Hegemonie des Autobahnneubaus

Die Zeit »Postautobahnwachstum« ist nicht nur möglich, sondern auch notwendig

  • Clara S. Thompson
  • Lesedauer: 3 Min.

Als Verkehrsminister Volker Wissing kürzlich verschiedene Wirtschafts- und Umweltverbände zum Infrastrukturdialog einlud, ging es um die Zukunft des Autobahnneubaus. Vorab verschickte das Ministerium »Kernbotschaften«: Es verwies darin auf das »ungebremste Verkehrswachstum« und darauf, dass es dem Klima nicht automatisch helfe, Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Die Verkehrsträger dürften »nicht gegeneinander ausgespielt werden«. Ein Neubaustopp von Straßen würde »die bedarfsgerechte Verkehrsinfrastruktur« gefährden.

Wissing geht es also beim Bau von neuen Autobahnen um ein »Schneller, weiter, mehr«. Das zeigt sich in aktuellen Plänen des FDP-Politikers, bestimmte Autobahnen beschleunigt auszubauen. 144 Autobahnen sind es, die laut Wissings Ministerium »überragendes öffentliches Interesse haben«. Wird sein neuer Gesetzentwurf Realität, werden Umweltbedenken im Bau- und Entscheidungsprozess von Autobahnen keine oder nur mehr eine geringe Rolle spielen.

Das fundamentale Problem, auf welches das Verkehrsministerium dabei stoßen wird, liegt für viele Postwachstums-Ökonom*innen und Klimaaktivist*innen auf der Hand: Die Annahme eines unbegrenzten Wachstums von Autos und Autobahnen wird weder das Verkehrsproblem lösen, noch ist es physikalisch mit Klimaschutz zu vereinbaren. Durch den erhöhten CO2-Ausstoß durch mehr Autos, die zunehmende Flächenversiegelung und die Umweltprobleme, die mit der Gewinnung von Lithium für E-Autos einhergehen, verschärft der Neu- und Ausbau von Autobahnen das Klimaproblem nur noch.

Clara S. Thompson
Clara Thompson

Foto: privat

Clara S. Thompson ist Mitgründerin des Bündnisses »Wald Statt Asphalt« und bei Fridays for Future aktiv.

Hinzu kommt, dass sich die von Wissing angepriesenen 144 Autobahnabschnitte ausschließlich in Westdeutschland und nicht im durch »Autobahnlücken« charakterisierten Ostdeutschland befinden. Das lässt das lang gefahrene Argument, Autobahnen dienten der »Anbindung«, zum Spottbild werden. Außerdem kritisieren Verkehrsexpert*innen den Bundesverkehrswegeplan seit Jahren. Aus einem von der Umweltorganisation BUND veröffentlichten Rechtsgutachten geht hervor, dass der gültige Plan von 2016 circa 850 Kilometer neue Autobahnen beinhaltet, die »die EU-rechtlichen Vorgaben zur strategischen Umweltprüfung« nicht erfüllen. Der BUND attestiert dem Plan sogar Verfassungswidrigkeit, da er »die Belange des Klimaschutzes nicht entsprechend des Klimabeschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 23.04.2021« beachte.

Statt den Plan hinsichtlich des neuen Klimaschutzgesetzes zu verschärfen und Autobahnprojekte zu streichen, handelt Wissing gegenteilig. Im Koalitionsausschuss wurde kürzlich ausgehandelt, dass ein Sektor die Zielverfehlungen eines anderen ausgleichen kann. Nachdem der Verkehrsbereich zweimal die Ziele des Klimaschutzgesetzes nicht erfüllte, wird er nun quasi von den Klimaschutzzielen komplett befreit.

Am allerbeachtlichsten ist die Wissenschaftsskepsis Wissings: Seit Jahren ist es in der Verkehrswissenschaft Konsens, dass mehr Straßen auch mehr Verkehr generieren. Dass der Minister in seinen Infrastrukturdialogen aber nun offiziell vom »unbegrenzten Verkehrswachstum« spricht, zeugt davon, dass dies immer noch nicht beim Verkehrsministerium angekommen zu sein scheint.

Dass es politisch möglich wäre, die Hegemonie des Autobahnneubaus zu durchbrechen, zeigt der Blick nach Österreich. Dort stoppte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler eine neue Autobahn, die durch ein Naturschutzgebiet in der Nähe Wiens führen sollte. Begründung: »Ich will nicht, dass wir in 20 Jahren sagen, wir haben Milliarden an Steuergeld vergraben und unsere Zukunft zubetoniert.« Die Erfahrung zeige, dass neue Straßen zu mehr Verkehr führten.

Es ist möglich, die Logik vom unbegrenzten Verkehrswachstum zu durchbrechen und eine neue Antwort auf die jahrzehntelange verfehlte autozentrierte Politik zu finden, die bereits in einem der dichtesten Autobahnnetze der Welt resultierte. Die Zeit »Postautobahnwachstum« ist nicht nur möglich, sondern auch notwendig.

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