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Deutsche Handballer hinken hinterher

Der Bundesliga-Titelkampf ist spannend, aber das Nationalteam kommt der Weltspitze kaum näher

  • Erik Eggers
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit Flensburg steckt Johannes Golla in der Krise. Dennoch soll er jetzt das DHB-Team zu Siegen führen.
Mit Flensburg steckt Johannes Golla in der Krise. Dennoch soll er jetzt das DHB-Team zu Siegen führen.

Aufregende und turbulente Wochen liegen hinter Johannes Golla. Privat läuft bei dem 25-Jährigen alles prima, Ende März erst ist der Kapitän der deutschen Handballer zum zweiten Mal Vater geworden. Auch beruflich ist Golla grundsätzlich auf dem Weg. Er sei sehr mit seinem Gehalt einverstanden, berichtete er kürzlich der »Sportbild«. Sportlich aber stürzte der Kreisläufer mit seinem Arbeitgeber SG Flensburg-Handewitt in eine tiefe Krise, die am Montag mit der Freistellung des Trainers Maik Machulla ihren Höhepunkt erreichte.

Golla hat Machulla viel zu verdanken. Der Coach schenkte ihm, als er 2018 aus Melsungen an die Förde wechselte, großes Vertrauen und entwickelte ihn in nur wenigen Monaten zum Nationalspieler. Heute ist Golla, obwohl er als Kreisläufer noch lange nicht am Ende seiner Entwicklung steht, eines der bekanntesten Gesichter in der Auswahl des Deutschen Handballbundes. Auf ihn ruhen die Hoffnungen für die Europameisterschaft 2024, die im Januar in Deutschland ausgespielt wird.

Zugleich verkörpert Golla wie kein anderer deutscher Profi das Dilemma, in dem Bundestrainer Alfred Gislason in der Vorbereitung auf dieses Großereignis steckt. Dem Isländer bleiben bis dahin nur wenig Lehrgänge. Aktuell hat er die besten deutschen Profis in Berlin versammelt, um sie für die beiden letzten Spiele im Euro-Cup zu präparieren, einem Turnierformat für die vier bereits qualifizierten EM-Teams. Am Donnerstag (18.35 Uhr) tritt die DHB-Auswahl zunächst in Schweden an, am Sonntag (15.35 Uhr) heißt der Gegner Spanien. »Wir können bei jedem dieser Spiele viel lernen«, sagt Gislason. »Das sind wichtige Spiele für uns, auch für unsere Erfahrung.«

In diesem Prozess ist der Kapitän zweifellos die wichtigste Figur in den Überlegungen des Bundestrainers. »Er ist ein absoluter Führungsspieler«, sagt Gislason. Golla organisiert schließlich nicht nur die deutsche Abwehr im Mittelblock. Er gehört eigentlich auch in der Offensive zu den besten Kreisläufern auf diesem Globus – eigentlich. Denn der Profi machte zuletzt einen müden Eindruck und spielte nicht in Topform.

Das freilich ist kaum verwunderlich, denn der Flensburger hat in dieser Saison schon fast 50 Spiele in den Knochen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass Golla aufgrund seiner Position zu den Schwerstarbeitern der Branche gehört. Mit seinen 112 Kilogramm ackert er vorn wie hinten am Kreis so hart wie früher die Brauereipferde. Energieverluste sind dort, wo mit Sperren um jeden Zentimeter Raumgewinn gekämpft wird, bekanntlich viel höher als etwa auf den Flügeln.

Zuletzt verdichtete sich die enorme physische Belastung mit vier Spielen in nur neun Tagen. Nach zwei Partien beim Pokal-Final-Four in Köln, wo die SG im Halbfinale von den Rhein-Neckar Löwen vorgeführt wurde, schied das Team nur zwei Tage sensationell gegen Granollers im Viertelfinale der European League aus. Weitere fünf Tage später kassierte die SG im Derby beim THW Kiel eine 19:29-Niederlage, und Machulla wurde gefeuert.

Der Kreisläufer lasse sich diese Tiefschläge, die auch in der Bundesliga alle Titelhoffnungen endgültig begruben, nicht anmerken, sagte Bundestrainer Gislason nach den ersten Lehrgangstagen. Aber auch er weiß aus Erfahrung als langjähriger Klubtrainer, dass sein Schlüsselspieler eigentlich eine Pause benötigt. Doch die ist nicht drin, weil die DHB-Auswahl derzeit selbst unter großem Druck steht. Zwar hatte sie im Januar eine sehr passable WM gespielt, die auf Rang fünf endete. Im März wurde die Mannschaft von Weltmeister Dänemark allerdings in zwei Partien regelrecht zerlegt, obwohl der Gegner viele Stars schonte.

Die beiden hohen Pleiten gegen den Weltmeister waren ein Schock. Zum einen demonstrierten sie, wie weit die DHB-Auswahl von der absoluten Weltspitze tatsächlich weiterhin entfernt ist, obwohl sie mit Juri Knorr auf der Aufbauposition inzwischen einen Weltklassemann zur Verfügung hat. Andererseits provozierten die beiden Partien erneut die Frage, warum der deutsche Handball nicht dazu in der Lage ist, so viele kreative Rückraumspieler wie Dänemark zu entwickeln.

»Wir waren in allen Belangen unterlegen«, urteilte Bob Hanning danach. Der Geschäftsführer der Füchse Berlin, die aktuell gemeinsam mit dem THW Kiel punktgleich an der Bundesligaspitze stehen, wollte auch nicht verhehlen, dass die B-Besetzung der Dänen womöglich besser als die deutsche A-Mannschaft sei. Warum der DHB ein Nachwuchsproblem hat, erklärte Hanning indes nicht. Dabei war er zwischen 2013 und 2021 als Vizepräsident Leistungssport im Verband selbst dafür verantwortlich. Gislason verwaltet im Grunde nur das desaströse Erbe dieser Zeit.

Stattdessen forderte Hanning öffentlich, der Bundestrainer müsse junge Talente ins Nationalteam einbauen. Gislason nominierte für den aktuellen Lehrgang tatsächlich Torwart David Späth (Mannheim), die Hannoveraner Renars Uscins und Justus Fischer sowie Philipp Ahouansou (Minden) und Max Beneke (Berlin). Sie dürften der deutschen Auswahl bei der EM aber wohl noch nicht viel weiterhelfen.

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