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Frankreich: Macron lässt sich nicht erweichen

Trotz Aktionstag und Gesetzesinitiative hält Frankreichs Präsident an der unpopulären Rentenreform fest

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Zum 14. Streik- und Aktionstag gegen die Rentenreform am vergangenen Dienstag konnten die Gewerkschaften noch einmal viele Franzosen auf die Straße bringen. Doch die Beteiligung der insgesamt 900 000 Menschen an den landesweit rund 250 Demonstrationen war die schwächste aller Aktionstage seit Anfang Januar. Trotz der Mobilisierung war eine sich verbreitende Stimmung der Resignation zu verspüren. Während Jean-Luc Mélenchon, der Gründer der Bewegung La France insoumise, mit Losungen wie »Der Widerstand geht weiter« Mut und Zuversicht verbreiten wollte, stellte Laurent Berger, der Vorsitzende der größten Gewerkschaft CFDT, nüchtern fest, dass »dies wohl das letzte Mal ist, dass wir in dieser Sache so zusammenkommen«. Es wird immer deutlicher, dass Präsident Emmanuel Macron und seine Regierung hart bleiben und die Rentenreform gegen jegliche Art von Widerstand durchzusetzen gewillt sind, auch wenn sie das weiter viel Rückhalt in der Bevölkerung kostet.

Auch die seit Wochen bewahrte leise Hoffnung, dass am heutigen Donnerstag in der Nationalversammlung noch in letzter Minute das Steuer herumgerissen und die Reform zu Fall gebracht werden kann, schwindet. Bei diesem Szenario setzte man auf eine Initiative der kleinen bürgerlichen Zentrumsfraktion Liot. In der Nationalversammlung verfügt jede Fraktion der Opposition einmal im Jahr über eine eintägige »Nische«, um eigene Gesetzentwürfe einzubringen und über sie abstimmen zu lassen. Liot will ihre Nische am heutigen Donnerstag nutzen, um zu versuchen, den Kern der Rentenreform, also die Änderung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre, rückgängig zu machen. Dabei könnten die nur etwa ein Dutzend Liot-Abgeordneten auf die Stimmen aller linken Parteien, aber auch des rechtsextremen Rassemblement National sowie viele von der rechten Oppositionspartei der Republikaner zählen. Außerdem wäre damit zu rechnen, dass sich bei einer solchen Abstimmung einige Parlamentarier vom linken Rand des Regierungslagers der Stimme enthalten. Eine ähnliche Konstellation hatte am 20. März, als die Liot-Fraktion einen Misstrauensantrag einbrachte und viel Unterstützung fand, zum Ergebnis, dass nur neun Stimmen zum Sturz der Regierung fehlten.

Doch inzwischen ist es fraglich, ob es heute überhaupt zu einer Abstimmung kommt. Um die Liot-Initiative von vornherein zu entschärfen, hat das Regierungslager in den vergangenen Tagen zu allem gegriffen, was sich in der Verfassung der Fünften Republik und in der Geschäftsordnung der Nationalversammlung an juristischen Winkelzügen finden ließ. Man könne Macron und seiner Regierung nicht das Verdienst absprechen, die Franzosen näher mit der Verfassung vertraut gemacht zu haben, indem man zu den Artikeln 47.1, 49.3 und 44.3 griff, um die Rentenreform im Sturmschritt und undemokratisch, weil ohne Debatte und ohne Abstimmung, durchs Parlament zu pressen, stellt der Abgeordnete Eric Coquerel von der Bewegung La France insoumise ironisch fest. Als nun Anfang der Woche in der Parlamentskommission für soziale Angelegenheiten darüber debattiert und abgestimmt wurde, ob der Liot-Gesetzentwurf ans Plenum der Nationalversammlung weiterzuleiten sei, griff man, um das zu torpedieren, auf den weitgehend vergessenen Artikel 40 der Geschäftsordnung des Parlaments zurück. Danach sind keine Gesetzentwürfe zulässig, die zu Mehrausgaben über den vom Parlament verabschiedeten Staatshaushalt hinausführen würden. Die Rückführung des Rentenalters auf 62 Jahre verursache jedoch bis 2030 Mehrkosten von 15 bis 20 Milliarden Euro, behauptet die Regierung, obwohl namhafte Wirtschaftsexperten dem widersprechen.

Um in der Kommission für soziale Fragen das Abwehrmanöver gegen die Liot-Initiative zu unterstützen, hat sogar die Führung der rechten Oppositionspartei der Republikaner, die beim Thema Rentenreform auf Seiten der Regierung steht, ihre eigenen Kommissionsmitglieder, die im März für den Misstrauensantrag gestimmt hatten, abberufen und durch »linientreuere« Fraktionsmitglieder ersetzt. So erreichte das Regierungslager Hand in Hand mit den Republikanern, dass die Kommission schließlich mit 38 zu 34 Stimmen den Artikel 1 des Liot-Gesetzentwurfs mit der Rückführung des Rentenalters von 64 auf 62 Jahre zurückwies. Angenommen wurde nur der Artikel 2, der eine Konferenz über die künftige Finanzierung der Rente vorsieht. Dass damit der Gesetzentwurf seines Sinns beraubt wird, will die Liot-Fraktion aber nicht kampflos hinnehmen. Sie wird heute im Plenum einen Abänderungsantrag einbringen, um den Artikel 1 ihres Gesetzentwurfs wiederherzustellen. Es ist aber damit zu rechnen, dass dies von der zum Regierungslager gehörenden Parlamentspräsidentin Yael Braun-Pivet als unstatthaft zurückgewiesen wird – mit Hinweis auf den Artikel 40 der Geschäftsordnung. Für diesen Fall hat die Fraktion des Linksbündnisses Nupes angekündigt, dass sie einen Misstrauensantrag gegen die Regierung einbringen wird. Der dürfte allerdings keine Aussicht auf Erfolg haben.

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