Trostfrauen warten auf Gerechtigkeit

Trotz Kriegsverbrechen der Japaner an koreanischen Frauen sucht Seoul den Austausch mit Tokio

  • Shoko Bethke
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Bedrohung ist mittlerweile Alltag: Nachdem am Montag vergangener Woche nordkoreanische Raketen östlich von Südkorea im Meer landeten, feuerte am Dienstag die russische Marine Testraketen im Japanischen Meer ab und veröffentlichte gar eine Videoaufnahme davon.

Angesichts sich häufender Raketentests, aber auch des russischen Angriffskrieges in der Ukraine sind die Annäherungsversuche zwischen Südkorea und Japan nicht verwunderlich. Mitte März empfing der japanische Ministerpräsident Fumio Kishida in Tokio den südkoreanischen Präsident Yoon Suk Yeol; der hatte bereits Anfang März erklärt, dass es für beide Länder an der Zeit sei, die Geschichte hinter sich zu lassen, denn Japan habe »tiefe Reue und aufrichtige Entschuldigung in Bezug auf seine vergangene Kolonialherrschaft« gezeigt.

Südkoreas konservative Regierung hatte zuletzt Pläne zur Beilegung des jahrzehntelangen Streits um die Entschädigung ehemaliger koreanischer Zwangsarbeiter unter Japans Kolonialherrschaft verkündet: Vornehmlich südkoreanische Unternehmen sollen in einen öffentlichen Fonds einzahlen, um Zwangsarbeitsopfer oder Hinterbliebene zu entschädigen. Kishida hatte Südkoreas Entscheidung begrüßt und gesagt, sie werde zur Wiederherstellung »gesunder Beziehungen« beitragen. In Südkorea selbst ist der Entschädigungsplan umstritten.

Aber welche Kolonialvergangenheit eigentlich? Korea wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Sowjetunion und die USA entlang des 38. Breitengrads aufgeteilt. Das Recht dazu nahmen sich die Siegermächte nach der Kapitulation Japans – denn Korea gehörte bis zu diesem Zeitpunkt dem japanischen Inselstaat, der die Halbinsel seit 1910 kolonialisiert hatte. Nach der Kapitulation Japans 1945 war Korea eine »Beute«, die sich die Sowjetunion und USA aufteilten. Wie andere Kolonialstaaten auch hatte sich Japan bis dahin verschiedener Kriegsverbrechen schuldig gemacht – unter anderem der Zwangsprostitution sogenannter Comfort women, zu Deutsch: Trostfrauen.

Trostfrauen sind junge Frauen und Mädchen, schätzungsweise mindestens 200 000, die zwischen 1931 und 1945 in verschiedenen Regionen Ost- und Südostasiens zur Zwangsprostitution gezwungen wurden. Häufig wurden sie in sogenannten Komfortstationen, also Bordellen für Trostfrauen, untergebracht und waren sexualisierter Gewalt durch japanische Soldaten ausgesetzt. Die Frauen kamen aus ganz Asien, unter anderem von den Philippinen, aus China, Taiwan, Thailand, Indonesien oder Malaysia, und eben auch aus Korea.

Den Anfang der Komfortstation machte Shanghai 1932. Nachdem dort 223 Fälle der Vergewaltigung durch japanische Soldaten angezeigt wurden, wurde das Bordell aufgebaut, um die Wut der chinesischen Bevölkerung abzuschwächen. Die Idee zeigte Wirkung: Die Anklagen gegen die Truppen sanken, woraufhin die Station als erfolgreich gewertet und weiter ausgebaut wurde.

Die meisten Betroffenen des Komfortsystems waren Frauen koreanischer Abstammung, allerdings gab es in Korea selbst nicht viele Stationen. Vielmehr wurden Frauen belogen oder entführt und in Kriegsgebiete verschifft. Ihnen wurde lukrative Arbeit angeboten, etwa als Kranken- und Pflegepersonal. Viele gingen wegen der versprochenen hohen Bezahlung auf Angebote ein und stellten vor Ort fest, dass sie zwangsprostituiert wurden. Andere Mädchen wurden hingegen zuhause von japanischen Offizieren überrascht und nach China entführt. Nicht selten wurden Betroffene so lange missbraucht, bis sie in Ohnmacht fielen, da sie täglich 30 bis 40 Männern dienen mussten.

Die Errichtung der Komfortstationen diente allerdings nicht nur dazu, die Wut der chinesischen Bevölkerung abzufedern. Die Bordelle sollten eine Art Entspannungsort fürs Militär sein. Zudem sollte der Überlebenswille der Männer gestärkt werden, da sie stets mit der Ungewissheit lebten, wann und ob sie jemals nach Hause zurückkehren konnten.

Außerdem hatten sich Soldaten in Sibirien Geschlechtskrankheiten geholt, was das Militär schwächte. Die eigenen Bordelle sollten dazu beitragen, die Frauen medizinisch überprüfen zu können und das Sicherheitsrisiko zu mindern. Darüber hinaus bewahrten die Truppen mit eigenen Bordellen militärische Geheimnisse, da man befürchtete, dass lokale Bordelle ihre Pläne an Fremde weitergeben könnten. Dass man die Bewegungsmöglichkeiten der Trostfrauen eingrenzte, lag also nicht nur an der Fluchtgefahr.

Nach Kriegsende verbrannte Japan – anders als Deutschland – fast sämtliche Dokumente, die mögliche Kriegsverbrechen beweisen könnten. Und das erschwert noch heute die Aufarbeitung. Neben fehlenden Beweismaterialien überlebten nur wenige Frauen den Krieg, und davon kehrten nicht alle nach Kriegsende in ihre Heimat zurück. Die Überlebenden schwiegen zudem über mehrere Jahre – auch das hatte verschiedene Gründe. Zum einen fürchteten sie um ihre eigene und die Sicherheit ihrer Familie. Andere schwiegen aus Scham und Sorge vor Ausgrenzung.

Dass sie sich nicht persönlich zu Wort meldeten, erschwerte die Aufarbeitung. Immer wieder fanden Sitzungen statt, wie jene des internationalen Militärtribunals am 3. Mai 1946. Auch 1951 und 1965 wurde der Versuch unternommen, gerechte Gerichtsverfahren einzuleiten, was allerdings scheiterte. Erst nach der ersten öffentlichen Aussage der Trostfrau Kim Hak Sun 1991 unternahm auch die japanische Regierung Maßnahmen: Kim reagierte auf eine Aussage der japanischen Regierung, wonach Trostfrauen von privaten Unternehmern geführt und »das Militär und die Regierung nicht an dem Fall beteiligt« gewesen seien. Daraufhin brach Kim ihr Schweigen, was andere Betroffene dazu veranlasste, ihrerseits aus dem Dunkel zu treten.

Allerdings bleiben in der japanischen Politik und Gesellschaft die Forderungen nach konkreten Beweisen laut, außerdem auch die Frage: »Warum jetzt? Warum habt ihr so lange geschwiegen?« Währenddessen klammert sich Südkorea an die Aussagen der wenigen Überlebenden und einzelne Belege, die noch nach Kims Outing gefunden wurden.

Am 4. August 1993 gab der Chefkabinettssekretär Kōno Yōhei die Beteiligung des ehemaligen japanischen Militärs an der Zwangsprostitution zu, die japanische Regierung aber bestritt weiter ihre Taten. So könne ihr zufolge keine »gesetzliche Haftung« von der Regierung mehr verlangt werden. Um Ruhe zu geben, gründete die japanische Regierung im Juli 1995 den »Asian Women’s Fund«, der mit Spenden aus der Bevölkerung die Betroffenen entschädigen sollte. Doch da es sich hierbei weder um eine offizielle staatliche Entschuldigung noch um das Geld der Regierung handelte, weigerten sich Betroffene, das Geld anzunehmen. Für Japan war die Sache damit allerdings erledigt, für Südkorea nicht – zumindest bis jetzt.

Denn Südkoreas Staatspräsident Yoon Suk Yeol, der nicht wirklich als Feminist bekannt ist, macht die Politik Nordkoreas und Russlands eher zu schaffen als die koloniale Vergangenheit Japans. Und Japan, das noch keine Reue in Form von Museen, Monumenten oder gar Schulbüchern gezeigt hat, kommt die Annäherung Südkoreas entgegen.

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