Flüchtlingsgipfel: Es geht um mehr als den Streit ums Geld

Heftiger Schlagabtausch zwischen Bund, Ländern und Kommunen um Kosten und Begrenzung Geflüchteter

  • Gabriele Oertel
  • Lesedauer: 4 Min.
Flüchtlingsunterkunft auf dem Tempelhofer Feld in Berlin (Symbolbild).
Flüchtlingsunterkunft auf dem Tempelhofer Feld in Berlin (Symbolbild).

Der »Tag der Windmühle« am 10. Mai könnte Bundeskanzler Olaf Scholz und Innenministerin Nancy Faeser (beide SPD) zu echten Wiedergängern von Don Quijote und Sancho Pansa machen. Denn welcher Kampf gegen diverse Flügel ihnen bei den Verhandlungen über die Flüchtlingskosten auf dem an jenem Tag anberaumten Bund-Länder-Gipfel bevorsteht, lassen die teils heftigen Vorgeplänkel bereits ahnen. Beobachter halten die Lage für ziemlich festgefahren, und das, obwohl Faeser im Februar eine neue und enge Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen bei diesem schwierigen Thema ankündigt hatte.

Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos), die sich im »Kölner Stadtanzeiger« erst nach den diskussionswütigen Ostertagen meldete, hat immerhin noch Hoffnung. »Ich habe die Erwartung, dass bei der Sonderkonferenz im Mai Lösungen gefunden werden«, erklärte die Kommunalpolitikerin. Man könne mitnichten von einer ausreichenden finanziellen Unterstützung durch Bund und Land sprechen, konterte Reker die Bundesinnenministerin, die entsprechende Nachforderungen aus den Kommunen nach mehr Geld bislang nicht nachvollziehen können wollte. Immerhin betonte Reker auch, dass Menschen, die vor Krieg und Gewalt flüchteten, in Köln immer Schutz fänden. »Aber die Unterbringung und Integration von Geflüchteten gestaltet sich zunehmend schwieriger – nicht nur organisatorisch, auch finanziell.«

Parteiübergreifender Unmut

Das sieht Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) völlig anders. Nachdem er in der »Rheinischen Post« den bisherigen Umfang der finanziellen Beteiligung des Bundes nach dem Motto, die Länder seien in besserer finanzieller Verfassung als der Bund, verteidigt und auf das Engagement des Bundes für die Flüchtlinge aus der Ukraine durch die Übernahme ins Bürgergeld hingewiesen hatte, erntete der FDP-Politiker bereits am Wochenende eine Menge Gegenwind. Ob nun Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU), sein Amtskollege aus Thüringen Bodo Ramelow (Linke) oder Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) – sie alle sind sich unabhängig ihrer Parteizugehörigkeit ziemlich einig: Der Bund macht sich einen schlanken Fuß, zahlt zu wenig und die zugesagten zusätzlichen 2,75 Milliarden Euro sind entschieden zu gering.

Rhein will die Summe verdoppelt sehen. Klar sei gewesen, dass mit steigenden Flüchtlingszahlen auch die Hilfssumme aus Berlin anwachsen müsse. Herrmann sieht ein übles Foul auf dem Rücken von Ländern und Kommunen und fordert von der Ampel, aus dem »Elfenbeinturm« zu kommen und sich der Realität zu stellen. Es müssten auch die Gesundheitskosten, die Kosten für Kita und Schule und vieles miteingerechnet werden. Ramelow macht auf Twitter gar ein »vollständiges Versagen« des Bundes und Verantwortungslosigkeit aus. Jetzt sollten die Landkreise, Gemeinden und Städte alleine gelassen werden.

Forderungen und Alarmismus

Dass sich dabei der Unmut bei Weitem nicht allein im monetären Bereich bewegt, ist ganz offensichtlich und wird vom Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, auf ein höheres Level gehoben: Er fordert von der Ampel in Berlin kurzerhand unter Verweis auf die nach seiner Meinung längst erreichte Belastungsgrenze der Städte und Gemeinden und ungeachtet von Faesers ablehnender Haltung zur Begrenzung der Geflüchtenzahlen, weniger Flüchtlinge aufzunehmen und sich parallel für eine bessere Verteilung von Schutzsuchenden auf europäischer Ebene einzusetzen. Landsberg konkretisiert in einem Interview der Zeitungen der Funke-Mediengruppe sein Begehr, indem er ganz generell einen »Kraftakt« verlangt, in dem Deutschland als größte Wirtschaft der EU seinen Einfluss ausübe, um die Außengrenzen besser zu schützen, die Asylverfahren deutlich zu beschleunigen, die Herkunftsländer von Ausreisepflichtigen dazu zu bringen, ihre Staatsbürger zurückzunehmen, und eine gerechte Verteilung innerhalb der EU sicherzustellen.

Noch einen Zacken schärfer sind die Äußerungen des Vizechefs der Deutschen Polizeigewerkschaft Heiko Teggatz gegenüber »Bild«. Er attestiert der Ampel kurzerhand »Realitätsverlust«. »Keinen Grenzschutz, keine Obergrenze, kein Geld für die Kommunen. Das ist ein gefährlicher Cocktail, der die Stimmung im Land kippen lässt.«

Ganz abgesehen von diesem speziellen und »Bild«-gemäßen Alarmismus ist es angeraten, dass die Ampel sich am Tag der Windmühle warm anzieht. Und das nicht, weil am Morgen nach dem Sondergipfel gerade die »Eisheiligen« im Lande grassieren.

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