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Deutsch-Rap: Teenager knabbern hart am Kapitalismus

Der neue Deutschrap ist nicht mehr so machistisch und stumpf: Symba will am liebsten einfach chillen

  • Ralf Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.
Ohje: »Auf einmal soll ich dann erwachsen sein«, sorgt sich Symba
Ohje: »Auf einmal soll ich dann erwachsen sein«, sorgt sich Symba

Die offizielle Saga über Deutschrap geht so: Nach den ersten – eher peinlichen – Gehversuchen gymnasialer Weißbrote tauchten die zumeist migrantisch geprägten Ghettokids with Attitude auf und übernahmen beinahe kampflos das komplette Game. Vor allem die aggressiv auftretenden Sprechgesangsinterpreten aus dem westlichen Teil der Hauptstadt prägten mit ihrer musikalischen Darstellung einer überbordenden patriarchalen Erlebniswelt weit über ein Jahrzehnt das Genre.

Verbalinjurien gegen Homosexuelle, Frauen und metrosexuelle Männer gehörten zur Tagesordnung. Die rappenden Jungmänner bemängelten in ihren musikalischen Inszenierungen den gesellschaftlichen Machtverlust, der mit dem eigenen machistischen Weltbild nicht zu vereinbaren war. Es galt, die eigene virile Herrlichkeit durch eine omnipotente Inszenierung als rappende Über-Pimps wiederherzustellen. Dementsprechend tobte sich die gekränkte Männlichkeit aus.

»Eine Schande für den Mann, in den Po gefickt«, reimten damals G-Hot und Kralle um am Ende des Lieds »Keine Toleranz« dem Publikum zu versichern, dass ihr Arsch »für immer eine Einbahnstraße« bleibt. Hinter diesem Hass auf Schwule und alle Frauen außer Mutti verbarg sich der unausgesprochene Wunsch, jene traditionelle Rollenverteilung wiedereinzuführen, in der alle Führungspositionen automatisch Männern zufallen.

Doch seit dieser Zeit hat sich einiges geändert. Eine neue Generation Berliner Nachwuchsrapper, deren ästhetischer und musikalischer Bezugspunkt in den Südstaaten der USA liegt, ist in den letzten Jahren auf der Tanzfläche aufgetaucht. Ob nun Yin Kalle, Symba, Lucio101, Pashanim, Soho Bani oder die Crew BHZ, sie allesamt ahmen wie ihre hypermaskulinen Vorgänger im Deutschrap selbstverständlich Vorbildern aus dem Homeland of HipHop nach. Als Inspirationsquelle dient ihnen aber die aus den Stilrichtungen wie Crunk und Down South hervorgegangene Trap Music. Deren Hauptmerkmal ist ein eher elektronischer, in jedem Fall clubtauglicherer Sound.

Der Name Trap entlehnt sich dem amerikanischem Slang. Bekannt wurde der sondersprachliche Wortschatz für einen Drogenumschlagplatz durch die aus Atlanta stammende Dungeon Family, zu der auch die Rapper Big Boi und André 3000 gehörten. Eine große Popularität genießt hierzulande jene Variation des Trap, die sich mit Synthesizer-lastigen Produktionen sehr an die Electronic Dance Music anlehnt. In den Songs spiegelt sich der urbane Lifestyle einer verlorenen Generation wieder. Wie auch bei den amerikanischen Vorbildern dreht sich alles um die kurzweilige Verbesserung des kapitalistischen Alltags mittels Narkotika und den darauffolgenden Vergnügungen.

»Stell’ mir keine Fragen, lass mich bitte einfach chillen«, rappt Symba treffend im Song »Leben ist gefährlich«. Der Track auf seinem Anfang des Jahres veröffentlichten Album »Symba Supermann« beschreibt die ständige Ungewissheit im kapitalistischen Alltag, an der Teenager am härtesten zu knabbern haben. Musikalisch aufgefangen wird dieses lyrischen Hadern mittels melancholischer Melodien auf technoiden Afrobeats. »Auf einmal soll ich dann erwachsen sein«, bringt Symba die Schwermut über das Ende einer unbeschwerten Jugend auf den Punkt.

Die elf Tracks des Albums verbinden den Abschied dieses Lebensabschnittes nicht nur mit den Sorgen eines jungen Erwachsenen sondern referieren selbstverständlich auch auf all die Placebos, welche den inneren Schmerz betäuben sollen. Ob nun die individuelle Selbstüberhöhung durch Alkoholkonsum, Markenklamotten, Drogenexzesse oder der bedingungslose Schwur auf ewige Freundschaften, hier unterscheidet sich keine Generation von der vorherigen.

Der lyrische Umgang mit dem eigenen Alkohol- und Drogenkonsum kratzt in seinen besten Momenten am Lack der Gesellschaft, zu oft ist es aber nur die Begleitmusik zum persönlichen Abriss bis hin zur vorübergehenden Amnesie. Die omnipotente Inszenierung von einst ist einem narkotisierenden Abfeiern des eigenen kümmerlichen Daseins beziehungsweise individuellen Dahinfristens gewichen. Diese Veränderung fällt sogar Szeneveteranen auf. Bass Sultan Hengzt begrüßte im »Karrieorakel« des Magazins »16BARS« zwar die verbale Abrüstung: »Hätten wir das hier vor zehn Jahren gemacht, mit den Leuten die vor zehn Jahren am Start waren, Newcomern, dann hätten wir hier nur Mütter beleidigt«. Dennoch betonte der 42-jährige Rapper fehle ihm »persönlich das Aggressive«.

Doch das Label »Aggro Berlin« ist Geschichte. Weder Flow noch Swag. Der ewig rappende Zuhälter hat sich derzeit in popkulturelle Sphäre verabschiedet, die kaum noch ein Heranwachsender wagt zu betreten. Seine Nachfolger rauschen dagegen durch die Decke.

Symba: »Symba Supermann« (Columbia/Sony)

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