CDU/CSU und Korruption: Verstrickungen im Unionsnetzwerk

Welche Rolle spielte eine Jenaer IT-Firma bei den Wahlkämpfen der CDU/CSU?

  • Felix Sassmannshausen
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Thüringer CDU-Fraktionschef Mario Voigt steht im Mittelpunkt der Ermittlungen. Er leitete eine digitale Wahlkampagne der EVP.
Der Thüringer CDU-Fraktionschef Mario Voigt steht im Mittelpunkt der Ermittlungen. Er leitete eine digitale Wahlkampagne der EVP.

Am 4. April durchsuchten Beamte des Thüringer LKA gemeinsam mit belgischen Kolleg*innen die Parteizentrale der Europäischen Volkspartei (EVP), der mächtigsten Fraktion im Europaparlament. Die Maßnahme wurde im Rahmen von Ermittlungen gegen den Thüringer CDU-Fraktionsvorsitzenden Mario Voigt wegen des Verdachts auf Korruption durchgeführt. Bereits im Oktober vergangenen Jahres hatten Polizeibeamte im Zuge der Ermittlungen die Wohnung des Abgeordneten sowie Geschäftsräume einer IT-Firma in Jena durchsucht.

Die Staatsanwaltschaft Erfurt wirft Voigt vor, für die Vermittlung eines Auftrages der Europäischen Volkspartei (EVP) an die Jenaer Firma Geld erhalten zu haben. Recherchen von MDR-Thüringen zufolge geht es um rund 17 000 Euro. Voigt war zu dem Zeitpunkt als Leiter der digitalen Wahlkampagne der EVP in Brüssel tätig. Aus Unterlagen des EU-Parlamentes geht hervor, dass das Unternehmen 2020 einen Webhosting-Auftrag für 15 900 Euro erhielt. Gegenüber MDR-Thüringen hatte Voigt bereits zu Beginn der Ermittlungen im Oktober erklärt, dass die Gelder vom Unternehmen an ihn legal im Rahmen von Beratertätigkeiten geflossen seien. Eine Anfrage zum aktuellen Stand der Ermittlungen ließ die Staatsanwaltschaft bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.

»Die Ermittlungen wegen des Verdachts auf Abgeordnetenbestechung würden vermutlich ins Leere laufen, denn der entsprechende Paragraf ist sehr lückenhaft«, schätzt Aurel Eschmann von der Organisation Lobbycontrol den Fall auf Anfrage ein. Sie engagiert sich gegen die intransparente Einflussnahme auf Politik und Öffentlichkeit durch Unternehmen. »Nur selten werden Politikerinnen und Politiker dafür rechtlich belangt.«

Das weiß offenbar auch die Staatsanwaltschaft Erfurt. »Sie versucht nun über das Anstellungsverhältnis von Voigt bei der EVP zu ermitteln. Der Vorwurf, der dann im Raum steht, ist Vorteilsnahme im geschäftlichen Verkehr und nicht Bestechlichkeit eines Abgeordneten«, erklärt Eschmann. Lobbycontrol fordert schon seit Jahren strengere Regeln zur Ahndung von Korruption.

Unabhängig von der rechtlichen Bewertung dieses konkreten Falls und den Konsequenzen für Voigt ist die Geschichte des Unternehmens, das im Zentrum der Ermittlungen steht, bemerkenswert. Die CDU-nahe IT-Firma hat sich auf digitale politische Kampagnen spezialisiert und unter anderem eine Wahlkampf-App entwickelt, mit der sie die Haustür-zu-Haustür-Kampagnen der CDU/CSU maßgeblich unterstützt hat. Einer der Geschäftsführer war bis zur Firmengründung selbst für eine Landtagsfraktion der CDU tätig.

Immer wieder werden die Dienstleistungen des Unternehmens durch die Unionsparteien in Anspruch genommen. Das reicht von kommunalen Verbänden, lokalen Parteizeitungen bis hin zur Landes- und Bundespolitik mit Beteiligung der CDU/CSU. Eigenen Aussagen zufolge war das Unternehmen etwa im Jahr 2021 für die Online-Kampagne im CDU-Landtagswahlkampf in Sachsen-Anhalt für den derzeit amtierenden Ministerpräsidenten Reiner Haseloff tätig. Zuletzt hat die IT-Firma den Online-Wahlkampf von Markus Söder (CSU) zur Bundestagswahl 2021 unterstützt. Bis heute wirbt das Unternehmen auf seiner Homepage mit persönlichen Grußbotschaften des bayerischen Spitzenpolitikers.

Auch begleitete es mehrfach den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) bei Fototerminen. Auf Fotos mit dem CDU-Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (Sachsen-Anhalt) wird das Unternehmen auf der Homepage der sächsischen Landesregierung wiederholt als Bildquelle angegeben. Und das Jenaer Unternehmen hat vor drei Jahren in Sachsen die von der CDU vorangebrachte Marketingkampagne »Einstieg Zukunft« im Auftrag der sächsischen Landesregierung lanciert. Dabei sollte es um den Kohleausstieg und den Strukturwandel in Sachsen gehen. Auf Anfrage teilte die sächsische Staatskanzlei mit, dass die Auftragsvergaben »auf Basis eines bestehenden Rahmenvertrages« erfolgt seien.

Laut einem Bericht des Magazins »Fokus« von 2018 war die Wahlkampf-App des Unternehmens bereits im Jahr 2017 bei den Kampagnen von Annegret Kramp-Karrenbauer im Saarland, von Armin Laschet in Nordrhein-Westfalen sowie Daniel Günther in Schleswig-Holstein im Einsatz. Zu seinem Produkt sagte einer der Unternehmensgründer dem »MDR-Thüringen-Journal« damals: »Wir haben die erste Smartphone-App für den Wahlkampf entwickelt. Die richtet sich an alle Parteimitglieder und Leute, die schon immer Wahlkampf machen wollten.« Dabei hat das Unternehmen laut »Fokus«-Bericht die App ausschließlich den Unionsparteien zur Verfügung gestellt.

Das wirft grundsätzliche Fragen auf. Denn die Firma wurde für »die Entwicklung einer App« aus öffentlichen Mitteln subventioniert, wie das Thüringer Wirtschaftsministerium auf Anfrage mitteilte. So erhielt das Unternehmen bereits 2016 knapp 17 000 Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (Efre). Darüber hinaus hat das Unternehmen in den Jahren 2019 und 2021 weitere Subventionen in Höhe von insgesamt über 65 000 EURO aus dem Efre erhalten. Es liegt nahe, dass die Fördergelder auch in die Entwicklung der Wahlkampf-App geflossen sind, zumal die Förderperioden sich mit der Tätigkeit des Unternehmens für die CDU/CSU im Rahmen der Landtags- und Bundestagswahlkämpfe überschneiden.

»Wenn es tatsächlich so ist, dass das Unternehmen die App nur den Unionsparteien zur Verfügung gestellt hat und in irgendeiner Weise öffentliche Gelder an der Entwicklung der App beteiligt waren, wäre das problematisch«, sagt Eschmann von Lobbycontrol. Auch mit Blick auf die Förderrichtlinien des Efre könnte es einen Konflikt geben. Auf Anfrage teilte Veronica Favalli für die EU-Kommission mit, dass »Mitgliedstaaten verpflichtet sind, transparente und nicht-diskriminierende Kriterien und Verfahren für die Auswahl der Vorhaben festzulegen und anzuwenden«. Die Frage wäre, ob das exklusive Angebot der App an die CDU darunter fällt. Aus dem Thüringer Wirtschaftsministerium heißt es auf Anfrage: »Die Sachberichte zur Fördermittelverwendung lassen den Schluss auf exklusive Angebote an nur einen Kunden nicht zu.« Allerdings stehen diese Sachberichte im Widerspruch zum »Fokus«-Bericht aus dem Jahr 2018.

Welche Rolle die Gelder aus dem EU-Fonds bei den Wahlkampfkampagnen der CDU/CSU konkret gespielt haben, wollte das Unternehmen auf Anfrage nicht beantworten. Über eine Berliner Anwaltskanzlei ließ der Geschäftsführer wissen, dass er keine Stellungnahme abgeben werde. Zudem drohte die Kanzlei mit rechtlichen Schritten, sollte identifizierend über das Unternehmen oder den Geschäftsführer berichtet werden. Weitere Aufklärung über den Fall könnte es geben, wenn sich der Verdacht der Vorteilsnahme gegen Mario Voigt erhärtet. Die Rolle des IT-Unternehmens und des EVP-Vorsitzenden Manfred Weber würden dann wohl vor Gericht näher beleuchtet werden.

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