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Puppenspielfest »Figure It Out«: Zu Gast bei Helgas Gruselshow
Das Puppentheaterfestival »Figure It Out« an der Berliner Schaubude war ein großer Ausprobierparcours
Puppenspiel rockt, zumindest kann es das große Popmusikgeschäft hinreißend persiflieren. Claudia Engel und Matthias Ludwig von der Brandenburger Compagnie Flunkerproduktionen jedenfalls traten im Rahmen des Jubiläumsfestivals »Figure It Out« an der Berliner Schaubude zunächst als verschüchterte eigene Vorband auf, bevor sie dann im Banne des geheimnisvollen Orakelwesens Miaulina standen und Songs über die Alltagsprobleme von Superheld*innen zum Besten gaben. Ihr szenisches Konzert »Superhelden in Krisen« zeigte auf, dass Puppen-, Figuren- und Objekttheater immer erfindungsreicher und mutiger wird und in angrenzende Kunstgenres vordringt.
Künstlerische Forschung war daher auch ein zentraler Begriff des elftägigen Festivals, das am vergangenen Wochenende zu Ende ging. Das Festival, ausgerichtet zum 30. Geburtstag der Schaubude als Gastpielhaus für Puppentheater, war dann auch weniger ein Best of der Szene. Vielmehr legte Schaubudenintendant Tim Sandweg die Aufmerksamkeit auf Aspekte des Forschens und Entwickelns. »In den letzten Jahren sind durch die Forschungsresidenzen im Rahmen der Förderung durch Neustart Kultur des Fonds Darstellende Künste zahlreiche neue Projekte und Ansätze hervorgegangen. Ihnen wollten wir eine Plattform geben«, sagte Sandweg. Das geschah einerseits im Rahmen von herkömmlichen Vorstellungen wie etwa beim Miaulina-Projekt oder der Produktion »Hero« der Numen Compagnie.
Manche Abende hatten auch eher Tryout-Charakter wie »Undin« der Leipziger Compagnie Schroffke! Anhand der Klänge einer Fadeninstallation versuchten sie das Schicksal der Meerjungfrau Undine und vor allem die verschiedenen Projektionen auf ihre Figur aus einer queerfeministischen Perspektive zu untersuchen. Das Ansinnen blieb leider mehr Behauptung als geglücktes Experiment.
Ganz dem Laborcharakter hatte sich hingegen der mehrstündige Salon für Künstlerische Forschung verschrieben. So etwa der Knetfilm »Roland«, in dem sich die Titelfigur unter anderem in einen Schwan verwandelt. »Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung« hingegen beschäftigte sich mit den Dynamiken von Erinnern und Vergessen. Den größten Eindruck, auch bei der Gründer*innengeneration der Schaubude, hinterließen allerdings die drei unterschiedlichen Avatare, mit denen Teilnehmer*innen während der VR-Performance »Me, Myself and My Avatars« von Lena Biresch, Tore Nobiling und Nico Parisius experimentieren durften. Einer der Avatare erlaubte sogar, mit eigenen Körperbewegungen ganze Landschaften zu verändern. Das hat dann tatsächlich Superhelden-Potenzial.
Eingebettet ins Festival war auch ein Symposium zu Künstlerischer Forschung. Allerdings stellte sich dabei heraus, dass der Begriff noch immer diverse Unschärfen aufweist. Er kann als klassische Recherche zu Themen und Materialien aufgefasst werden oder auch als Entwicklung neuer künstlerischer Methoden.
An Produktionen ragten beim Festival vor allem das neue Projekt »The Truth About Helga« der berliner Compagnie Lovefuckers und »Fünf Exponate« des ebenfalls in Berlin ansässigen KMZ Kollektivs heraus. In »Fünf Exponate« erzählt die aus El Salvador stammende Performerin Laia Rica mit Kartoffelnknollen die weitverzweigten Migrationswege ihrer Familie, während mit dem Material koloniale Aneignungspraktiken thematisiert werden.
Von der sogenannten »Humboldtscheibe«, einer Steinscheibe, die den aztekischen Sonnengott Tonatiuh im Strahlenkranz der Sonne darstellte und die der Berliner Forschungsreisende Alexander von Humboldt im Rahmen der seinerzeit üblichen Praktiken westlicher Forscher an sich nahm, existiert nämlich nur noch ein Gipsabdruck. Laia Rica erzählt diesen Handlungsstrang mit szenischen Skizzen und landet unweigerlich im ganz aktuellen Streit um Rückgabe und Bewahren von aus dem Land gebrachten Kulturgütern.
»Truth About Helga« wiederum ist eine sehr aufwendig animierte Grusel- und Geistershow um eine Frau, eben Helga, die den patriarchalen und sexistischen Zusammenhängen im Deutschen Kaiserreich zu entkommen versucht und dabei von Blutbad zu Blutbad taumelt.
»Figure It Out« stellte eine Fortsetzung des im letzten Jahr in Leipzig erstmals vorgestellten Formats vor. Stand die vom Westflügel Leipzig verantwortete Ausgabe vor allem im Zeichen von nachhaltiger Produktion und internationalem Austausch, so hob das Berliner Festival den Forschungs- und Entwicklungsaspekt hervor. Weitere Ausgaben an anderen Standorten der bundesdeutschen Puppen-, Figuren- und Objekttheaterszene sind geplant, dann auch jeweils mit ganz eigenen Themensetzungen und Schwerpunkten. Diese Flexibilität des Formats ist anregend. Wünschenswert für die Zukunft ist aber auch, dass Formen gefunden werden, um die Ergebnisse der Vorgängereditionen in die eigene Programmierung aufzunehmen.
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