausliegen. Im üblichen Kiosk fände man Magazine wie das »Antifaschistische Infoblatt« oder die »Lateinamerika Nachrichten« nicht, auch Buchläden würden mittlerweile oft auf den umständlichen Vertrieb verzichten. Doch in Markus’ Augen braucht es das Angebot außerhalb des Online-Handels. Bisher würden die Zeitschriften zwar hauptsächlich über Abonnements verbreitet, aber er hofft, auch die Laufkundschaft für linke Medien zu gewinnen. In der vergangenen Woche habe das noch nicht so gut funktioniert. »Da braucht es einfach ein bisschen Geduld«, so Markus.

Was bereits gut funktioniert, ist der Dosenhandel. Im Regal unter der Ladentheke stehen Spraydosen in allen möglichen Farben. Markus sieht eine Marktlücke, die der Späti mit dem Angebot füllt. »Wir werden gut angenommen, weil wir nicht ganz so cool sind.« Läden für den spezifischen Spray-Bedarf wirkten gerade auf jüngere Menschen einschüchternd. Dazu käme der Sexismus, den Frauen und nichtbinäre Menschen dort immer wieder erlebten, erzählt Markus. »Die werden dann nicht ernst genommen und können mit Sprüchen rechnen, wie: Ah, du willst also dein Fahrrad besprühen?« Der Späti will der mackrigen Grafitti-Szene ein feministisches Angebot entgegensetzen. Deshalb gibt es eine wöchentliche Dosen-Beratung nur für »FLINTA«, also Frauen, Lesben, inter, nichtbinäre, trans und agender Menschen.

Während es keine weiteren dezidiert linken Spätis in Berlin gibt – zumindest keine, die sich ihre politische Ausrichtung auf die Fahne schreiben – ist die allgemeine Späti-Dichte gerade in Neukölln besonders hoch. Doch von Konkurrenz zwischen den Gerwerbetreibenen kann Markus nicht berichten, im Gegenteil: »Wir wurden hier richtig herzlich aufgenommen.« Die Gruppe habe sich bewusst für die Lenaustraße entschieden, die zwar vom belebten Kottbusser Damm abzweigt, aber trotzdem relativ ruhig und davor noch ohne Spätverkauf war.

Die Preise richten sich nach den Spätis in der Umgebung, ein Sternburger kostet 1 Euro, ein Erdinger alkoholfrei 1,80 Euro. Auch den anderen Läden in der Straße will das Kollektiv nicht die Kundschaft abspenstig machen. So gibt es nur einen kleinen Kaffeeautomaten, um nicht das Café direkt nebenan zu bedrohen, und keinen Kopierer, weil sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Copyshop befindet. Mit einer Freifunk-Antenne, die die Straße mit kostenlosem Internet versorgt, hat sich die Gruppe zudem beliebt gemacht.

Ob das Konzept aufgeht, muss sich noch zeigen. In anderen Städten haben sich linke Spätis bereits etabliert. In Leipzig etwa gilt der Connewitzer Roni-Späti als Treffpunkt für die Szene. Wenn es nach Markus geht, soll der neue Späti auch zu einem Netzwerkpunkt für Kampagnen und Aktionen werden. »Wenn Leute neu nach Berlin kommen, können sie sich bei uns informieren, Gruppen können Plakate bei uns lagern, im Hinterzimmer ist Raum für Besprechungen und Plena«, zählt er die Nutzungsmöglichkeiten auf.

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