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4-Tage-Woche: Ökonomen plädieren für kürzere Vollzeit

Arbeitskräfteknappheit biete eine »hervorragende Chance«, um Arbeitsbedingungen zu verbessern, betonen vier Wirtschaftswissenschaftler

  • Eva Roth
  • Lesedauer: 8 Min.
Debatte über 4-Tage-Woche: 4-Tage-Woche: Ökonomen plädieren für kürzere Vollzeit

In Deutschland herrscht in vielen Branchen Personalmangel, gleichzeitig will das Personal oft weniger arbeiten. Einzelne Firmenbeispiele zeigen, dass dies machbar ist. Aber sind kürzere Arbeitszeiten in großem Stil möglich – ausgerechnet jetzt, wo Arbeitskräfte sowieso knapp sind?

Was heißt 4-Tage-Woche konkret?

In der Debatte über die Viertagewoche werden in Medien Firmen mit sehr unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen vorgestellt. Ein Anstoß für die Diskussion ist ein Pilotprojekt in Großbritannien, bei dem 61 Unternehmen die Arbeitszeiten verkürzt haben, mit Lohnausgleich. Teils wurde die Viertagewoche eingeführt, teils die tägliche Arbeitszeit verkürzt.

In Deutschland will beispielsweise das Klinikum Bielefeld auf einer Station ein Pilotprojekt mit vier statt fünf Diensten starten. Die Wochenarbeitszeit soll indes gleich bleiben. Auch die Firma GTB hat eine Viertagewoche eingeführt, mit 40 Arbeitsstunden. In einem Malerbetrieb können sich laut »Spiegel« die Beschäftigten entscheiden, ob sie an vier oder fünf Tagen 30, 32 oder 40 Stunden arbeiten.

Gewerkschaften haben bereits vor einigen Jahren Wahlmodelle durchgesetzt: So können sich Beschäftigte bei der Deutschen Bahn in gewissem Umfang zwischen mehr Geld, einer kürzeren Wochenarbeitszeit oder mehr Urlaubstagen entscheiden. In der Metallindustrie können beispielsweise Schichtarbeiter statt eines »Zusatzentgelts« mehr freie Tage nehmen. rt

 

Steffen Kampeter hat im Februar, als die Debatte über die Viertagewoche gerade in Gang kam, ein flammendes Plädoyer für Mehrarbeit gehalten: »Wir werden länger arbeiten müssen – das braucht unser Land«, sagte der Hauptgeschäftsführer der Arbeitgebervereinigung BDA in einem Interview mit Table.Media. Das sei auch nicht schlimm, denn »eine gute Work-Life-Balance bekommt man auch mit 39 Stunden Arbeit in der Woche hin«. Für Angelika Kümmerling ist das eine »Sichtweise, die vor allem den männlichen Haupternährer im Blick hat. Selbst wenn die Kita von 8 bis 17 Uhr geöffnet hat, was oft nicht der Fall ist, muss auch noch eingekauft, gekocht, geputzt und gewaschen werden, Tätigkeiten, die nach wie vor in der Hauptsache von Frauen übernommen werden, auch wenn sie erwerbstätig sind. Die Fahrt zur Arbeit kostet ebenfalls Zeit und auch erwerbstätige Frauen müssen mal auf Dienstreise. Wer kümmert sich dann um das Kind oder den pflegebedürftigen Angehörigen. Unter diesen Umständen ist eine gute Work-Life-Balance mit einem 39-Stunden-Job unmöglich«, sagt die Arbeitszeit-Expertin an der Universität Duisburg-Essen dem »nd«. Dass Kampeter Tätigkeiten jenseits der Erwerbsarbeit weitgehend ausblendet, ist das eine.

Wirklichkeit und Wunsch

Hinzu kommt noch etwas anderes: Wer Kampeters Aussage liest, könnte annehmen, dass Vollzeitbeschäftigte zurzeit auf weniger als 39 Wochenstunden kommen. Doch tatsächlich arbeitet ein Großteil schon heute länger! Laut Statistischem Bundesamt betrug die normalerweise geleistete Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten 2021 im Durchschnitt 40 Stunden pro Woche. Nach einer Befragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Baua) lag die tatsächliche Arbeitszeit im Schnitt sogar bei 43 Stunden. Genaueres wird man durch noch so gute Befragungen kaum herausfinden, eher schon durch eine Erfassung der Arbeitszeiten. Dazu sind Unternehmen nach Urteilen des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts jetzt schon verpflichtet, viele tun es trotzdem nicht.

Wahrscheinlich ist, dass die Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten in den vergangenen Jahren etwas gesunken ist, also schon vor der Pandemie. Das zeigen beide Erhebungen. Sie ist aus Sicht der Beschäftigten aber immer noch viel zu hoch. So gaben bei der jüngsten Baua-Befragung 63 Prozent der Personen mit Vollzeitjob an, dass sie kürzer arbeiten möchten, auch wenn das Gehalt entsprechend sinkt. Nur vier Prozent wollen das, was sich Unternehmerverbände wünschen: mehr arbeiten. Im Durchschnitt möchten Vollzeit-Erwerbstätige demnach satte sechs Stunden pro Woche weniger arbeiten.

Insbesondere der Generation Z, also jungen Menschen bis Mitte/Ende 20, wird nachgesagt, dass sie sich anders als Ältere nicht mehr voll reinhängen wollen in den Job. In der Baua-Befragung finden sich darauf indes keine Hinweise: Viele Jüngere und Ältere arbeiten 40 Stunden oder mehr, viele Ältere und Jüngere wünschen sich kürzere Arbeitszeiten. Warum? Weil die Menschen mehr freie Zeit haben wollen, für sich, für die Familie, für Hobbys, Sport und Ehrenamt. Das gaben Teilnehmer*innen in einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung an.

Was zum Wohlstand beiträgt

Mehr freie Zeit jenseits der Erwerbsarbeit ist auch machbar, meinen vier österreichische Ökonom*innen, die kürzlich einen gemeinsamen Beitrag in der Zeitschrift »Wirtschaft und Gesellschaft« der Arbeiterkammer Wien veröffentlicht haben. Und zwar gerade wegen des Personalmangels: Arbeitskräfteknappheit sei »insgesamt ein erfreulicher Zustand«. Sie biete »eine hervorragende Chance«, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Denn dadurch verschiebe sich die Verhandlungsmacht weg von Unternehmen hin zu Beschäftigten und Arbeitslosen, so die Forscher*innen. Sie gehören der Abteilung Wirtschaftswissenschaft der AK Wien an, die den gesetzlichen Auftrag hat, die Interessen der Arbeitnehmer*innen zu vertreten.

Eine emanzipatorische Politik sollte die Machtverschiebung nutzen, um insbesondere die Situation von Gruppen zu verbessern, die es derzeit besonders schwer haben, beispielsweise Arbeitslose, Jugendliche oder Ältere. Konkret gehe es darum, vor allem niedrige Löhne anzuheben. Menschen mit kurzen Teilzeitjobs sollten ihre Arbeitszeit ausweiten können. Gleichzeitig sollte Personen mit langen Arbeitszeiten eine »kürzere und gesunde Vollzeit« ermöglicht werden.

Genau das wollen viele Beschäftigte, kürzere Arbeitszeiten tragen zum Wohlstand der Menschen bei, sagt Mitautor Daniel Haim dem »nd«. Wenn man die Bedürfnisse von Menschen ernst nimmt, ist das eigentlich Grund genug, in diese Richtung zu gehen. Nun kommt die Machtverschiebung hinzu. Inzwischen gibt es hierzulande denn auch einzelne Firmen, die nolens volens neue Arbeitszeitmodelle anbieten. In einem Pilotprojekt in Großbritannien haben 61 Unternehmen die Arbeitszeiten mit Lohnausgleich verkürzt, einige Firmen wollen dabei bleiben, die meisten Beschäftigten sowieso.

Wenn angesichts der Arbeitskräfteknappheit andere Unternehmen für schlecht bezahlte Jobs niemanden finden, dann ist es die Stelle »wohl nicht wert, besetzt zu werden«, schreiben die österreichischen Wirtschaftswissenschaftler. Sie plädieren also nicht dafür, möglichst alle Arbeitsplätze zu erhalten. Vielmehr sollen Beschäftigte in Unternehmen mit besseren Arbeitsbedingungen wechseln können, und sie sollen sozial und ökologisch wichtige Aufgaben erledigen können.

Wenn Arbeitskräfte knapp sind, kann die Politik auch Erwerbslose besser unterstützen. In Deutschland gibt es immer noch 2,5 Millionen registrierte Arbeitslose. Man könne auch Langzeitarbeitslose vermitteln, sie qualifizieren, sagt der deutsche Arbeitsmarktforscher Hartmut Seifert dem »nd«. »Das ist aufwändig, aber es geht. Wenn man es sich bequem macht, geht es nicht.«

Dann gibt es noch Menschen, die länger arbeiten wollen, in Deutschland sind das insbesondere Personen, die lediglich einen Minijob haben. Würden ihre Arbeitszeitwünsche erfüllt, entspräche dies rechnerisch knapp 700 000 zusätzlichen Vollzeitstellen, haben Forscher des Instituts für Arbeits- und Berufsforschung (IAB) Ende vorigen Jahres berechnet.

Andere Teilzeitbeschäftigte konnten in den vergangenen Jahren ihre Stelle bereits aufstocken. Insgesamt ist so der Umfang von Teilzeitjobs deutlich gestiegen, seit 2011 von knapp 19 auf 22 Wochenstunden. Möglich ist dies auch wegen einer Kinderbetreuung, »die zwar längst nicht ausreichend, aber besser als früher ist«, so die Forscherin Kümmerling. Noch länger arbeiten wollen viele nicht. Solange sich weiterhin vor allem Frauen um Kinder, Pflegebedürftige und Haushalt kümmern, würden viele Teilzeitbeschäftigte nicht freiwillig ihre Stelle aufstocken, sondern allenfalls, wenn sie finanziell dazu gezwungen sind, betont die Wissenschaftlerin. Sie plädiert für insgesamt kürzere Arbeitszeiten, die Beschäftigte flexibler an ihre Bedürfnisse anpassen können und vor allem für eine gleichberechtigte Übernahme von Sorge- und Erwerbsarbeit.

Länger Arbeiten: »Ein Geschenk Gottes«

Arbeitgebernahe Ökonomen argumentieren hingegen, dass es schon jetzt nicht genügend Arbeitskräfte gibt und es »demografisch bedingt« künftig noch weniger werden. »Da kann die Lösung nicht sein, das dürfte eigentlich jedem unmittelbar einleuchten, weniger zu arbeiten«, sagte etwa der Wirtschaftswissenschaftler Holger Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einem SWR-Interview. Folgt man der Argumentation, werden bei kürzeren Arbeitszeiten mehr Beschäftigte gebraucht. Genau so argumentierte die IG Metall in den 1980er Jahren, als sie für die 35-Stunden-Woche kämpfte. Damals allerdings wollte die Arbeitgeberseite von diesem Effekt nicht wissen, erinnert sich Seifert: »Gesamtmetall hat damals eine Kampagne gefahren, dass die behaupteten Beschäftigungseffekte anderswo entstehen würden, nicht in Deutschland«, weil Firmen Tätigkeiten ins Ausland verlagern würden.

Tatsächlich habe es damals Beschäftigungseffekte gegeben, und auch heute müsste bei kürzeren Arbeitszeiten in bestimmten Bereichen zusätzliches Personal eingestellt werden, wenn man etwa die Versorgung von Patienten nicht verschlechtern will. Das geht, wenn man anderes lässt und es sich nicht bequem macht, wenn es etwa um Arbeitslose geht. Wenn die Arbeitskräfteknappheit so ein Riesenproblem ist, könne man laut Seifert im Übrigen auch sagen: Das Wirtschaftswachstum sollte jetzt nicht auch noch angekurbelt werden, denn dann bräuchte man noch mehr Erwerbstätige.

Aber Wachstum ist für einige Ökonomen nicht Mittel zum Zweck, sondern Ziel. So plädierten Wirtschaftswissenschaftler bereits früher für längere Arbeitszeiten. Der damalige Präsident des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, schlug etwa im Jahr 2004 laut »FAZ« vor, die reguläre Arbeitszeit auszuweiten, etwa um zehn Prozent. »Das Wachstum über Arbeitszeitverlängerung ist der Königsweg«, sagte Sinn. »Wir nutzen die Maschinen besser aus, und es ist ein Wachstumsschub möglich, ohne dass man mehr Kapital investieren muss. Wachstum über Arbeitszeitverlängerung ist praktisch zur Hälfte belohnt durch ein Geschenk des lieben Gottes. Es ist so, als würde man umsonst einen größeren Kapitalstock bekommen.« Der liebe Gott sind in diesem Bild Beschäftigte, die Unternehmen Mehrarbeit schenken. Auch IW-Arbeitsmarktfachmann Schäfer sprach sich für längere Wochenarbeitszeiten aus.

Damals war nicht Personalmangel das Problem, sondern im Gegenteil die hohe Arbeitslosigkeit. Rund 4,4 Millionen Menschen waren 2004 als arbeitslos registriert. Längere Vollzeit ist eben eher im Interesse von Unternehmen und kürzere eher im Interesse von Beschäftigten.

Das »Leuchtturmprojekt«

Derzeit ist es wieder die IG Metall, die in einer ganzen Branche kürzere Arbeitszeiten durchsetzen will: Für die Stahlindustrie peilt sie die 32-Stunden-Woche an, im November beginnen die Tarifverhandlungen. Bislang arbeiten Beschäftigte in der Produktion häufig zwei Frühschichten, zwei Spätschichten und zwei Nachschichten, anschließend haben sie vier Tage frei, erläutert der IG-Metall-Sprecher von NRW. Damit kommen sie nicht ganz auf 35 Wochenstunden, deshalb müssen sie in den vier freien Tagen immer wieder Zusatzschichten machen, die sehr unbeliebt seien. Mit kürzeren Arbeitszeiten könnten sie verschwinden.

Die IG Metall ist in der Stahlindustrie stark, der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist hoch. Die Machtverhältnisse sind also relativ günstig. »Das ist ein Leuchtturmprojekt«, sagt Seifert. Wenn die Gewerkschaft die 32-Stunden-Woche dort durchsetzt, »kann das die neue Benchmark werden«.

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