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Geflüchtete in Berlin: Vom Krieg ins überfüllte Bettenlager

Eine Taskforce will neue Unterbringungen für Geflüchtete schaffen. Zurzeit gibt es nur noch 400 freie Plätze

Eine geflüchtete Familie braucht Privatsphäre. Für mehr modulare Unterkünfte fehlt es jedoch an freien Flächen.
Eine geflüchtete Familie braucht Privatsphäre. Für mehr modulare Unterkünfte fehlt es jedoch an freien Flächen.

Am Dienstag hat sich die Taskforce Flucht und Asyl zum ersten Mal getroffen. Sechs Verwaltungen und die Senatskanzlei wollen gemeinsam die Unterbringung Geflüchteter in Berlin koordinieren. Denn es kommen weiterhin jede Woche hunderte Geflüchtete vor allem aus der Ukraine in der Hauptstadt an, für die das Land kaum noch Plätze findet.

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Im Anschluss an die Sitzung kündigte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) an, über das Jahr 2023 hinaus weiterhin Geflüchtete im ehemaligen Flughafen Tegel unterzubringen. Geplant sei, in dem Ukraine-Ankunftszentrum mehr Bildungs- und Freizeitangebote für Kinder zu schaffen.

Initiiert wurde das Gremium von der Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD). Sie wolle die Versorgung und Unterbringung Geflüchteter in Koordination mit der Finanz-, Bau-, Innen-, Bildungs- und Gesundheitsverwaltung zu einer »Querschnittsaufgabe« machen, hatte sie zuvor angekündigt.

In Berlin kommen pro Woche zwischen 350 und 600 Menschen aus der Ukraine sowie 200 bis 350 Geflüchtete aus anderen Ländern an, so war zumindest der Stand im April. Die damalige Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) war deshalb von einem Bedarf an 10 000 neuen Plätzen in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften ausgegangen. Kiziltepe schloss sich dieser Einschätzung zuletzt an.

Dass es an Plätzen mangelt, bestätigt der Sprecher des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) Sascha Langenbach gegenüber »nd«. In Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften seien von den insgesamt rund 32 000 Plätzen derzeit nur 400 Plätze verfügbar. Das entspreche einer Auslastung von 98,5 Prozent. Mit einem derart knappen Spielraum sei eine angemessene Unterbringung nicht gewährleistet: »Wenn eine fünfköpfige Familie ankommt, wird es eng.«

Schuld an der prekären Lage trägt laut Langenbach nicht das LAF, das für die Unterbringungen zuständig ist. »Wir haben nicht geschlafen, wir haben in den vergangenen zehn Jahren 9000 Plätze geschaffen«, betont er. Es fehle vor allem an Orten, an denen neue Unterkünfte entstehen könnten. »Es ist immer schwer, in einen Bezirk zu kommen und zu sagen: ›Ihr bekommt jetzt 300 neue Nachbar*innen.‹«

Wenn mehr freie Flächen zur Verfügung stünden, könnte der Senat auch mehr modulare Unterkünfte bauen lassen. Langenbach schwärmt von diesen Schnellbauten mit jeweils rund 300 Plätzen: Mit vorgefertigten Betonteilen ließen sich die Gebäude innerhalb von 48 Wochen zusammensetzen. Mit den existierenden Modularhäusern habe das LAF gute Erfahrungen gemacht: »Das sind nachhaltige Plätze, die Häuser halten etwa 80 Jahre lang. Es ist ruhig und die Menschen können selbst entscheiden, wann sie die Tür auf- und zumachen. Und es gibt genug Platz zum Leben.«

Und die Kosten? Langenbach zieht einen drastischen Vergleich: »Eine modulare Unterkunft kostet ungefähr so viel wie ein Leopard-2-Panzer. Da kann man sich aussuchen, was man da wichtiger findet.« Die Länder, die für die Versorgung für Geflüchtete die Verantwortung tragen, hatten in den vergangenen Wochen auf mehr Geld vom Bund gepocht. Auf dem Flüchtlingsgipfel Mitte Mai hatte der Bund den Ländern eine Milliarde Euro zusätzlich versprochen, laut Finanzsenator Stefan Evers (CDU) werden davon 57 Millionen nach Berlin fließen. »Der tatsächliche Bedarf übersteigt diesen Betrag um ein Vielfaches«, kommentierte Evers die Summe.

Nicht nur die langfristigen Wohnangebote, auch die Erstaufnahmeeinrichtungen sind überlastet. Laut LAF leben etwa 5000 Menschen in Unterkünften, obwohl sie dort nicht mehr leben sollten. »Viele Menschen in den Unterkünften dürften längst ausziehen, können es aber nicht, da sie keine Wohnung finden«, erklärt Holger Spöhr, Referent für Migration beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin, gegenüber »nd«. So blieben in der Aufnahmestelle Tegel Geflüchtete für mehrere Monate, »ohne jegliche Privatsphäre, vergleichbar mit den Turnhallen ab 2015«. Da die Menschen in Tegel aber für sonstige Berliner*innen nicht zu sehen seien, kaschierten die Notbettenlager das vorhandene Problem.

Den Bau modularer Unterkünfte hält Spöhr für sinnvoll: »Gerade für Familien ist dies eine viel bessere Unterbringung als Mehrbettzimmer mit gemeinschaftlichen Sanitäranlagen und Catering-Verpflegung.« Zudem sollten die Betreiber der Unterkünfte nach anderen Kriterien ausgesucht werden: »Leider gewinnen immer noch die Betreiber mit dem günstigsten Preis die Ausschreibungsverfahren, viele gemeinnützige Betreiber, die hervorragende Arbeit geleistet hatten, wurden aus Kostengründen aus dem Feld verdrängt.« Anstatt zu sparen, seien längere Laufzeiten und ein Inflations- und Lohnentwicklungsausgleich nötig, um gutes Personal zu halten.

Eine weitere Maßnahme stellte Kiziltepe bereits vorab vor: Geflüchtete sollten künftig fairer auf die Bezirke verteilt werden. Der Sprecher des LAF hält das für unrealistisch: »Ich kann absolut nachvollziehen, dass es in innerstädtischen Bereichen weitaus schwieriger ist, unbebaute Grundstücke zu finden, als in Steglitz oder Marzahn-Hellersdorf.« Dass in Pankow 16 von insgesamt 105 Unterkünften, in Friedrichshain-Kreuzberg hingegen nur vier stünden, hinge schlicht damit zusammen, dass es in Pankow mehr und bezahlbare Grundstücke in Landesbesitz gegeben habe.

Die Opposition blickt kritisch auf die neu gegründete Taskforce. Es sei gut, wenn der Senat das zur Chefinnensache mache, so Elif Eralp, migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion. »Aber das war es vorher auch schon.« Sie erinnert an einen Steuerungskreis, der direkt nach Kriegsbeginn in der Ukraine zusammengekommen sei, und eine Koordinierungsgruppe Flucht, an der sich die unterschiedlichen Verwaltungen beteiligt hätten. Die Gründung der Taskforce hält Eralp deshalb für Symbolpolitik: »Man findet einen neuen Namen für etwas, was es schon gab, und verkauft es als tolle Lösung.« Die linksgeführte Sozialverwaltung hätte unentwegt nach potenziellen Liegenschaften und Flächen gesucht. »Aber es ist immer wieder dasselbe Problem: not in my backyard«, sagt Eralp zu dem Widerstand in den Bezirken gegen neue Unterkünfte.

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