Stuckrad-Barres »Noch wach?«: Ein bisschen MeToo für sexy Frauen

Benjamin von Stuckrad-Barre hat seinen druckfrischen Roman »Noch wach?« präsentiert

  • Charlotte Szász
  • Lesedauer: 5 Min.

Am Mittwochabend hat Benjamin von Stuckrad-Barre, Autor von Klassikern der deutschen Popliteratur wie »Soloalbum« und »Panikherz«, sein neues Buch im Berliner Ensemble vorgestellt. Es heißt »Noch wach?«, ein Zitat aus einer nächtlichen SMS, die im Buch ein Chefredakteur an seine Mitarbeiterin schickt. Seitdem der Roman im Verlag Kiepenheuer und Witsch angekündigt wurde, gab es Spekulationen, inwieweit das Buch sich mit den derzeitigen Skandalen rund um den Axel Springer Verlag beschäftigen würde.

Besonders an dieser Veröffentlichung war dazu, dass im Vorfeld keine Rezensionsexemplare an die Presse ausgegeben wurden, wohl aus Angst, die Auslieferung könnte durch eine Klage auf Wahrung von Persönlichkeitsrechten verhindert werden. Denn das Thema war durchgesickert: Es geht in dem Buch um sexuelle Belästigung in Abhängigkeitsverhältnissen, kurz »MeToo«. Nur die Wochenzeitung »Die Zeit«, die ihre Rezension am Veröffentlichungstag schon um 10 Uhr morgens online stellen konnte, hatte wohl ein Exemplar. Und der »Spiegel«, der ein großes Interview mit dem Autor veröffentlichte, in dem dieser immer wieder die Feststellung zu umgehen versuchte, dass er die Wirklichkeit direkt in Romanform übertragen habe. Seit Mittwoch kann man das Buch erwerben. Darin ist zu lesen: »Dieser Roman ist in Teilen inspiriert von verschiedenen realen Ereignissen, er ist jedoch eine hiervon losgelöste und unabhängige fiktionale Geschichte.«

Benjamin von Stuckrad-Barre kommt mit Falcos Song »Out of the Dark (Into the Light)« zu seiner ersten Buchvorstellung auf die Bühne des Berliner Ensembles. Die Zuschauer sollen direkt wissen, dass es hier jetzt um Aufklärung geht, darum, Licht ins Dunkel zu bringen. Aber auch darum, dass die Person Stuckrad-Barre jetzt wieder zurück ist. Er will wieder im Licht stehen. Wiederholt sagt er über sein Buch: »Ich hab ja nur kurz reingeblättert – es soll ja sehr gut sein.«

Und – es geht wirklich viel direkter als gedacht um Julian Reichelt, den ehemaligen Chefredakteur von »Bild«, dem Übergriffigkeiten vorgeworfen wurden, und Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel-Springer-Verlagsgruppe. Diese Perspektive kann Stuckrad-Barre nur erzählen, weil er mit Betroffenen gesprochen hat. Bekannterweise hat der Autor jahrelang ein monatliches Honorar von Springer bezogen. In »Die Zeit« war zu lesen, dass es Gerüchte gebe, dieses Honorar habe monatlich 40 000 Euro betragen. Und so wird die Medien-CEO-Gestalt in dem Buch als »mein Freund« beschrieben. Den Chefredakteur dagegen, den kann der Ich-Erzähler gar nicht leiden. Und die Freundschaft mit dem CEO zerbricht dann an dem übergriffigen Verhalten des Chefredakteurs, da ersterer gegen die Untaten des letzteren nicht einschreiten will.

In einem der vorgelesenen Kapitel geht es um die Begehung eines Neubaus direkt gegenüber vom »fiktiven« Medienhaus, das sehr an den Neubau gegenüber vom Axel-Springer-Hochhaus erinnert, der von 2016 bis 2020 gebaut wurde, was ungefähr in die Zeit fällt, als Stuckrad-Barre dieses Honorar bezog. Der Ich-Erzähler stellt sich als Narr am Hofe des Herrschenden, seinem Freund, dar. Er ist irgendwie auch als Freund, irgendwie auch zur Belustigung eingeladen. Und dann wird er ganz beiläufig mit der harten Wirklichkeit einer Frau konfrontiert, die einem »Fummel-Opi« ausgesetzt ist. Nachher, als er die Frau näher kennenlernt, fragt er sie, ob sie nicht mal dem Betriebsrat Bescheid gegeben hätte. Diese winkt dazu ab. Der könne nichts für sie tun. Und so formiert sich eine Gruppe, die versucht, den feudalen Chefredakteur zu entmachten.

Die Lesung der Kapitel wird immer wieder unterbrochen von Stuckrad-Barres Verweisen darauf, dass das alles ja nur Fiktion sei. Dann lacht er. Er macht sich über Wortfetzen aus der Berichterstattung über sein Buch lustig. Dass es ein »gesellschaftliches Thema« sei, ein »Schlüsselroman«. Der Ernst der Lage entgleitet einem aber auch bei der Lesung, etwa wenn der Ich-Erzähler Witze über eine Betroffene macht, begleitet von: »Aber ist ja latte, uns verbindet eine Erfahrung, und wir wollen, dass sich da jetzt was ändert. Und zwar für alle Frauen. Auch für die, die so ein bisschen scheiße sind.« Irgendwie nimmt man ihm das nicht ab. MeToo scheint hier nur für sexy Frauen zu sein: »Bei einer Bewerbung und bei jedem einzelnen Karriereschritt geht es vor allem darum, ob du gute Titten hast, lange dünne Beine und ’n geilen Arsch«. Stuckrad-Barre beendet den Abend, indem er Deine-Mutter-Witze über eine »Bild«-Redakteurin macht.

Bizarr nah an den tatsächlichen Umständen lebt das Buch von seinem Skandal. Es fällt einem schwer, abzuschalten und sich in den Text fallen zu lassen, der gar nicht mal so schlecht klingt. Eigentlich klingt es textlich richtig gut. Aber bei dem ganzen Medienrummel, den der Autor auch selbst forciert hat, geht die Intimität zum Text verloren. Das Aufgedrehte, Aufgeregte der aggressiven Buchbewerbung auf Instagram, wo er vorab Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, wie Linda Zervakis und Caren Miosga, dazu eingeladen hatte, mit ernster und lustiger Miene die Kapitelüberschriften des Buches zu lesen. Hatte das Buch das wirklich nötig? Nicht zuletzt steht am Ende des Abends die Frage im Raum, wer bei seinem Tanz auf dem Vulkan jetzt den Enthüllungsartikel über Benjamin von Stuckrad-Barre schreibt. Schöner wäre es gewesen, er hätte einem Lust gemacht, das Buch zu lesen, das es wahrscheinlich wert wäre.

Benjamin von Stuckrad-Barre: Noch wach? Kiepenheuer und Witsch, 386 S., geb., 25 €.

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