Tödliche Droge Fentanyl

Opioidkrise und Wohnungslosigkeit in den USA bedingen sich gegenseitig

  • Anjana Shrivastava
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Droge Fentanyl und Wohnungslosigkeit bilden eine unheilvolle Allianz, die immer mehr Todesfälle in den Straßen der USA nach sich zieht. In New York City etwa steigen seit der Pandemie die Sterbefälle von wohnungslosen Menschen stetig: Schätzungen zufolge soll es dort allein im vergangenen Jahr 684 Tote gegeben haben, die Hälfte davon sind Opfer von Fentanyl. Unter 13 400 Wohnungslosen in Seattle gab es im vergangenen Jahr 310 Todesfälle – 160 davon durch Fentanyl. Das ist ein Anstieg von 64 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In Los Angeles starben laut »Wall Street Journal« 2020 und 2021 etwa 700 Menschen an einer Überdosis.

Das Opioid Fentanyl ist 50 mal so stark wie Heroin und wird legal als Mittel gegen extreme Schmerzen eingesetzt. Es wirkt sehr schnell, doch der Rausch vergeht auch rasch wieder. 107 000 Drogentote gibt es insgesamt in den USA pro Jahr, zwei Drittel davon werden vom Zentrum für Krankheitskontrolle (CDC) Fentanyl zugeschrieben.

Dabei bedingen und potenzieren sich Opioidkrise und Obdachlosigkeit, denn oft folgt Drogenmissbrauch auf den Verlust des Wohnraums. Oder aber die Sucht raubt den Menschen ihre Überlebensinstinkte und treibt sie auf die Straße, wo die Gesundheit ohnehin extrem leidet. »Es gibt nichts derart Destruktives wie die Straße«, sagte Margot Kuschel vom Zuckerberg San Francisco General Hospital der Zeitung »Sacramento Bee«. »Man bricht gesundheitlich einfach zusammen.« Eine neue Studie des Becker-Friedman-Instituts der University of Chicago zeigt, wie gefährlich das Leben auf der Straße grundsätzlich ist. Darin wurden 140 000 wohnungslose Menschen zwischen 18 und 54 Jahren zwischen 2010 und 2022 beobachtet und mit einer Kontrollgruppe mit Wohnung verglichen. In der ersten Gruppe verstarben in dieser Zeit 16 Prozent, in der zweiten 3,9 Prozent. Während der Corona-Pandemie verzeichneten die Forscher einen dreimal so großen Anstieg der Sterbefälle unter Wohnungslosen wie in der Kontrollgruppe.

Die Verzahnung der Probleme macht auch ehrgeizigen Politikern einen Strich durch die Rechnung, etwa dem kalifornischen Gouverneur Gavin Newsom. In dem Bundesstaat gibt es rund 170 000 Wohnungslose. Die Sterbefälle wegen Fentanyl sind dort innerhalb von fünf Jahren um das 21-Fache gestiegen. Newsom, dem Pläne für eine Kandidatur fürs Weiße Haus nachgesagt werden, hat bereits 18,4 Milliarden Dollar für die Wohnungslosenhilfe bereitgestellt. Dennoch ist die Anzahl der Wohnungslosen während seiner Amtszeit um 13 Prozent gewachsen. Newsom setzt unter anderem auf Zwangsinterventionen: Der Staat bietet durch Programme wie Care Court etwa medizinische Therapien an, droht aber bei Nichtakzeptanz mit Entmündigung. 58 Städte und Gemeinden wurden vom Bundesstaat verpflichtet, Care Court zu übernehmen, was allerdings sehr kostenintensiv und besonders in ländlichen Gebieten unbeliebt ist. Die Antipsychiatriebewegung und Wohnungslose selbst leisten ebenfalls nicht selten Widerstand.

Das wohlhabende Kalifornien ist mit seinem warmen Klima und seinen liberalen Werten ein Anziehungspunkt für Wohnungslose. Gleichzeitig hat der Bundesstaat insbesondere durch das Silicon Valley mit seinen vielen gutbezahlten Fachkräften einen Häusermarkt mit explodierenden Preisen. Die Folge: noch mehr Wohnungslosigkeit. Was vor 20 Jahren als Lager für Obdachlose begann, sind heute teilweise große Gebiete wie der Wohnblöcke umfassende Bezirk Tenderloin in San Francisco unweit der schicken Hauptquartiere von Twitter und Uber. Der Experte Alex Kral von der Organisation RTI International, der schon in den 90er Jahren während der Aids-Epidemie saubere Spritzen in San Francisco verteilte, erklärte gegenüber dem »Guardian«, dass damals rund 30 Prozent der Süchtigen wohnungslos gewesen seien, heute betrage diese Zahl eher 75 bis 80 Prozent. Grund ist das Verschwinden von Behausungen wie etwa leeren Lagerhäusern oder Hotels, in denen man für wenig Geld übernachten konnte. An ihrer Stelle wurden viele Luxuswohnungen gebaut.

Unter Gouverneur Newsom wurden in Kalifornien zwar vier Milliarden Dollar in das »Projekt Homekey« investiert, mit dem heruntergekommene Hotels aufgekauft und für Wohnungslose hergerichtet werden. Doch dem Problem ist damit kaum beizukommen, denn immer neue Menschen werden aus dem Wohnungsmarkt vertrieben. So wurden in Sacramento, der Hauptstadt des Bundesstaats, 17 000 Wohnungen geschaffen, dennoch leben 9200 Menschen weiterhin auf der Straße. So gleicht das Problem einem Fass ohne Boden, und die Lage wird durch die Fentanyl-Krise noch verschärft. Selbst Newsom, wohl der Gouverneur mit dem meisten Geld und dem größten Willen, eine Änderung herbeizuführen, wirkt da hilflos.

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