Auto-Industrie vor dem Abstieg

Brexit-Regeln gefährden die Pkw-Produktion in Großbritannien

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Liste der Probleme, mit denen Großbritannien infolge des EU-Austritts hadert, ist auf ansehnliche Länge gewachsen – Personalmangel in Gastronomie und Speditionen, Staus an der Grenze, Handelshindernisse. Bald könnte der nächste Eintrag folgen: Mehrere Autohersteller haben jetzt gewarnt, dass der Brexit-Vertrag schnell angepasst werden müsse, sonst drohe die Schließung mehrerer Fabriken auf britischem Boden. Dabei geht es um die Zukunftsbranche Elektroautos und um die Ursprungsregeln, die ab kommendem Jahr verschärft werden sollen.

Derzeit müssen mindestens 40 Prozent der Bestandteile eines E-Autos aus Großbritannien oder der EU stammen. Sind es weniger, fällt beim Verkauf über die EU-Grenze in beide Richtungen ein Zoll von zehn Prozent an. Gemäß Brexit-Abkommen steigt dieser nächstes Jahr auf 45 Prozent. Allerdings ist die europäische und britische Batterie-Industrie nicht so schnell in die Gänge gekommen, wie erhofft: Ein Großteil der Akkus stammt aus Asien. Entsprechend wären Zölle unvermeidlich.

Am Mittwoch warnte der Konzern Stellantis, zu dem unter anderem Vauxhall, Opel und Peugeot gehören, dass die höheren Kosten zur Schließung britischer Produktionsstandorte führen könnten. Andere Hersteller schlossen sich an: Die Zölle würden britische wie auch EU-Hersteller treffen, es sei deshalb entscheidend, dass sich London und Brüssel auf eine Lösung einigen, sagte ein Sprecher des US-Konzerns Ford. Auch Jaguar Land Rover, der größte Arbeitgeber in der britischen Autobranche, bezeichnete die Verschärfung der Ursprungsregeln als »unrealistisch und kontraproduktiv«.

Auf der anderen Seite des Kanals ist man ebenso besorgt: Der deutsche Verband der Automobilindustrie fordert eine »dringende Anpassung« des Vertrags: Die Einführung von Zöllen würde die europäische Autoindustrie gegenüber der asiatischen Konkurrenz »erheblich benachteiligen«. Die Konzerne haben vorgeschlagen, die Einführung auf 2027 zu verschieben. Die britische Regierung ließ verlauten, dass man in Gesprächen mit Brüssel sei. »Wir hoffen, dass wir uns diesbezüglich einigen können«, sagte Premierminister Rishi Sunak.

Aber damit die Autobranche in ein paar Jahren nicht vor demselben Problem steht, sind Investitionen in die heimische Batterieproduktion nötig – und hier sieht es nicht gut aus. Experten warnen seit langer Zeit, dass die Regierung in London eine Strategie vermissen lasse, um eine solche Industrie aufzubauen. Auf der ganzen Welt schießen Batteriefabriken wie Pilze aus dem Boden, aber Großbritannien hinkt hinterher. Während in der EU rund drei Dutzend sogenannte Gigafabriken in Betrieb oder im Bau sind, steht auf der Insel nur ein kleineres Werk. Eine zweite Fabrik wird in der Nähe der Nissan-Fabrik im nordenglischen Sunderland gebaut.

Die Trägheit liegt laut Experten auch daran, dass die Regierung zu wenig Unterstützung für die Entwicklung und Massenproduktion von Autobatterien bereitstellt, bisher rund 800 Millionen Pfund. »Das wird nicht weit reichen«, schreibt der Wirtschaftsprofessor David Bailey vom Thinktank UK in a Changing Europe. Die Regierung sollte sich zudem aktiv mit Batterieherstellern und Autokonzernen austauschen, um dann potenzielle Investoren in Asien zu umwerben. »Dafür ist eine aktivere Industriepolitik nötig als jene, die wir derzeit in Großbritannien sehen«, meint Bailey.

Eine große Hoffnung war die Gigafabrik des Start-ups Britishvolt. Im nordenglischen Blyth war eine riesige Anlage geplant, mitfinanziert von der Regierung. Wie ein Brexit-Märchen sollte auf den Trümmern der Deindustrialisierung – Blyth war früher ein Kohlegebiet – die Industrie der Zukunft emporwachsen. Tausends Arbeitsplätze wurden versprochen. Aber im Januar platzte der Traum, Britishvolt meldete Insolvenz an. Das Start-up konnte nicht genügend Investoren anlocken, zudem fehlten große Kunden.

Britishvolt sieht einen Teil der Verantwortung auch bei der Regierung: Zwar habe London finanzielle Unterstützung versprochen, aber am Ende dauerte es Monate, bis die entsprechenden Unterlagen unterzeichnet wurden, sagte Orral Nadjari, einer der Gründer des Start-ups. So habe man auf eigene Faust Gelder aufbringen müssen – und das zu einer Zeit, als die Inflation auf einem Höchststand war und globale Investitionen einbrachen.

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