Deutschland 2035: Kampf dem Klimaextremismus

Eine Nation begegnet einem neuen Feind: Lasse Thiele wirft einen vorsichtigen Blick in die Zukunft.

  • Lasse Thiele
  • Lesedauer: 3 Min.

Deutschland 2035. In der TV-Talkshow »Hart & zwar sehr« zum Thema »Klima immer extremistischer – wann wird es verboten?« lässt sich eine Verfassungsrechtlerin beim Versuch niederbrüllen, zumindest formaljuristische Zweifel an einem allgemeinen Klimaverbot anzumelden. »Das Wetter steht nicht über dem Gesetz. Es hat sich an unsere Regeln zu halten«, schäumt der Justizminister nach einem Dürresommer. »Wir dulden keine rechts- und niederschlagsfreien Räume.« Die innenpolitische Sprecherin einer Oppositionsfraktion fordert angesichts »wiederholter Unregelmäßigkeiten« eine Beobachtung des Deutschen Wetterdienstes durch den Verfassungsschutz.

Die letzten Klimaaktivist*innen stehen am Pranger: »Wer dieses Klima jetzt noch schützen will, macht sich an dessen Zerstörungswut mitschuldig und verlässt endgültig den Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung«, heißt es aus der Polizeigewerkschaft. »Man kann ja Wetter mögen, aber doch nicht so eins!« Auch die katholische Kirche hat die Suche nach Schuldigen intensiviert, seit das historische Rheinhochwasser 2033 zahlreiche Kirchengebäude beschädigte. So sinniert ein Bischof im »FAZ«-Interview, das auffällige Eintreten des Erderhitzungsschubs nach der sexuellen Emanzipation der 60er und 70er »sollte uns zu denken geben.«

Lasse Thiele
Lasse Thiele arbeitet im Konzeptwerk Neue Ökonomie am Thema Klimagerechtigkeit.

Dabei lief es kürzlich noch bestens. Zusammen mit einer Unternehmensberatung hatte die Bundesregierung in den 2020ern ein komplexes Verrechnungskonzept für Treibhausgasemissionen (»Netto-Null 4.0«) entwickelt. Dabei wurden hypothetische CO2-Einsparungen durch den teilweisen Verzicht auf Flugtaxis im Berufsverkehr so lange gegen reale Emissionen von Autos und Industrieschloten aufgerechnet, bis Deutschland sich 2029 »klimaneutral« und 2031 gar »klimapositiv« deklarieren konnte.

Dass das Klima ungeachtet solch großzügiger Friedensangebote weiter eskalierte, haben die Deutschen ihm nicht verziehen. Während an den bayerischen Außengrenzen Bürgerwehren auf dunkle Wolken schießen, will der Staat das Klima großflächig zurechtbiegen. Massive Geoengineering-Programme sollen etwa Sonnenschilde in der Erdumlaufbahn installieren und von Schiffen aus wolkenbildende Aerosole versprühen. »Den Klimaextremismus mit seinen eigenen Waffen schlagen!«, steht auf Plakaten des Verteidigungsministeriums.

Warnungen vor Risiken gelten wahlweise als »Klimaversteherei« oder »technologieverschlossen«. Die seriöse Kontroverse beschränkt sich auf Finanzierungsfragen: Liberale regen Steuersenkungen für Milliardär*innen an, um »die nötigen finanziellen Spielräume« für private Investitionen im Sinne einer »marktkonformen Erdstabilisierung« zu schaffen. Die Regierung dagegen will Geoengineering unter dem Arbeitstitel »Achtfachwumms« über Neuverschuldung finanzieren. Den »Vierfachwumms« in Folge der Vogelgrippe-Pandemie 2026 – 2029 hatte der Staatshaushalt schließlich auch überlebt.

Dafür waren allerdings harte Sparmaßnahmen erforderlich, bei denen die Katastrophenschutzbehörden der Bundesländer abgeschafft wurden. Infolge investigativer Recherchen durch Boulevardzeitungen waren sie in den Verdacht geraten, in eine ökokommunistische Weltverschwörung verstrickt zu sein. Im Katastrophenschutz gilt seitdem strikte Eigenverantwortung. Auch Evakuierungen aus Flutgebieten gelten als dreiste Bevormundung. Wer sich privat retten möchte, kann sich immerhin ein subventioniertes Flugtaxi anschaffen. Der Staat schießt aus einem Sonderhaushalt eine Stets-Gewappnet-Prämie von 10 000 Eiro zu.

Trotz aller Verwerfungen ist Deutschland 2035 kein freudloser Ort. Besonders ausgelassen feiern SUV-Korsos auf monatlichen Freiheitssternfahrten in zahlreichen Städten unter dem Motto »Endlich normal – nie wieder Parkplatznot« das Rückbaujubiläum des letzten innerstädtischen Radwegs. Es gibt Bratwurst.

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