Nutzungsverbot: Kein Account für Kinder unter 13

Wissenschaftsakademie will Minderjährige vor Sucht und Überforderung in sozialen Medien schützen

Kinder wollen zeigen, was sie können: Auch in sozialen Medien sollte das ohne Gefahren möglich sein.
Kinder wollen zeigen, was sie können: Auch in sozialen Medien sollte das ohne Gefahren möglich sein.

Whatsapp, Instagram, Tiktok – diese Social-Media-Plattformen kennen nicht nur Erwachsene. Auch Jugendliche und schon immer mehr Kinder nutzen sie, wollen sich in Gruppen austauschen, Fotos und Videos teilen und auch konsumieren. Sie wollen an der Welt teilhaben, in der auch Eltern oder andere Erwachsene unterwegs sind. Das sollte kein Problem sein, ist aber eins.

Denn in den letzten 20 Jahren, so jetzt auch Forscher von der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, hat sich zudem die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in vielen Teilen der Welt verschlechtert. Aus diesem Grund wurde ein Diskussionspapier dazu erarbeitet, wie die Altersgruppe besser vor den Auswirkungen von Sozialen Medien zu schützen wäre. Die Leopoldina (mit Sitz in Halle/Sachsen-Anhalt) hat rund 1700 Mitglieder und gibt neben Diskussionspapieren auch Stellungnahmen zu vielen Forschungsbereichen ab.

Für 13- bis 17-Jährige sollten soziale Medien durchaus nutzbar sein, jedoch altersgerecht, also mit deutlichen Einschränkungen.

Über 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland im Alter von 7 bis 17 Jahren zeigen psychische Auffälligkeiten, manche Studien sprechen in diesem Umfang schon von psychischen Störungen. Die Covid-19-Pandemie trug offenbar dazu bei. Auch Ralph Hertwig, einer der Mitautoren des neuen Leopoldina-Diskussionspapiers und am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung tätig, sieht in der Pandemie einen Katalysator für die Verluste in diesem Feld. Aber die unguten Tendenzen gab es schon zuvor. Erfasst wurde das unter anderem in den Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS), die seit 2008 durchgeführt werden. Hier zeigte die zweite Befragungswelle von 2014 bis 2017, dass fast 17 Prozent aller Kinder und Jugendlichen von 3 bis 17 Jahren unter anderem emotionale Probleme (etwa Ängste) oder Verhaltensprobleme wie Wutanfälle hatten. Von den 12- bis 17-Jährigen hatten 8,4 Prozent computerspiel- oder internetbezogene Störungen.

Die Frage, die sich zunächst stellt, ist natürlich, ob das eine mit dem anderen zu tun hat. Die Leopoldina-Wissenschaftler sehen viele Korrelationen, unter anderem eben zwischen dem Aufkommen der Social-Media-Plattformen Anfang der 2000er Jahre und den verschlechterten Gesundheitswerten, räumen aber ein, dass genauere Studien noch fehlen. Dennoch seien die Korrelationen schon aus den wenigen vorliegenden Untersuchungen stark genug, um ein Eingreifen zu rechtfertigen. Dafür spricht auch das Prinzip der Vorsorge, denn Schäden seien bereits absehbar.

Im Einzelnen empfehlen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein striktes Nutzungsverbot, also auch keine eigenen Accounts, für Kinder unter 13 Jahren. Die Angebote sogenannter sozialer Medien seien für sie »grundsätzlich ungeeignet« heißt es im Papier. Mitautor Johannes Buchmann ergänzt, dass die Kinder dort psychologisch und sozial überfordert würden.

Für 13- bis 17-Jährige sollten soziale Medien durchaus nutzbar sein, jedoch altersgerecht, also mit deutlichen Einschränkungen. Empfohlen wird etwa für unter 16-Jährige, Livestreaming, Push-Benachrichtigungen oder endloses Scrollen zu verhindern. Weder personalisierte Werbung noch persönliche Nutzungsprofile sollten hier zulässig sein. Bis zum Alter von 15 Jahren müsste die Nutzung von den Eltern begleitet werden. Keine Smartphones in Kitas und in Schulen nicht bis zur 10. Klasse, empfiehlt das Leopoldina-Papier.

Altersabhängige Nutzungsmöglichkeiten könnten mit einer Vorgabe der EU in diesem Bereich geregelt werden, mit dem sogenannten European Digital Identity Wallet ab 2027. Zudem hat die EU gerade im Juli neue Leitlinien zum Schutz Minderjähriger veröffentlicht. Diese machen den Online-Plattformen deutlich, wie sie Vorgaben aus dem Digital Services Act umsetzen müssen. Gleichzeitig mit den Leitlinien wurde auch ein Prototyp für eine Altersverifikations-App vorgestellt. Dieses System soll datenschutzfreundlich und ohne die Offenlegung persönlicher Daten funktionieren.

Die Umsetzung solcher Maßnahmen auf EU-Ebene benötigt laut dem Leopoldina-Papier die Unterstützung der Bundesregierung. Hier ist aus Sicht des Psychologen Hertwig jedoch die Problemlage in anderen EU-Staaten ähnlich, einige Regeln seien bereits getroffen und seien dann noch national umzusetzen.

Was in Deutschland unabhängig von EU-Vorgaben sofort machbar wäre, ist die Entwicklung eines digitalen Bildungskanons. Nach den Vorstellungen der Wissenschaftler sollte dieser fächerübergreifend unterrichtet werden und auf einen reflektierten Umgang mit sozialen Medien vorbereiten. Zu erarbeiten und ständig zu ergänzen seien solche Unterrichtskataloge auch unter Beteiligung von Schülerinnen und Schülern. Ein anderer wichtiger Aspekt ist die Suchtprävention. Hier gehen Daten von einer Nutzung allein von Social Media von 2,3 Stunden an Werk- bzw. Schultagen aus, bis hin zu zehn und mehr Stunden für Online-Inhalte insgesamt.

In einer der Interventionsstudien, die es aktuell zum Thema gibt, führte eine über vier Wochen reduzierte Nutzungszeit von sozialen Medien bei 16- bis 25-Jährigen zu deutlich weniger Ängstlichkeit und depressiven Momenten. Bei Nachuntersuchungen über drei Monate zeigte sich, dass die Probanden explizit wegen besseren psychischen Befinden ihre Nutzungszeiten nicht wieder steigerten. In der notwendigen Forschung zu diesen Themen seien nun auch Kinder unter zehn Jahren in den Fokus zu nehmen. Wechselwirkungen mit der elterlichen Mediennutzung sollten mehr ein Thema sein. An Familien gerichtete Kampagnen könnten auch die positive Gestaltung einer Nutzung von Social Media umfassen.

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