Technologie und Klimaschutz: Warten auf den Sankt-Nimmerleins-Tag

Letztlich wollen die meisten Deutschen keine Veränderungen des Status quo, meint Christoph Ruf

Ich habe an dieser Stelle schon oft über die Grünen geschimpft und ganz bestimmt hätte ich das Bremer Wahlergebnis wohl unter anderen Umständen genauso mit Genugtuung zur Kenntnis genommen wie die derzeitigen Umfragen, die für die Partei ebenfalls ein Stimmungstief ausweisen. Aber die Umstände sind nicht normal, ich fürchte, dass sich bei den Grünen-Verlusten zu diesem Zeitpunkt auch eine Entwicklung zeigt, die über das Schicksal der in meiner Zunft so beliebten Partei hinausgeht.

Die Grünen haben ja nicht primär deshalb so stark verloren, weil ihre Stammwählerinnen plötzlich begriffen hätten, dass der Partei zu oft die Sensibilität fürs Soziale fehlt. Oder dass man völlig problemlos jahrzehntelang grün regiert werden kann, ohne es an irgendeinem Punkt zu merken. Okay, die an Dreistigkeit nicht mehr zu überbietende Amigo-isierung der grünen Ministerien in Land und Bund mag ein paar Prozente gekostet haben, bei Habecks Staatssekretär war's dann doch zu offensichtlich. Doch dramatisch abgesackt sind die Grünen in den Umfragen ja nicht aus all diesen Gründen. All das akzeptieren zumindest deren Stammwähler klaglos, wie das eigentlich doch mehr als ordentliche Bundestagswahlergebnis einer Spitzenkandidatin zeigt, über deren intellektuelle Redlichkeit eigentlich alles gesagt ist.

Christoph Ruf
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet hier politische und sportliche Begebenheiten.

Nein, was den Grünen derzeit zum Verhängnis wird, sind die Heizungspläne und die (viel zu dezente) Gegenwehr gegen den Betonwahn des Autoministers von der FDP. In beiden Punkten haben die Grünen vollkommen recht und propagieren ausnahmsweise mal etwas, das ihrem Image entspricht: ökologische Politik. Damit haben sie eine massive Kampagne derjenigen Kräfte in Politik und Medien ausgelöst, die Ökologie für ein neumodisches Nice-to-have-Thema halten, nicht etwa für essenziell und schon gar nicht für eine Überlebensfrage. Da die meisten Leute aber schon mal was von der Erderwärmung gehört haben, wird die nicht einfach geleugnet, wie Trump oder die AfD es tun. Man behauptet, Klimaschutz lasse sich durch technologischen Fortschritt am Sankt-Nimmerleins-Tag erwirken. Ohne Verzicht, ohne Opfer, ohne Taten, letztlich: ohne Politik.

Was bei Kindern niedlich ist, – »Mama, kann ich morgen auch wieder Geburtstag haben?« – ist bei Erwachsenen ein Grund zur Besorgnis. Man nennt es Realitätsverweigerung. Für die Lindners und Wissings dieser Welt ist die allerdings ein Erfolgsrezept. Denn wir leben in Deutschland und der Deutsche hört es gerne, wenn ihm jemand versichert, dass man selbstverständlich jeden Tag Geburtstag haben kann. Und dabei nicht einmal älter wird.

Würde man einen idealen Spitzenpolitiker am Reißbrett entwerfen, müsste er eigentlich nur zwei Dinge beherzigen. Auf keinen Fall darf er den Menschen Angst machen. Als Deutscher will man, dass alles gut wird, nur ändern darf sich halt vorher nichts. Weshalb unser idealer Politiker auch stets so tun muss, als könne man alles haben: Weniger Verschmutzung, weniger Abgase, weniger Umweltgifte – das alles allerdings ohne auf irgendeine Umweltsünde verzichten zu müssen. Damit der deutsche Michel und die deutsche Michaela nicht den Eindruck bekommen, dass sich genau deshalb gar nichts ändert, muss unser Politiker viel von »Verantwortung« reden, gerade für die nachfolgenden Generationen, aber halt auch die Wichtigkeit sicherer Arbeitsplätze unterstreichen. Stets gilt es zu betonen, dass sich alles mit allem ganz gut vereinbaren lässt.

Ich fürchte, das alles ist auch eine Mentalitätsfrage: In ihrem tiefsten Inneren empfinden auch viele Menschen, die sich für oppositionell halten, dieses Land als sicheren Hafen, regiert von Menschen, die sie, wenn sie 16 Jahre lang Politik verweigern, liebevoll »Mutti« nennen. Letztlich wollen die meisten Deutschen keine Veränderungen des Status quo. Denn das Wesen von Veränderungen ist, dass es danach anders ist als zuvor. Und das kann man ja nun wirklich nicht wollen.

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