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Älterwerden: »Das heißt, wir sind frei«

Im Sammelband »Wechselhafte Jahre«, herausgegeben von Bettina Balàka, schreiben Schriftstellerinnen übers Älterwerden

  • Marit Hofmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Die öffentlich-rechtliche Comedyshow »Ladies Night« kann zu Hitzewallungen und Stimmungsschwankungen führen, die manch eine Zuschauerin irrtümlich der Menopause zuschreibt. Wenn Kabarettistinnen sich ohne das sprichwörtliche Blatt vor der Vulva über Scheidentrockenheit, verunglückten Sex im Alter und Wechseljahre beömmeln und sich selbstironisch niedermachen, können die mitgeschleppten Gatten im Publikum derlei Herrenwitz aus Damenmund bestens goutieren.

Das letzte Tabu scheint gefallen. Oder soll man sagen: die letzte Hülle? Als das Modemagazin »Madame« im vergangenen Jahr eine »Meno-Mission« ins Leben rief (»Nicht nur die Menstruation, auch die Wechseljahre sind ein Politikum. Es ist Zeit für die nächste Revolution in Sachen Frauengesundheit«), blieb nicht lange unklar, wer hier missioniert werden soll: »Die Werbebranche übersieht die Zielgruppe der 50 plus häufig.«

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Doch es gibt auch vielversprechende Entwicklungen. Während der Online-Salon »Palais F*luxx« Frauen über 47 ein Forum bietet und gegen Altersdiskrimnierung kämpft, erscheint nun eine literarische Anthologie, in der Schriftstellerinnen das Thema Älterwerden angehen. Literatur oder Lebenshilfe? Feminismus oder »Brigitte Woman«? »Es fehlen gesellschaftlich etablierte Formen, über das Altern als Frau anders als im Modus des Defizits und seiner Behebung (›so bleibst du attraktiv für deinen Mann‹) oder medizinischer Fürsorge zu sprechen«, beklagt Ulrike Draesner und umreißt damit die Programmatik des von Bettina Balàka herausgegebenen Bands »Wechselhafte Jahre. Schriftstellerinnen übers Älterwerden«.

Die Texte des im österreichischen Leykam-Verlag erschienenen Bandes sind nach dem Alter der meist österreichischen oder deutschen Autorinnen geordnet, beginnend mir der jüngsten, Katja Oskamp, Jahrgang 1970, und mit Renate Welsh, Jahrgang 1937, endend. So unterscheiden sich die Themen je nach Lebensphase: von der Situation der der heteronormativen Kleinfamilie entflohenen oder der verlassenen Frau – sei es vom Lebensgefährten, der noch mal eine neue Familie mit einer Jüngeren gründet, sei es von den flügge gewordenen Kindern – bis zu Einsamkeit und Krankheit, aber auch einer »Jetzt kann ich mir alles erlauben«-Haltung respektive Närrinnenfreiheit im hohen Alter. Die Perspektive kinderloser oder queerer Frauen kommt leider kaum vor.

Von der Schwierigkeit, sich von der tradierten Rolle zu lösen, handeln denn auch einige Texte. Katrin Seddig etwa, die als »durch Geburt in der DDR dem Mann bereits gleichgestellte Frau« ganz anders werden wollte als ihre Mutter, erschien der Feminismus zunächst »ein Hobby der ›besseren‹ Mädchen« im Westen – bis sie sich selbst in der Mutterfalle wiederfand und plötzlich in der privaten Welt feststeckte. Seddigs Essay liest sich wie die autobiografische Grundierung ihres ebenfalls gerade erschienenen Romans »Nadine« (Rowohlt Berlin, 304 Seiten, 24 Euro), in dem sich die zunehmend wütende Protagonistin nach dem Suizid ihrer Tochter von ihrer Rolle als brave Ehefrau, besorgte Mutter, aufopfernde Tochter und ausgebeutete Rechtsanwaltsgehilfin emanzipiert und sich mit einer anderen aus der Rolle fallenden Frau verbündet.

»Der Wechsel ist auch nur ein gigantisches Geschäft für die Konzerne«, schreibt Linda Stift zum in diesem Band omnipräsenten Thema der weiblichen Körpernormen, die auch vor dem Alter nicht haltmachen. »Zuerst wollen sie einer jedes Jahr eine neue Diät aufschwatzen, nun eben vermeintliche Erleichterungen für die zweite Hälfte des Lebens«. Marlene Streeruwitz ergänzt: »Das wird auch der Hauptgrund für den jetzigen Diskurs über die Menopause sein. Die Anpassung an die Arbeitswelt … Es wird wohl so sein wie mit der Menstruation. Die war ein Tabu, solange sie nicht ausbeutbar war.« Doch bei aller reifen Abgeklärtheit kommen gar wieder Sisterhood-Träume auf: »Vielleicht wird diese gemeinsame Erfahrung im Verachtetsein die nächste Grundlage für eine neuerliche Solidarität. Dafür müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass wir nicht die Opfer einer hormonellen Veränderung sind, sondern die Opfer einer lebenslangen Irreführung, deren wir nun nicht einmal mehr wert sind. … Wir sind nicht mehr verführbar. Das heißt, wir sind frei.«

Weniger Hoffnung machen die Erfahrungen in der eigenen Branche: die prekäre Existenz weniger bekannter Literatinnen, die zurückstecken müssen zugunsten von Künstlergatten; der Stempel der »Frauenliteratur«; die Prägung durch den männlichen Kanon, von der sich auch eine erfolgreiche feministische Schriftstellerin wie Streeruwitz nicht freimachen konnte. Besonders schwer macht es der Hochkulturbetrieb Autorinnen wie der gebürtigen Kroatin Alida Bremer, die das Buch um eine migrantische Perspektive bereichert: »In Deutschland definierte mich plötzlich meine Herkunft, die gepaart mit meinem Geschlecht die Schnittstelle ›Personal‹ ergab.« Mit zunehmendem Alter fallen Künstlerinnen nicht zuletzt aus den Rastern von Marketing und Medien, die »eher bereit sind, junge Literatinnen in einer Fotostrecke ihrer Hochglanzbeilagen zu präsentieren, als der Literatur auf den Kulturseiten Raum zu geben« (Welsh).

Barbara Hundegger, die aus der meist essayistischen Prosaform des Bandes ausreißt, bringt die Literaturbetriebswirtschaft poetisch auf den Punkt: »die geschlechtsbezirke der literatur zirkeln ab was du sollst | als frau: auch Körpersprachen entrichten nicht nur auf dem papier | haut-bilder augen-abschläge haltlosigkeitsgesten mit gefälligst einem hauch stoff für die förderlichsten herren … die alternde konkubine: eine übermüdete sirene | selbst am meisten verdattert von der nur mehr bescheidenen wirkung ihres nur mehr bescheidenen gesangs | … sie hatte den busen | wunder blieben dennoch aus | zog sie ihr herrenlos: groß war das nicht.«

Bettina Balàka (Hg.): Wechselhafte Jahre. Schriftstellerinnen übers Älterwerden. Mit Illustr. v. Florine Glück. Leykam, 192 S., geb., 24,50 €.

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