10 Jahre Snowden-Leaks: Enthüllungen nicht mehr erwünscht

Die journalistische Auswertung der Snowden-Dateien ist nach staatlichem Druck versiegt

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 3 Min.

Anlässlich des fünften Jahrestags des Beginns der Snowden-Enthüllungen 2018 sagte der ranghohe US-Geheimdienstler Bill Evanina der Nachrichtenagentur AP, da erst ein Prozent der entwendeten Dateien veröffentlicht sei, »wird diese Angelegenheit nicht so bald enden«. Das tat sie dann aber doch. Als Grund dafür sieht John Goetz »eine Ermüdung beim Thema Snowden«. Der preisgekrönte Investigativjournalist des NDR bedauert das, denn auch heute noch seien in den vielen Dokumenten des Whistleblowers wichtige Aspekte enthalten. Goetz arbeitete 2010 und 2011 beim »Spiegel« mit Wikileaks zusammen. 2013 wertete er für Enthüllungsartikel in der »Süddeutschen Zeitung« Snowden-Dateien aus. Beim NDR, wo er mittlerweile angestellt ist, hat er zu diesen Themen Dokumentarfilme gemacht.

Doch mit Themenermüdung allein ist das Ende der Snowden-Berichterstattung nicht erklärbar. Ein Grund dafür dürfte der staatliche Druck auf Medien und deren anschließendes Einknicken sein. Deutlich und öffentlich bekannt wurde dies im Fall der britischen Zeitung »Guardian«. In deren Zentrale trug sich am 20. Juli 2013 eines der wohl bizarrsten Ereignisse der jüngeren Zeitungsgeschichte zu: Unter der Aufsicht von Agenten des britischen Geheimdienstes GCHQ wurden von Mitarbeitern des »Guardian« Speichermedien zerstört, die Snowdens Material enthielten.

Der »Guardian« war nach seinem ersten Artikel am 6. Juni mehrfach aus Regierungskreisen kontaktiert worden, um weitere Veröffentlichungen von geheimem Material zu unterlassen. Chefredakteur Alan Rusbridger berichtete von den Einschüchterungen und Forderungen in einem Artikel vom 19. August 2013. Darin schrieb er aber auch, die Enthüllungsarbeit werde vom New Yorker Büro der Zeitung aus weitergehen: »Wir werden weiterhin geduldige und gewissenhafte Berichterstattung über die Snowden-Dokumente liefern, aber halt nicht von London aus.« Im Dezember 2013 äußerte Rusbridger sich ähnlich, als er in einem Ausschuss des britischen Parlaments von der erlittenen Repression berichtete.

Doch es kam anders. Auf der Plattform für kollaborative Software-Entwicklung Github hat jemand eine angeblich komplette Liste aller Veröffentlichungen auf Basis der Snowden-Dokumente zusammengestellt. Der »Guardian« brachte es demzufolge 2013 auf 18 Artikel, 2014 aber nur noch auf drei. Der letzte ist von Februar 2014. Andere Medien, darunter der »Spiegel«, lieferten noch jahrelang Veröffentlichungen. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von bedenklichen Entwicklungen beim »Guardian«, darunter Exklusivinterviews mit Geheimdienstchefs und die Mitarbeit in einem Regierungskomitee, das Medien »bittet«, auf bestimmte Berichterstattungen zum Wohl des Staates zu verzichten.

Aber auch das 2014 von Laura Poitras und Glenn Greenwald mitgegründete Online-Magazin »The Intercept«, das sich der Arbeit am Snowden-Material widmen sollte, steht in der Kritik. Die Redaktion verfügte, im Gegensatz zu allen anderen Medien, über den gesamten Snowden-Schatz. 2019 beendete »The Intercept« zum Unwillen der mittlerweile ausgeschiedenen Poitras und Greenwald die Auswertung des brisanten Materials und wünschte den Beiden viel Glück dabei, andere Partner zu finden. »›The Intercept« hat sich schnell in eine andere Richtung entwickelt», bedauert John Goetz. Auf Anfrage, ob die Redaktion das Snowden-Archiv überhaupt noch hat, lehnt «The Intercept» eine Stellungnahme ab.

Der allergrößte Teil der Snowden-Dokumente steht nun so gut wie niemandem zur Verfügung. «Zu Beginn der Enthüllungen gab es die Idee, das Material einer Stiftung zu geben», erinnert sich John Goetz. «Das ist aber leider nicht passiert.»

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