Bessere Kontrolle mit Armin

Apothekerverbände und Kassenärzte einig bei Medikationsmanagement

Arzneimittelsicherheit bezieht sich nicht nur auf Herstellung und Bereitstellung von Medikamenten. Wichtig ist bei der Verordnung rezeptpflichtiger Mittel, dass Ärzte und Apotheker unerwünschte Wirkungen und Wechselwirkungen erkennen und vermeiden. Das wird jedoch mit jedem zusätzlichen Wirkstoff schwieriger. Andererseits ist die Polypharmazie, von der ab fünf dauerhaft genommenen Medikamenten gesprochen wird, insbesondere unter älteren Patienten mit mehreren Erkrankungen weit verbreitet. Befördert wird dies auch dadurch, dass die Kranken von verschiedenen Ärzten immer neue Mittel verordnet bekommen, etwa weil neue Symptome hinzukommen oder Tabletten diese sogar auslösen.

Das Problem ist komplex, und bisher bestehende Lösungsansätze greifen in der Regel zu kurz. Medikationsanalysen werden teils von den Krankenkassen angeboten. Das setzt allerdings voraus, dass die Versicherten sie selbst anfordern und dann von beauftragten Ärzten durchführen lassen. Abgerechnet werden kann ein solcher Medikamentencheck auch von Apotheken, der zeitliche Aufwand scheint sich aber für diese kaum zu rechnen. Nicht regelhaft wird die Aufgabe von den jeweils behandelnden Ärzten wahrgenommen, theoretisch erfordert das in schwierigen Fällen eine mehrseitige Konsultation über die sinnvollste Medikation.

Angesichts des Problems, das sich mit den weiter wachsenden Kohorten älterer, multimorbider Patienten verstärkt, startete im Jahr 2014 eine regionale Initiative in Thüringen und Sachsen, bei der Ärzte und Apotheker mit der Krankenkasse AOK Plus zusammenwirkten. Die Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen firmiert unter der Abkürzung Armin, das Projekt dauerte bis 2022. Jetzt wurden in Berlin die Ergebnisse der externen wissenschaftlichen Evaluation vorgestellt.

Armin brachte für die beteiligten Heilberufler nicht nur einen vergüteten Mehraufwand und eine intensivere Betreuung für die Versicherten von AOK Plus, die sich dafür registrierten. Ärzte erhielten zwei Instrumente in die Hand, die ihnen die Arbeit erleichterten. Das erste Modul nennt sich Wirkstoffverordnung – gemeint ist damit, dass der Behandler herstellerneutral nicht nur den Wirkstoff auswählt, sondern diese Verordnung auch auf das Rezept gedruckt wird. Normalerweise verschreiben Ärzte jeweils das konkrete Medikament eines Herstellers. Eingeschränkt wird die Auswahl außerhalb von Armin etwa durch Rabattverträge der Kassen mit Herstellern. Abhängig davon ist der Zuzahlungsbetrag der Patienten variabel.

Das zweite Modul war ein Medikationskatalog, erarbeitet von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Mit seiner Hilfe soll die Versorgung einerseits leitliniengerecht und patientenorientiert, aber auch wirtschaftlich erfolgen. Der Katalog wurde für 14 in der Altersgruppe ab 65 besonders relevante Indikationen erstellt. Es ging also um die stärksten Empfehlungen für die Behandlung von Krankheiten wie Hypertonie, Osteoporose, Depression oder Diabetes mellitus Typ 2.

Das dritte Modul ist das eigentliche Medikationsmanagement. Hierfür mussten sich Versicherte von AOK Plus bei Interesse einschreiben. Am Ende taten das etwa 5000 Menschen. Für sie erstellten die eingebundenen Apotheker jeweils einen Gesamtmedikationsplan, der dann sowohl vom Arzt also auch vom Apotheker überprüft und optimiert wurde. Eingeschlossen und vergütet war hier auch die Rücksprache mit den Patienten.

Wissenschaftlich überprüft wurde das Projekt vom Universitätsklinikum Heidelberg in Kooperation mit dem Aqua-Institut, das zu Qualitätsfragen im Gesundheitswesen forscht. Genutzt wurden dafür AOK-Plus-Routinedaten sowie persönliche Befragungen aller Beteiligten bis hin zu den Patienten. Wichtigster Effekt: Die intensive Patientenbetreuung senkt die Sterblichkeit. Denn Patienten, die am Medikationsmanagement teilnahmen, hatten im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ein um 16 Prozent verringertes relatives Risiko zu versterben. Die Präsidentin der Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände (Abda), Gabriele Regina Overwiening, resümierte stellvertretend für die Berufsgruppen: »Zusammen können wir Leben retten.«

Drei Viertel der Patienten hatten im Ergebnis die Überprüfung ihrer Medikation durch Hausarzt oder Apotheker befürwortet. Beide Berufsgruppen konnten offensichtlich bei dem Thema gut kooperieren. Neun von zehn Ärzten unterstützten die Erfassung der jeweiligen Gesamtmedikation durch einen Apotheker.

Die große Frage ist, wie das Armin-Konzept Eingang in die flächendeckende Versorgung finden kann. Die beteiligten regionalen Apothekerverbände und Kassenärztlichen Vereinigungen würden die Fortführung begrüßen, ebenso die AOK Plus. Aus Kassensicht hat sich die Vergütung der Fachgruppen gelohnt, denn die Gelder wurden laut AOK-Plus-Vorstand Rainer Striebel zum erheblichen Teil durch Einsparungen refinanziert. Ein starkes Argument sei neben der gesenkten Sterblichkeit, dass das Vorgehen sich bereits im Versorgungsalltag bewährt habe.

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