Es ist eine Lüge, dass Muttersein alle Frauen glücklich macht

Die Medienkünstlerin Franziska Burkhardt über Reuegefühle und Mutterschaft, transgenerationale Traumata und ihr Aufwachsen in der DDR

Franziska Burkhardt hat eine neun Jahre alte Tochter und ist Sprecherin für das Thema »Reuegefühle und Mutterschaft«.
Franziska Burkhardt hat eine neun Jahre alte Tochter und ist Sprecherin für das Thema »Reuegefühle und Mutterschaft«.

Frau Burkhardt, was ist die größte Lüge über das Muttersein?

Interview

Franziska Burkhardt, 37, lebt in Weimar und hat eine neun Jahre alte Tochter. Sie ist Medienkünstlerin und Sprecherin für das Thema »Reuegefühle und Mutterschaft«.

Die größte Lüge ist, dass Muttersein alle Frauen, die sich dafür entscheiden, glücklich macht.

Welche Gefühle verbinden Sie mit Ihrer Rolle als Mutter?

Das sind viele verschiedene. Gerade bin ich zum Beispiel ziemlich genervt, weil meine Tochter in die Pubertät kommt – und das merkt man!

Und sonst?

Ansonsten sind Wut und Trauer Dauerthemen. Als Elternteil ist man ja ständig auch mit seiner eigenen Kindheit konfrontiert. Dazu kommt dann noch körperliche und geistige Erschöpfung, weil man einfach superpräsent sein muss. Gleichzeitig gibt es aber immer wieder gute Momente: Liebe spielt auf jeden Fall auch eine große Rolle. All diese Gefühle sind total ambivalent und in keiner Weise stetig. Das ist eigentlich ganz menschlich, aber eben auch sehr herausfordernd.

Wer ist für die Erziehung Ihrer Tochter verantwortlich?

Aktuell haben der Kindsvater und ich uns auf ein Wechselmodell geeinigt, sodass wir abwechselnd eine Woche lang zuständig sind. Das entlastet mich sehr. Und ich merke auch, dass ich diese eine Woche ohne Kind brauche.

Wofür?

Für mich. Um mich zu erholen und mich wieder zu erden.

Vor diesem Wechselmodell waren Sie vier Jahre alleinerziehend.

Diese Zeit war sehr anspruchsvoll. Ich hatte damals keinen Raum für mich selbst. Erschöpfung und Überforderung standen im Vordergrund. Auch Frustration und teilweise depressive Stimmungen.

Das klingt nicht nach dem stereotypen Bild vom Muttersein als dem größten Glück auf Erden überhaupt.

Nein, denn in unserer Gesellschaft ist ein bestimmtes Mutterbild vorherrschend. Und das hatte ich am Anfang auch. Ich dachte: »Ich bin eine Frau, ich werde auf jeden Fall Mutter und bekomme zwei Kinder.« Diese Vorstellung habe ich nie infrage gestellt und ich wäre auch gar nicht auf die Idee gekommen, dass Mutter werden in irgendeiner Weise mit Unglück verbunden sein könnte. Ich habe mir das superschön ausgemalt. Aber dann kam irgendwann alles anders.

Inwiefern?

Einen Monat nach der Geburt wurde ich mit meiner Tochter sitzengelassen, von einem Vater, der sich in seiner Überforderung dazu entschieden hatte, seine Rolle nicht anzunehmen. Jeder, der schon einmal auf ein Baby aufpassen musste oder selbst Kinder hat, weiß, wie unfassbar anstrengend das erste Jahr ist. Und da sind häufig schon Menschen überfordert, die zu zweit sind.

Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Ich habe einfach superkrass funktioniert. Und natürlich auch nicht gemerkt, dass ich dabei permanent meine eigenen körperlichen Grenzen überschreite. Durch dieses Funktionieren und dieses sich Kümmern um einen kleinen Menschen kommt man in so etwas wie einen Überlebensmodus. Das ist, wie 365 Tage im Jahr einen 24-Stunden-Job zu haben. Im zweiten Jahr hatte ich dann eine Panikattacke. Eines Abends sendete mir mein Körper ein Notsignal und sagte: So geht das jetzt nicht weiter.

Was haben Sie dann gemacht?

Ich bin für eine Nacht in eine Klinik auf die Psychiatrie gegangen. In den Gesprächen dort ist mir klar geworden, dass ich Abstand zu meinem Kind brauchte. Ich habe darüber nachgedacht, für was ich mich da eigentlich entschieden habe, und dabei kamen so viele dunkle und negative Gefühle auf. Also ich habe dann wirklich Gedanken gehabt wie: Ich bereue die Entscheidung, Mutter geworden zu sein.

Während Väter, die sich ihrer Rolle entziehen, kaum negative Konsequenzen zu fürchten haben, haftet Frauen schnell das Stigma der sogenannten Rabenmutter an.

Das Problem ist: Männer können das in dieser Gesellschaft einfach tun. Weil sie das schon immer durften. Mittlerweile ist ja häufiger vom Patriarchat die Rede, was auch gut ist. Aber man muss auch wirklich immer wieder darauf hinweisen, worauf dieses ganze System beruht, nämlich darauf, dass kleine Jungs von Anfang an nicht in den Haushalt einbezogen werden, die dürfen schon immer wild und frei sein. Und wenn dann so ein Mann sagt, na ja, also ich habe jetzt gerade nicht so Ambitionen, in meine Vaterrolle zu gehen, dann ist das halt auch okay. Dass eine Frau aber, die ein Kind geboren hat, die Entscheidung, Mutter geworden zu sein, bereut, ist hingegen unvorstellbar. Schließlich geht man davon aus, dass sie in ihrer Rolle glücklich ist, weil das ja von der Natur so vorgegeben ist.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie in sozialen Medien vermeintlich überglückliche Mütter sehen?

Da wird ein Bild aufrechterhalten, das nicht der Realität entspricht. Und das schürt natürlich weiter diese Vorstellung, dass Muttersein so eine Erfüllung ist. Auch wenn medial gerade mehr über Themen wie Mental Load (Belastung, die durch das Organisieren von Alltagsaufgaben entsteht, Anm. d. Red.) berichtet wird, bleibt das häufig noch sehr oberflächlich.

Was wäre stattdessen nötig?

Es müsste viel mehr wütendere Mütter geben! Ich habe den Eindruck, dass sich keine so richtig traut, wütend zu sein. Frauen machen einfach unfassbar viel und da ist es so wichtig, auch mal seine Überlastung transparent zu machen. Eine gesunde Wut kann dabei helfen zu sagen: Ich bin erschöpft, ich kann nicht mehr, ich brauche Hilfe und Entlastung. Dafür muss man auch lernen, Aufgaben abzugeben und zu sagen: »Ey, ich muss jetzt hier nicht alles die ganze Zeit alleine managen, das schaffe ich einfach nicht.«

Mit welchem Bild von Mutterschaft sind Sie selbst aufgewachsen?

Ich bin in der DDR groß geworden und dort wartete auf Mütter nach ihrem 40-Stunden-Job zu Hause immer auch noch die zweite Schicht. Das bedeutete: die Kinder aus dem Kindergarten abholen, Essen machen, den Haushalt schmeißen. Es heißt ja immer, Frauen wären damals so emanzipiert gewesen – das sehe ich anders.

Warum?

Weil meine Mutter sowohl arbeiten ging als auch für uns Kinder da war. Und mein Vater, der war natürlich auch arbeiten, aber der ist in meiner Kindheit nicht wirklich präsent gewesen. Wohingegen meine Mutter für mich so etwas wie eine Superheldin gewesen ist. Die natürlich am Ende gar keine ist, weil sie auch mir vorgelebt hat, dass sie alles kann, alles schafft, alles macht. Dabei habe ich schon als junges Mädchen gesehen, dass auch sie Unterstützung braucht. Darum habe ich natürlich auf meine Schwester aufgepasst und war somit schon früh in dieser Verantwortungsrolle drin. Was auch da schon zu Überlastung und Überforderung geführt hat, aber als Kind reflektiert man das ja nicht.

Ein klassisches Muster weiblicher Sozialisation …

Ja, und meine Mutter hat sich nie die Zeit genommen, mal durchzuatmen oder sich um sich selbst zu kümmern, eine Therapie zu machen, um diese ganzen Dinge aufzuarbeiten. Noch heute ist sie eine Person, die irgendwie immer für andere da ist. Und sie hat ja auch mir das gleiche Funktionieren und Durchhalten vorgelebt, wie es ihre eigene Mutter erlebt hat. Das Problem ist: Wenn wir das nicht aufbrechen, dann geben wir das an unsere Kinder weiter. Als Kind habe ich meiner Mutter zwar angesehen, dass sie Hilfe braucht, aber nicht, dass sie so erschöpft ist. Und ich denke, dass ich das übernommen habe und dass das auch in meinem Körper steckt. Ich spüre das auch, weil ich einfach immer wieder sehr schnell erschöpft und von den kleinsten Dingen überfordert oder überreizt bin.

Mittlerweile ist Ihre Tochter neun Jahre alt. Welchen Umgang haben Sie mit den Gefühlen der Reue über Ihre Rolle als Mutter gefunden?

Ich habe mich sehr intensiv mit der Reue und mit der Situation, in der ich mich damals befunden habe, auseinandergesetzt. Sowohl als Frau, als Mutter, aber auch als Künstlerin. Kunst zu machen, hat mir total geholfen. Genauso wie mit anderen zu sprechen, dadurch die Thematik besser zu verstehen und zu lernen, meine Gefühle zu transformieren und sie so anzunehmen, wie sie sind. Am Ende geht es doch genau darum. Dass wir – egal, welche Gefühle wir haben – lernen, diese anzunehmen. Und darum, dass es auch gesellschaftlich kein Tabu sein sollte, über diese Gefühle zu sprechen. Aber das ist es leider immer noch – vor allen Dingen in Bezug auf Mutterschaft.

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