IWF warnt vor einer neuen Blockbildung

Zunehmende geopolitische Spannungen könnten der globalen Ökonomie langfristig schaden, warnt der IWF

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.
Die geopolitischen Spannungen haben auch Folgen auf globale Kapital- und Warenströme.
Die geopolitischen Spannungen haben auch Folgen auf globale Kapital- und Warenströme.

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine, die zunehmenden Spannungen zwischen China und den USA: Das alles hat Auswirkungen auf die globalen Handelsbeziehungen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) warnt deshalb vor den Risiken der gegenwärtigen geopolitischen Konflikte für die Weltwirtschaft. Insbesondere die Auswirkungen auf die internationalen Kapitalströme machen der Finanzinstitution dabei Sorgen: »Eine Fragmentierung ausländischer Direktinvestitionen aufgrund der Entstehung geopolitischer Blöcke kann langfristig zu großen Leistungsverlusten führen«, schreibt der IWF in seiner am Dienstagnachmittag veröffentlichten Konjunkturprognose. Die globale Wirtschaftsleistung könne dadurch um zwei Prozent sinken.

In der Weltwirtschaft läuft es laut dem IWF sowieso schon nicht sonderlich rund. Die Organisation senkte deshalb ihre Prognose für das globale Wirtschaftswachstum in diesem Jahr leicht auf 2,8 Prozent – im Vergleich zu 3,4 Prozent im Jahr 2022. Im Januar war der IWF für dieses Jahr noch von 2,9 Prozent ausgegangen. Insbesondere die Wirtschaft in den reichen Industrienationen lahmt demnach.

»Wir treten in eine riskante Phase ein, in der das Wirtschaftswachstum im historischen Vergleich niedrig bleibt und die finanziellen Risiken zugenommen haben, ohne dass die Inflation bereits eine entscheidende Wende genommen hat«, schreibt IWF-Chefvolkswirt Pierre-Olivier Gourinchas im Vorwort des Berichts. Dabei bereiten ihm auch die jüngsten Turbulenzen auf den Finanzmärkten Kopfzerbrechen. »Das Finanzsystem könnte noch mehr auf die Probe gestellt werden. Nervöse Anleger suchen oft nach dem nächst schwächeren Glied«, warnt Gourinchas. So müssten Regierungen und Zentralbanken derzeit auf dem schmalen Grad zwischen Inflationsbekämpfung und Stabilisierung des Finanzsystems balancieren.

Den möglichen Auswirkungen der zunehmenden geopolitischen Spannungen auf die Weltwirtschaft widmet der IWF das vierte und letzte Kapitel in seinem Bericht. »Der Brexit, die Handelsspannungen zwischen den USA und China und die Invasion Russlands in der Ukraine stellen Herausforderungen für die internationalen Beziehungen dar und könnten zu einer Umkehrung der globalen wirtschaftlichen Integration führen«, schreibt der IWF in dem Kapitel. Dieser Prozess werde als geoökonomische Fragmentierung bezeichnet und umfasse verschiedene Aspekte wie Handel, Kapital- und Migrationsströme.

Unternehmen und Politik würden zunehmend auf Strategien achten, ihre Produktionsprozesse in vertrauenswürdige Länder mit ähnlichen politischen Präferenzen zu verlagern, um die Lieferketten weniger anfällig für geopolitische Spannungen zu machen. So habe US-Finanzministerin Janet Yellen jüngst erklärt, US-Firmen sollten ihre Lieferketten in befreundete Länder verlagern, statt mit Ländern zusammenzuarbeiten, mit denen die USA Spannungen haben. In der EU habe Frankreich eine »Made in Europe«-Strategie gefordert, um dem US-Investitionsprogramm IRA zu begegnen, das die heimische Produktion bevorzugt. Auch in China zielten Maßnahmen der Regierung darauf ab, importierte Technologien durch heimische Alternativen zu ersetzen und sich so unabhängiger von geopolitischen Rivalen zu machen.

So hat der IWF bereits eine Abnahme der globalen ausländischen Direktinvestitionen festgestellt. Lagen diese in den 2000er Jahren noch bei 3,3 Prozent der Wirtschaftsleistung, so waren es zwischen 2018 und 2022 nur noch 1,3 Prozent. Dabei seien die Fragmentierung der Kapitalströme entlang geopolitischer Bruchlinien und das mögliche Entstehen regionaler Blöcke neuartige Phänomene, die große negative Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben könnten, warnt der IWF.

Durch eine Zunahme der geopolitischen Spannungen würden sich die ausländischen Direktinvestitionen wahrscheinlich innerhalb der Blöcke befreundeter Staaten konzentrieren. Die negativen Folgen dieser Entwicklung wären ungleich verteilt. Besonders träfe dies Schwellen- und Entwicklungsländer mit weniger engen Verbindungen zu den reichen Industriestaaten.

Dabei geht der IWF in einem Basisszenario von zwei vorherrschenden Wirtschaftsblöcken aus: die USA auf der einen und China auf der anderen Seite sowie Indien, Indonesien, Lateinamerika und die Karibik als blockfreie Regionen. In diesem Szenario wären die Verluste im durch China dominierten Block größer, doch auch die Verluste im US-dominierten Block seien nicht zu vernachlässigen. Würden die EU ebenfalls blockfrei bleiben, würde dies die negativen Auswirkungen für die EU und China deutlich reduzieren. Jedoch besteht dabei für die EU die Gefahr, dass es zu höheren Handelsschranken zwischen der EU und den USA kommen könnte, was wiederum die Kosten der Blockfreiheit für die EU erhöhen könnte.

Letztlich werden die Kosten einer solchen neuen Blockbildung hoch sein. Auch wenn es durchaus Gewinner einer solchen Entwicklung geben könne, wären diese Gewinne mit erheblicher Unsicherheit behaftet. »Die Analyse des Kapitels legt nahe, dass eine fragmentierte Weltwirtschaft wahrscheinlich ärmer sein wird«, prophezeit der IWF.

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