»Indigo Waves«: Expeditionen am Afrasischen Meer

Die Berliner Ausstellung »Indigo Waves« führt künstlerische Arbeiten aus an den Indischen Ozean grenzenden Regionen zusammen

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 5 Min.
Sandabbau für Megastädte: Eine in Singapur aufgenommene Fotografie aus dem Projekt »Shifting Sands« (2017) von Sim Chi Yin
Sandabbau für Megastädte: Eine in Singapur aufgenommene Fotografie aus dem Projekt »Shifting Sands« (2017) von Sim Chi Yin

Kontinente zusammendenken, das ist das Motto der Ausstellung »Indigo Waves and Other Stories« in den Berliner Ausstellungshäusern Gropius-Bau und Savvy Contemporary. Als Leitmotiv, unter dem die Arbeiten von 45 Kunstschaffenden präsentiert werden, dient die Auseinandersetzung mit dem Indischen Ozean.

Doch wie viele Begriffe ist auch »Indischer Ozean« in die Kritik geraten – er spiegele eine koloniale Perspektive. Deswegen schlägt die von Natasha Ginwala, Bonaventure Soh Bejeng Ndikung und Michelangelo Corsaro kuratierte Ausstellung »Afrasisches Meer« als Alternativbegriff vor.

Ein Meer trennt. Es kann aber auch verbinden. Eine große farbige Karte führt im Gropius-Bau Kenia, Äthiopien und Somalia mit dem Jemen und Oman im Norden sowie Indien, Malaysia, Vietnam und Indonesien weiter östlich und schließlich ganz im Süden Australien zusammen. Viele kleinere Inseln und Archipele sind eingezeichnet. Quer über die Karte zieht sich in roter Farbe die Aufschrift »Islands of the Indian Ocean are not for sale« (Inseln des Indischen Ozeans sind unverkäuflich). Da hat sich der Begriff »Indischer Ozean«, der ja wegkuratiert werden sollte, zwar flugs wieder eingeschrieben in die Ausstellung. Ein wichtiges Thema ist aber gesetzt: die kapitalistische und kolonialistische Ausbeutung sowie der Widerstand dagegen.

Das findet man an allen Uferzonen dieses Gewässers. Historische Spurensuchen stellen daher einen wichtigen Teil der Ausstellung dar. Shiraz Bayjoo aus Mauritius förderte aus Archiven vor Ort und in Europa Geschichten von madegassischen Königinnen und Fischern aus Kapstadt zutage. Er druckte ihre Porträts auf Textilien. Auch Pflanzen, manche längst verschwunden, sowie traditionelle Zeichen sind auf Textil gedruckt. Bayjoo sieht sie als Relikte ausgelöschter und unterdrückter Gesellschaften, zugleich aber auch als mögliche Kristallisationspunkte von Aufbegehren und Selbstbestimmung.

Kelani Abass aus Nigeria widmete sich den eigenen Familienarchiven. Setzkästen historischer Druckerpressen – wie seine Familie eine besaß – nutzt er für Installationen aus Objekten und Dokumenten. Eindrucksvoll ist seine Bodeninstallation »The Root across the Walking Path«. Wundersam geformte Teile von Wurzeln sind als Großornament auf dem Boden ausgelegt. Sie wirken wie Hindernisse in tropischen Wäldern und erinnern gleichzeitig an Knochen. Man kann sie mit Überresten erlegter Tiere assoziieren, aber auch mit Menschen, die Opfer von Gewalttaten wurden – sei es in Kriegen und Massakern oder durch die Dauerausbeutung in der Plantagenwirtschaft und im Bergbau.

Dass eine derartige Ausbeutung von Mensch, Landschaft und Natur weiter an der Tagesordnung ist, thematisiert die aus Singapur stammende Künstlerin Sim Chi Yin. Sie weist auf den Hunger der westlichen wie der östlichen Industriestaaten auf das Material Sand hin. Vor allem in Indien und Vietnam wird massiv Sand abgebaut. Er ist Rohstoff für die Hochhäuser der Mega-Cities in Asien, sei es in China, Malaysia, Indien oder Singapur. Der Sandabbau stellt einen massiven Eingriff in die Flusssysteme dar – mit Folgen wie Überschwemmungen und Erdrutschen. Fotos der Millionenstädte kontrastieren mit Fotos von den zerstörten Flusslandschaften. Sim Chi Yins Installation ist ein Beleg dafür, dass Ausbeutungspraktiken nicht immer nur anhand der Ost-West- oder Nord-Süd-Dichotomie untersucht werden sollten, sondern auch regional zu Verwerfungen führen.

Auf poetische Weise nimmt die US-amerikanische Künstlerin Clara Jo Ausbeutungs- und Eroberungspraktiken in den Blick. In ihrem Videoessay »Nests of Basalt, Nests of Wood« (Nester aus Basalt, Nester aus Holz) nimmt sie die Perspektive von Vögeln auf der Insel Mauritius ein. Die Vögel erzählen von ungefiederten Zweibeinern, die das Eisen »gezähmt« haben und mit ihren stählernen Klauen immer tiefer ins Tierhabitat eindringen. Die Zweibeiner bauen Häuser aus Stein, sie quälen andere ungefiederte Zweibeiner, die in Häusern aus Holz wohnen. Rassistische Praktiken mischen sich mit Eroberungsszenarien. Allerdings sind die »Nester« aus Holz mittlerweile verschwunden, und die aus Stein sind nur noch in Rudimenten vorhanden, wie die Fotos von Ruinen im Dschungel belegen. Die Vergeblichkeit des Kolonisierens wird so in Szene gesetzt.

»Indigo Waves« führt sehr unterschiedliche künstlerische Arbeiten zusammen. Nicht alle erschließen sich auf den ersten Blick. Das Zusammendenken der Gesellschaften am Rande des Afrasischen Meers ergibt aber Sinn, sowohl im Rückgriff auf indigene Traditionen als auch im Erzählen sehr ähnlicher Ausbeutungs- und Unterdrückungserfahrungen. Allerdings hätte man die einzelnen Perspektiven stärker miteinander in Beziehung setzen sollen. Sie werden nicht miteinander, sondern nebeneinander präsentiert, als einzelne Arbeiten und nicht in einem narrativen System.

Verbindendes Element im Gropius-Bau ist daher auch eine Installation aus einer anderen Ausstellung. Daniel Boyds Bodeninstallation im Lichthof des Gropius-Baus mit ihren runden Spiegelflächen inmitten eines blauen Untergrunds wird zum Meer, das bis zu den einzelnen Arbeiten von »Indigo Waves« ausgreift und sie so in Beziehung zueinander setzt. Überhaupt ist die Ausstellung »Rainbow Serpent« des australischen Künstlers, die sich auf indigene Traditionen auf dem fünften Kontinent bezieht, eine kongeniale Erweiterung von »Indigo Waves«. Man neigt dazu, es für kuratorisch gewollt zu halten, und nicht nur für einen glücklichen Zufall im Ausstellungskalender.

»Indigo Waves and Other Stories. Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora«, bis vom 6. bis zum 13. August im Gropius-Bau und vom 20. April bis zum 4. Juni bei Savvy Contemporary, Berlin

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