Gashändler VNG überlebt Trennung von Russland

Ostdeutscher Gashändler schreibt Verlust / Kommunen müssen bis Mai über Kapitalerhöhung entscheiden

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Eigenkapital von VNG löste sich im vergangenen Jahr förmlich in Luft auf. Der ostdeutsche Gashändler mit Firmensitz in Leipzig schrieb zeitweise Verluste in zweistelliger Millionenhöhe – pro Tag. Grund war der Wegfall der Gaslieferungen aus Russland. Von dort hatte das Unternehmen mit Wurzeln in der DDR über viele Jahrzehnte große Mengen Erdgas bezogen. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 versiegten die Lieferungen. Um seine 400 Kunden beliefern zu können, zu denen viele Stadtwerke und Industriebetriebe zählen, musste das Gas anderswo wesentlich teurer besorgt werden. Insgesamt, sagte Finanzvorstand Bodo Rodestock bei der Vorlage der Bilanz für 2022 an diesem Dienstag, habe VNG einen wirtschaftlichen Schaden von 1,1 Milliarden Euro erlitten; das über Jahre aufgebaute Eigenkapital sei »nahezu komplett aufgezehrt« worden.

Die gute Botschaft lautet aber: Das Unternehmen hat überlebt. Eine zeitweise im Raum stehende Verstaatlichung konnte abgewendet werden. Zum einen beschlossen die Anteilseigner, darunter der baden-württembergische Energiekonzern EnBW (74,2 Prozent) und ein Konsortium mehrerer ostdeutscher Kommunen (21,5 Prozent), eine Kapitalerhöhung um 850 Millionen Euro. Zum anderen einigte man sich mit zwei Partnern über die teilweise Übernahme höherer Beschaffungskosten, die durch den Wegfall zweier langfristiger Lieferverträge mit russischen Firmen entstanden. Dabei handelte es sich um den Bund sowie um eine Tochter des Unternehmens Securing Energy for Europe (SEFE). Das ist die unter treuhänderische Verwaltung der Bundesnetzagentur gestellte frühere Gazprom Germania. Gazprom hatte zeitweise gut zehn Prozent der Anteile an VNG gehalten, diese aber im Sommer 2015 verkauft.

Nicht überraschend ist angesichts der Turbulenzen, dass die Bilanz für 2022 wenig rosig aussieht. VNG konnte zwar den Umsatz mit über 36 Milliarden Euro verdoppeln. Grund dafür waren aber die extrem gestiegenen Preise für Erdgas. Die gehandelte Gasmenge sank dagegen wegen der Einsparungen in Industrie und Privathaushalten deutlich auf 588 Milliarden Kilowattstunden, ein Minus von 23 Prozent. Unter dem Strich schrieb der Konzern Verluste von 337 Millionen Euro. Lässt man einmalige Effekte außen vor, beläuft sich das Minus auf 205 Millionen Euro. Allein die Sparte Handel und Vertrieb habe einen Verlust »im mittleren dreistelligen Millionenbereich« verbuchen müssen, sagte Rodestock. Für das laufende Jahr erwartet VNG wieder einen Gewinn. Dieser dürfte zwischen 110 und 160 Millionen Euro liegen.

Das Kapitel Russland scheint für das Unternehmen abgeschlossen zu sein, auch nach einem Ende des Krieges in der Ukraine. Zwar halte man eine Reparatur der im September unter bislang ungeklärten Umständen zerstörten Erdgasleitung Nordstream 1, wie sie etwa Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) fordert, für nicht ausgeschlossen, sagte Technikvorstand Hans-Joachim Polk. Man wolle eine Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen mit Russland auch »nicht für immer und ewig ausschließen«. Der Vertrauensverlust gegenüber den früheren Partnern sei aber groß, sagte Vorstandschef Ulf Heitmüller: »Die allermeisten Brücken sind eingerissen.« Das betreffe auch ein noch bestehendes Gemeinschaftsunternehmen mit Gazprom zum Betrieb eines Erdgasspeichers in Peißen (Sachsen-Anhalt). Aufgrund von Sanktionen, die Russland verhängt habe, sei dort »die Kommunikation nahezu null«.

Der Gashändler orientiert sich derweil ohnehin neu und plant CO2-freie Geschäfte. »Wenn wir in die Zukunft schauen, blicken wir auf grüne und dekarbonisierte Gase«, sagte Polke. Dabei geht es zum einen um Brennstoff aus Biogasanlagen, von denen eine VNG-Tochter derzeit 40 betreibt. Vor allem aber setzt der Konzern auf Wasserstoff. Ein Großteil des Leitungsnetzes sei bereits jetzt für dessen Transport geeignet, sagt Polke. Ein Teil soll im Inland produziert werden. Das Potenzial dafür liege etwa in Ostdeutschland bei 20 Terawattstunden. Eine Pilotanlage errichtet VNG in Bad Lauchstädt (Sachsen-Anhalt). Weil der Bedarf in der Region aber auf 65 Terawattstunden beziffert wird, brauche es darüber hinaus Importe. Mit einem norwegischen Partner plant VNG eine Anlage in Rostock, die »CO2-armen Wasserstoff« herstellen und bis 2030 zehn Prozent des ostdeutschen Bedarfs abdecken könne. Zudem wird gemeinsam mit einem französischen Partner über Importe von Ammoniak aus Chile nachgedacht, der dann zu Wasserstoff umgewandelt werden könne. Ein anderes Projekt sieht vor, grünen Wasserstoff aus Algerien über Pipelines zu importieren.

Während VNG sich wieder auf einer »soliden Basis« sieht, wie Rodestock formulierte, bereitet das Thema den acht ostdeutschen Kommunen, die Anteile halten, noch einiges Kopfzerbrechen. Sie müssen bis Ende Mai entscheiden, ob sie die Kapitalerhöhung mittragen. Allein für die Stadt Leipzig, die knapp 7,5 Prozent an VNG hält, wären das 63 Millionen Euro – eine Summe, die nicht leicht aufzubringen ist. Zahlen die Kommunen freilich nicht, verringert sich ihr Anteil am Konzern. Für Leipzig birgt das womöglich auch die Gefahr, den Unternehmenssitz zu verlieren.

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