Die Seele der Republik?

Habbo Knoch über deutsche Geschichte im Namen der Würde

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 3 Min.

Historiker suchen gern immer wieder neue Zugänge zur Darstellung der Vergangenheit wie der Zeitgeschichte. Darum bemüht sich auch der Kölner Geschichtsprofessor Habbo Knoch. Er widmet sich deutscher Geschichte, in dem er sich mit Artikel 1 des Grundgesetzes (GG) befasst: »Die Würde des Menschen ist unantastbar.« Der Parlamentarische Rat hatte als Autoren der am 23. Mai 1949 verkündeten Verfassung der im September jenes Jahres gegründeten Bundesrepublik die damals bekannten Verbrechen der Nazis im Blick, die ihnen diese Klammer für alle Grundrechte erforderlich erschienen. Den Rückgriff auf christliche, sozialistische und liberale, auf philosophische und historische Vorgänger des Begriffs der Würde wie auch deren nie ganz exakt umrissenen Gehalt behandelt der Autor eingehend. Sachkundig beschreibt er wichtige Beiträge zur Schärfung des Begriffs und dessen inhaltliche Gewichtung. Dies alles eingebettet in die Entwicklung des einen Teils Deutschlands über die schließliche Überwindung deutscher Zweistaatlichkeit bis in die Gegenwart.

Es gehörte und gehört stets Mut dazu, der Würde des Menschen den ihr zustehenden Platz in der Gesellschaft sowie in den gesetzgebenden und administrativen Handlungen des Staates zuzuweisen. Knoch erwähnt nicht nur bedeutende Persönlichkeiten wie Albert Schweitzer, Franz Fanon, Nelson Mandela oder Martin Luther King, sondern benennt auch deren konkrete gedankliche wie reale Beiträge zu einer Verstetigung der Anerkennung und Sicherung der Würde eines jeden Menschen. Die deutsche Fortschreibung von Art. 1 GG zeichnet Knoch nicht nur anhand der Urteile des Bundesverfassungsgerichts nach, er ruft zugleich klangvolle Namen aus Politik und Gesellschaft in Erinnerung, zum Beispiel den einstigen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Ernst Benda, den deutsch-britischen Soziologen Ralf Dahrendorf, Studentenführer Rudi Dutschke, den ehemaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann sowie den Rechtsphilosophen Werner Maihofer und Pfarrer Martin Niemöller. Knoch würdigt deren Verdienste um die Vertiefung und rechtliche Verankerung des Verständnisses von Menschenwürde, die zur Seele der Bundesrepublik geworden sei. Er benennt natürlich auch deren stetig latente Gefährdungen aus unterschiedlichsten Kreisen und Motiven. Er diskutiert zentrale rechtspraktische Entscheidungen wie etwa bezüglich der Gleichberechtigung der Geschlechter und das erst spät (Jahrzehnte nach der DDR) verankerte Recht auf Schwangerschaftsabbruch oder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder die Sanktionierung von Folter. Auch auf die Herausforderungen der Biotechnologie geht Knoch ein. In der Garantie der Würde von Behinderten und von Strafgefangenen sind in den letzten Jahren Fortschritte erzielt worden. Hinsichtlich von den Menschen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, Kindern und Alten sowie Asylbewerbern besteht jedoch nach wie vor großer Handlungsbedarf.

Zum Schluss setzt sich Knoch mit der Debatte um den Begriff menschlicher Würde auseinander. Verwässert ein »inflationärer« Gebrauch deren eigentlichen Inhalt? Der öffentlich breit rezipierte Philosoph Peter Sloterdijk sieht »in einer besonderen Menschenwürde nur noch ein überholtes metaphysisches Sprachspiel«. Knoch weist solche Einwände zurück.

Knoch beschreibt, wie die Bundesrepublik zu dem wurde, was sie heute ist und artikuliert seine Vorstellungen, wie sie sein sollte. Er fordert, »die Menschenwürde als unantastbares Axiom der politischen Moral der Bundesrepublik zu achten, zu sichern und zu verteidigen«. Nur so könnten »wir ebenso für gezielte Angriffe auf die Menschenwürde wie für die schiefen Ebenen ihrer schleichenden Erosion« wachsam bleiben und diese abwehren.

Habbo Knoch: Im Namen der Würde. Eine deutsche Geschichte. Hanser, 429 S., geb., 29 €.

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