Repression gegen Umweltbewegung in Frankreich

15 Personen nach Razzien durch Antiterror-Einheiten in Untersuchungshaft

  • Luc Skaille, Dijon
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Festnahmen erfolgten im Zusammenhang mit der Sabotage eines Betriebsgeländes von Lafarge im Dezember in der Provence.
Die Festnahmen erfolgten im Zusammenhang mit der Sabotage eines Betriebsgeländes von Lafarge im Dezember in der Provence.

Mit acht Hausdurchsuchungen hat das französische Innenministerium am Montag zu einem Schlag gegen vermeintlich militante Mitglieder der französischen Umweltbewegung ausgeholt. Rund 70 teils schwer bewaffnete Polizisten bezogen im Morgengrauen Stellung in den südfranzösischen Dörfern Caylus und Verfeil-sur-Seye in der Region Okzitanien. Zwei Personen wurden nach der Durchsuchung mehrerer Wohnhäuser in Verfeil verhaftet. Weitere Razzien erfolgten in den Städten Marseille, Montreuil, Dijon, Lyon, Toulouse und Bayonne.

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Von den Durchsuchungen waren insgesamt 15 Personen betroffen, alle sind in Untersuchungshaft. Ermittelt wird wegen der Gründung einer kriminellen Vereinigung, hieß es erst am Dienstag von der zuständigen Staatsanwaltschaft in Aix-en-Provence. Im Fokus steht eine Sabotageaktion gegen das Zement-Unternehmen Holcim-Lafarge in der Nähe von Marseille vom Dezember des vergangenen Jahres. Damals waren rund 200 mit weißen Overalls bekleidete Umweltschützer*innen auf ein Betriebsgelände in der Provence eingedrungen und hatten dort nach Angaben des Konzerns Sachschaden in Höhe von vier Millionen Euro angerichtet.

Der global agierende Baustoffriese Lafarge wird von der französischen Umweltbewegung schon länger wegen seiner Umweltzerstörung adressiert. Im schweizerischen Éclépens gab es im vergangenen Jahr eine längere Besetzung gegen ein Zementwerk; im Hafen von Gennevilliers bei Paris beschädigte 2021 unter anderem Extinction Rebellion Infrastrukturen des Unternehmens. In der Kritik steht auch die Kooperation mit Daesh in Syrien vor zehn Jahren, weshalb Lafarge bereits Strafzahlungen im hohen dreistelligen Millionenbereich leisten musste.

Die Behörden rechnen die nun beschuldigten Aktivist*innen der Umweltkampagne »Les soulèvements de la terre« (Die Aufstände der Erde) zu. Sie setzt sich aus Umweltverbänden, der Kleinbäuer*innen-Gewerkschaft Confédération Paysanne und autonomen Gruppen zusammen. Zulauf erfuhr die Bewegung auch mit Landbesetzungen gegen Bodenspekulation im Jura, dem illegalen Abernten von Reben der Luxusgüter-Gruppe LVMH im Department Var oder mit der jüngsten Blockade von Bauarbeiten der Autobahn-Baustelle A69 bei Toulouse. Zuletzt erhielt die Kampagne »Aufstände der Erde« größere Aufmerksamkeit, nachdem sie Demonstrationen gegen die Wasserrückhaltebecken der Agrarindustrie in Sainte-Soline organisiert hatte. Mit über 25 000 Demonstrant*innen handelte es sich um die größte Mobilisierung der Ökologiebewegung seit Jahrzehnten in Frankreich.

Mit der immer erfolgreicheren Bewegung nahmen auch die staatlichen Überwachungsmaßnahmen gegen Bürgerinitiativen und Umweltgruppen zu. Dabei hantieren die Behörden mit dem Begriff »Ökoterrorismus«, der in Frankreich Protestierende bezeichnet, die mit mehr oder weniger ausgeprägtem zivilen Ungehorsam gegen die Ursachen der ökologischen Kipppunkte vorgehen. Nach den Protesten in Sainte-Soline will das Innenministerium »Die Aufstände der Erde« sogar verbieten.

Laut dem Umweltportal »Reporterre« war an den Razzien am Montag die Anti-Terrorismus-Direktion SDAT maßgeblich beteiligt. Das Vorgehen der Polizei erinnert an die »Tarnac-Affäre« von 2008, als die damals umtriebige Bewegung gegen Atommüll-Transporte mit Repressionen überzogen wurde. Der Vorwurf einer kriminellen Vereinigung hatte letztlich keinen Bestand vor Gericht.

Auch das globalisierungskritische Netzwerk Attac hat den Polizeieinsatz vom Montag verurteilt. Dass »Antiterror-Gesetze gegen die Umweltbewegung« angewendet werden, während die geschädigte Firma Holcim-Lafarge selbst für die nachweisliche Zusammenarbeit mit der Terrororganisation Daesh für schuldig befunden wurde, bezeichnete die NGO als »zynisch«. Mit weiteren Organisationen ruft auch Attac für das kommende Wochenende zur Mobilisierung gegen den großflächigen Abbau von Sand in Loire-Atlantique auf. Dort geht es ebenfalls um die zweifelhaften Geschäfte von Holcim-Lafarge.

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