Brandenburger Spargelsaison: Lohndumping hinter der Spargelspinne

Die Brandenburger Spargelernte beginnt, nach den Absatz-Einbußen im vergangenen Jahr wird die Ausbeutung der Erntehelfer kaum abnehmen

Bücken, graben, stechen, Loch schließen. Und eine weitere Spargelstange landet im Korb. Seit dieser Woche laufen auf Brandenburgs Feldern wieder Erntehelfer*innen der Spargelspinne hinterher, die die Plane über den Erdhügeln anhebt und das Stechtempo vorgibt. Sie leisten Knochenarbeit – und sind nach wie vor häufig von Ausbeutung betroffen.

Am Dienstag hat offiziell die Erntesaison für den Brandenburger Spargel begonnen. Zwischen 4000 und 4500 Saisonarbeiter*innen vorwiegend aus Polen und Rumänien werden wie jedes Jahr erwartet, um bis Mitte Juni die jungen Triebe des Gemüsespargels auszubuddeln. Ein Riesengeschäft, gerade in Ostdeutschlands größtem Spargelanbaugebiet. Doch unter dem Maßstab der Wirtschaftlichkeit und des Profits leiden die Arbeitsbedingungen der meist ausländischen Erntehelfer*innen.

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Der niedrige Ertrag im vergangenen Jahr bietet eine gefährlich gute Grundlage dafür, Absatzprobleme auf die Arbeiter*innen umzulegen. 2022 fuhren Brandenburgs Betriebe auf rund 3800 Hektar Anbaufläche 18 100 Tonnen Spargel ein, der niedrigste Stand seit 2015. Damit landete Brandenburg bundesweit auf Platz drei hinter Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.

Der Landesbauernverband kündigte zu Beginn der diesjährigen Saison bereits eine »Rationalisierung der Arbeitsprozesse« an, um den Absatz anzukurbeln. Denn im vergangenen Jahr wurde ein Teil der Ernte schlicht aus Kostengründen nicht gestochen. Die heimischen Landwirte sehen sich einerseits dem internationalen Marktdruck ausgeliefert. »Natürlich muss man konkurrieren mit Anbaugebieten, die etwas bessere klimatische Bedingungen haben«, sagte der Präsident des Landesbauernverbandes Henrik Wendorff am Dienstag zu RBB24. Dazu kommen gestiegene Energie- und Düngerpreise sowie die Inflation, die Verbraucher*innen auf den Geldbeutel schlägt. Für 2023 sieht Wendorff außerdem eine »hohe Hürde« in dem seit Oktober 2022 auf zwölf Euro gestiegenen Mindestlohn. »Das spiegelt sich dann auch in den Produktpreisen wieder.«

Tatsächlich ist der Anbau von Sonderkulturen wie Spargel oder Erdbeeren arbeitsintensiver als etwa der Getreideanbau, weil sich die Ernte kaum mechanisieren lässt. Vor der Einführung des Mindestlohns in der Landwirtschaft 2018 sagten Studien voraus, dass der Lohnkostenanteil in diesen Bereichen der Landwirtschaft auf bis zu 66 Prozent steigen würde. Kein Wunder also, dass Betriebe den Mindestlohn als Herausforderung und nicht als Selbstverständlichkeit betrachten – und dass immer wieder Fälle von Lohndumping bekannt werden.

Der aktuelle Saisonbericht der Initiative Faire Landarbeit zählt beliebte Arten auf, den Mindestlohn zu umgehen. So schließen zum Beispiel manche Betriebe separat zum Arbeitsvertrag mit den Beschäftigen einen Werkmietvertrag ab, der die Kosten für Unterkunft und Verpflegung regelt. Der Betrag für Kost und Logis wird vom Lohn abgezogen und kann mehr oder weniger frei bestimmt werden. Selbst wenn die Miete damit über der gesetzlichen Grenze liegt, ist das laut Bericht für Betroffene schwer nachzuweisen.

Als Beispiel für diese Praxis nennt der Bericht einen »großen Produzenten von Gurken, Spargel und weiteren Produkten in einer abgelegenen Region in Brandenburg«. Für ein Zweibettzimmer zahlten Beschäftigte dort 360 Euro Monatsmiete pro Person, in den Unterkünften fänden sich weder Küche noch Sanitäranlagen. »Aus Mangel an alternativen Unterbringungsmöglichkeiten sehen sich die Beschäftigten allerdings gezwungen, die Unterkünfte zu diesen Preisen zu akzeptieren.«

Auch über die vorgegebenen Erntemengen drücken landwirtschaftliche Betriebe den Mindestlohn. Im Zuge der Absatzkrise erhöhten zahlreiche Unternehmen die Anzahl der täglich geforderten Kilogramm Spargel, heißt es in dem Bericht. Außerdem umfasst die Saisonarbeit häufig Verträge über Akkordlöhne, die von der geleisteten Arbeit abhängen. Zulässig sind diese Verträge zwar nur, wenn der Stundenlohn nicht den Mindestlohn unterschreitet. Doch wenn Saisonarbeiter*innen kein Deutsch sprechen und nicht über ihre Rechte informiert werden, nutzen Betriebe das laut der »Initiative Faire Landarbeit« aus.

Sebastian Walter, Fraktionsvorsitzender und arbeitspolitischer Sprecher der Linken im Brandenburger Landtag, hält derartige Fälle zwar nicht für die Regel. Es gibt viele Unternehmen, die das sehr ordentlich machen», sagt er «nd». Dennoch gebe es jedes Jahr mindestens ein Dutzend Berichte über ausbeuterische Verhältnisse. Einen wichtigen Schritt habe das Land 2020 mit der Einführung eines Runden Tisches zu guter Saisonarbeit gemacht. «Aber der muss deutlich ausgebaut werden.» Bisher fehlten konkrete Regelungen. «Es muss deutlich mehr Kontrollen geben und die Beratung für Betroffene muss massiv ausgeweitet werden», so Walter.

Laut dem Saisonbericht der Initiative Faire Landarbeit fehlt es in ganz Deutschland an Aufsichtsbeamten, um betriebliche Arbeitsschutzvorschriften tatsächlich zu kontrollieren: Auf einen Kontrolleur kämen demnach über 25 000 Beschäftigte. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) des Zolls kontrollierte 2021 nur 1,1 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe. In Brandenburg fanden in dem Jahr 74 Kontrollen statt, dreimal entdeckte die FKS Verstöße gegen den Mindestlohn.

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