Werbung

Der Traum vom einfachen Abnehmen

Statt Magen-OP: Neue Medikamente als Hoffnungsschimmer für stark übergewichtige Diabetiker

In der Therapie von Diabetes Typ 2 könnte gerade eine Zeitenwende anstehen: Neue Medikamente machen Gewichtsreduktionen von etwa 15 Prozent möglich, ein bislang auf diesem Wege unerreichter Effekt. Laut Experten wird nach neueren Studien genau hier eine kritische Schwelle erreicht, ab der auch eine Remission der Krankheit möglich wird, also ein so starkes Nachlassen der Symptome, dass in diesen Fällen Patienten ohne Medikamente auskommen können. Bislang erzielte Remissionen, unter anderem durch Umstellung der Ernährung und mehr Bewegung, hielten laut Studien nur bei maximal 30 Prozent der beobachteten Patienten über fünf Jahre vor.

Bei Diabetes und starkem Übergewicht galt bisher die bariatrische Chirurgie als letztes Mittel. Darunter fallen verschiedene Eingriffe, bei denen der Magen verkleinert oder mit einem Bypass überbrückt wird. Das kann aber nur Leistung der gesetzlichen Krankenkassen werden, wenn die Patienten nachweisen, dass sie zwei Jahre vergeblich versucht haben, über eine Veränderung des Ernährungsverhaltens und mit mehr Bewegung einen deutlichen Gewichtsverlust zu erreichen. Die Operationen selbst bewirken eine deutliche Gewichtsreduzierung, sind aber nicht ohne Risiko. Zudem kommt es auch auf diesem Weg nicht zu einer dauerhaften Diabetes-Remission.

Das Dilemma könnte durch neue Wirkstoffe aufgehoben werden, nämlich GLP1-Rezeptor-Agonisten wie Semaglutid und duale Inkretin-Agonisten wie Tirzepatid. Bei letzterem handelt es sich um eine Kombination eines GLP1-Rezeptor-Agonisten und einem weiteren glukoseabhängigen Peptid. Bisher ist es als Antidiabetikum zugelassen, aber in Deutschland noch nicht verfügbar. Es wäre einsetzbar, wenn das gängige Diabetes-Medikament Metformin nicht vertragen wird.

Semaglutid wirkt auf die gleiche Weise wie das natürliche Darm-Hormon GLP1: Es erhöht die Insulinmenge, die von der Bauchspeicheldrüse bei Reaktion auf eine Nahrungsaufnahme abgegeben wird. Darüber wird der Blutzuckerspiegel kontrolliert. Außerdem steigert das Medikament das Sättigungsgefühl, die Menge der Kalorien kann also reduziert werden, Hunger und Appetit nehmen ab.

Mit Semaglutid lässt sich im Schnitt eine 17-prozentige Gewichtsreduzierung erreichen. In Deutschland ist es bislang nur in Form des Diabetes-Medikaments Ozempic zu bekommen. Die Spritze muss einmal wöchentlich unter die Haut gegeben werden. Das zweite Medikament Wegovy mit einer höheren Semaglutid-Dosis wurde im Januar bereits von der Europäischen Arzneimittelagentur zur Behandlung von Adipositas zugelassen. Es konnte aber wegen Lieferengpässen noch nicht auf den deutschen Markt gebracht werden. Laut dem dänischen Hersteller Novo Nordisk müsse zunächst die hohe Nachfrage auf dem schon bestehenden US-Markt bedient werden. Dazu beigetragen haben Prominente, die einer Anwendung als Lifestyle-Medikament den Weg ebnen. So hatten Elon Musk oder Kim Kardashian Wegovy als Mittel ihrer Wahl beworben.

Baptist Gallwitz vom Universitätsklinikum Tübingen weist darauf hin, dass sich mit allen Medikamenten der Semaglutid-Familie ein Gewichtsverlust bewirken lasse. Sie verlangsamen die Magen-Darm-Passage des Nahrungsmittelbreis und lösen im Gehirn ein Sättigungsgefühl aus. Die neuen Medikamente könnten so eine Alternative zu den genannten Eingriffen werden.

Semaglutid ist in den USA auch dann zum Abnehmen zugelassen, wenn kein Diabetes vorliegt. Nach Angaben der Diabetes-Gesellschaft reicht die Studienlage bei diesem Thema noch nicht aus, um auch in Deutschland eine Erstattung durch die Kassen als Mittel zur Gewichtsreduktion für Patienten ohne Begleiterkrankung rechtfertigen zu können. Bisher zahlen die Kassen nichts für Abnehmtherapien, die Adipositas-Patienten nutzen könnten. Gewichtsreduktion gilt nach Gesetzeslage als Lifestyle-Frage. Aber seit 2020 ist Adipositas als Krankheit anerkannt, also müsste sich hier auch etwas ändern.

Ansonsten wäre Wegovy, avisiert auf Mitte des Jahres, in Deutschland zwar verfügbar, aber nur auf Rezept und für Selbstzahler. Der Listenpreis des Herstellers liegt für eine Packung mit vier Spritzen bei umgerechnet 1200 Euro. Das sagt nichts über den künftigen Preis hierzulande.

Dass sich dennoch Menschen mit nur sehr wenig Übergewicht das Mittel beschaffen würden, um eine Traumfigur zu erreichen, macht den Diabetologen Sorgen. Die Versorgung der wirklich kranken Patienten sei jetzt schon gefährdet.

Aus Expertensicht sollte Semaglutid nur verordnet werden, wenn Patienten bereit sind, ihre Ernährung umzustellen und sportlicher zu leben. In Kombination mit der wöchentlich einmal verabreichten Spritze könnte nachhaltig Gewicht reduziert werden. Der Internist und Diabetologe Gallwitz setzt darauf, dass sich die Effekte gegenseitig verstärken: »Wer sich beweglicher fühlt und nicht mehr an Luftnot leidet, wird auch mit mehr Freude Sport treiben.« Um den Diabetes unter Kontrolle zu halten, wird aber eine medikamentöse Therapie auf Dauer nötig sein, und laut Gallwitz sollte sie immer mit nichtmedikamentösen Therapien kombiniert werden. Das hieße etwa, auf Dauer kleinere Portionen und weniger Kalorien zu sich zu nehmen.

Auch Semaglutid hat Nebenwirkungen, darunter Völlegefühl und Erbrechen, die vor allem zu Therapiebeginn und bei schneller Dosissteigerung auftreten. Dann kann es zu einer Dehydrierung mit Einrissen in Rachen und Speiseröhre kommen. Zudem gibt es ein bestimmtes Risiko für Gallensteine.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal