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Auferstanden aus Ruinen?

Das Potsdamer Museum Das Minsk zeigt Werke aus der Sammlung Hasso Plattner und übt sich dabei in postmodernen Kunstdiskursen

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.
Wilhelm Klotzek: »Das architektonische Trio«, 2012––16
Wilhelm Klotzek: »Das architektonische Trio«, 2012––16

Jeder kannte einmal das Das Minsk in Potsdam, auf dem Brauhausberg unweit des Bahnhofs gelegen. 1977 wurde es im Stil der DDR-Moderne als belarussisches Folklorerestaurant eröffnet. Anfang der 90er Jahre schloss es – der Betonklotz sah seinem Abriss entgegen. Bis es 2019 die Hasso-Plattner-Foundation kaufte und so etwas wie das Guggenheim-Museum am Canal Grande in Venedig für Potsdam daraus machen wollte – im Herbst letzten Jahres eröffnete Das Minsk als »Kunsthaus«. Eher überschaubar in der Fläche und radikal subjektiv in der Sammlung. Doch zuvor musste das sich bereits im Zustand einer Ruine befindliche Haus restauriert werden. Vielleicht hat man dabei an einen Satz des Filmemachers Jean-Luc Godard gedacht: Wolle man von der Geschichte erzählen, müsse man mit den Ruinen beginnen.

Diesem Prinzip ist der Kunstmäzen Hasso Plattner nun in Potsdam bereits zum zweiten Mal gefolgt. Das von seiner Foundation betriebene Museum Barberini wurde im Zentrum der Stadt hinter historisierender Fassade etabliert. Dort haben über einhundert Werke des französischen Impressionismus ihren Platz gefunden.

Interessant scheint nun aber, dass Plattner – vor den französischen Impressionisten – bereits in den 80er Jahren begann, DDR-Kunst zu sammeln. Über 80 dieser Gemälde bilden nun den Kernbestand von Das Minsk. Was fängt man damit an? Nur Hinhängen war offenbar zu wenig. So übt man sich in postmodernen Kunstdiskursen, die einerseits unterhaltsam sind, andererseits in ihrem erst auf die Spitze getriebenen und dann ironisch gebrochenen Oberseminarton mitunter auch etwas Penetrantes haben.

Die Ausstellung steht unter dem Titel »Werk statt Sammlung« und probt den doppelten Blick. So rückt die eine Hälfte des Hauses (das Obergeschoss) ausgesuchte Kunstwerke in den Blickpunkt, die andere soll zum Mitmachen einladen. Dies ist die »Werkstatt« des Hauses für Workshops und Gespräche – was allerdings den Nachteil hat, die ohnehin geringe Ausstellungsfläche noch weiter zu reduzieren. Zumal auch der Charakter des einstigen Restaurants samt Dachterrasse und großzügiger Bar erkennbar bleiben sollte (mit auffallend schönen Kacheln aus den Hedwig-Bollhagen-Werkstätten). So ergibt sich viel gediegenes Ambiente drum herum – aber nicht viel Platz für die Kunst.

Doch die Überschaubarkeit inmitten all der wachsenden Beliebigkeit soll den Blick auch konzentrieren, dazu hat man eine Dreiteilung vorgenommen und die Werke unter die Titel »Das Gerahmte«, »Das Gemeine« und »Das Gemachte« gestellt. Lauter Assoziationsräume von »den Rahmen sprengen« bis zu der Frage, was Identität eigentlich ausmache, werden hier geöffnet. »Geht es um einen Geburtsort, eine bestimmte Generation, um Sozialisierung oder geteilte Erfahrung? Dürfen sich alle gleichermaßen damit beschäftigen?« Schon komisch, einerseits der leicht hybride Anspruch, jeden Rahmen zu sprengen, andererseits die ängstliche Frage: Bin ich überhaupt zum Diskurs zugelassen? Das sagt einiges über derzeitige Verunsicherungen einer jüngeren Generation.

Die Maler aus der DDR konnten sich derartige Empfindsamkeiten nicht leisten: Sie stritten mit einer Utopie vom neuen Menschen, an die sie immer weniger glaubten. Vorgefundene Geschichtsbilder zerfielen, Realität, das war in den 80er Jahren der DDR immer stärker jene nach eigenen Maßstäben gestaltete Kleinwelt, in der man die großen feindlichen Ideologien samt Atomkriegsangst zu überwinden hoffte. Jeder auf seine Weise, in einer selbst gewählten Form.

Dass die hier versammelten Kunstwerke Teil eines von Gewalt und Krieg geprägten 20. Jahrhunderts waren, das will die Ausstellung unbedingt ins Bewusstsein rücken. Es soll eben keine Ansammlung schöner Bilder sein, sondern den geradezu magischen Versuch dokumentieren, mit den Mitteln der Kunst die wachsenden Gefahren der Selbstzerstörung zu bannen.

Am Eingang stolpern wir fast über einen großen Bronzefuß. Es ist ein separater Guss eines Teils von Wolfgang Mattheuers »Jahrhundertschritt«, der in der Fußgängerzone von Leipzigs Innenstadt steht. Der Riss, der durch die Zeit geht: welch aggressiv geführter Kampf der Ideologien, der Träume vernichtet und Menschen zu bloßen Automaten macht. So Mattheuers Sicht auf das 20. Jahrhundert, die in ihrer inneren Dramatik jede postmoderne Spielanordnung überfordert.

Für die ist hier Wilhelm Klotzek zuständig (1980 im Osten Berlins geboren). Er kontrastiert die Bilder der Ausstellung mit von ihm geschaffenen fiktiven Buchcovern, zu denen nie Bücher geschrieben wurden. Sie hängen als gleichsam leere Versprechen zwischen den Bildern. Da tritt die Installation zur Werkschau hinzu, nicht ohne eigenen Geist und bösen Witz, der aus den Untiefen der Comedy schöpft. So in der Videoinstallation »Das architektonische Trio«, in dem er gleich auf drei Bildschirmen in der Diskussion mit sich selbst zu sehen ist – in verschiedenen Rollen. Soll man den Palast der Republik auf der Fläche des erst noch abzureißenden Schlosses Charlottenburg wieder aufbauen – und wenn ja, in welchem Stil?

Das ist dann ein DDR-postumer Monolog über jene Trümmer des Gestern, die den Weg in die Zukunft verstellen – zum Glück, muss man sagen, sonst gäbe es gar keinen Weltwiderstand mehr inmitten der allgegenwärtigen Selbstperformance, Gegenwartskunst genannt. Nein, reibungslos soll das Zusammenspiel von Gestern und Heute, West und Ost, Alt und Jung hier gerade nicht sein, das gibt dieser Ausstellung trotz aller Kommentarüberfrachtung einen starken Impuls. Denn die Dinge sind nicht so, wie sie scheinen. Um sie wirklich zu erkennen, bedarf es einer Urteilskraft, die sich erst in der Auseinandersetzung mit überlieferten Entwürfen einer Zukunft entwickelt, die so nie zustande kam.

Man muss es dem Sammler Hasso Plattner lassen: Die von ihm zusammengetragenen Bilder sind von faszinierender Ausdruckskraft. Auch wenn die Leipziger Schule dominiert, dann doch mit überraschenden Sujets wie Wolfgang Mattheuers Blick aus dem Fenster in einem für ihn eher untypischen Bild ohne vordergründige Symbolik. Natürlich ist Willi Sitte dabei, sein »Liebespaar« von 1967 ist eine Feier von Farbe und Fleisch, aber immer bewusst mit Auslassungen arbeitend, nie etwas auspinselnd. Werner Tübkes »Der Narr und das Mädchen« wirkt, als sei es aus einem fernen Jahrhundert hierher geweht worden.

Der Berliner Maler Harald Metzkes irritiert mit »Der getreue Hirte« von 1969. Bis heute fängt der inzwischen über 90-Jährige mit mysteriös wirkenden Farbmischungen den Blick des Betrachters ein. Bei Bernhard Heisig ballt sich in seinem späten Bild von 2008 alle expressive Farbwut zu einem Werk mit dem Titel »Mephistopheles« zusammen. Es zerreißt mit seinem Pinselstrich gleichsam den Satz des diabolischen Verführers: »Ihr Mann ist tot und lässt sie grüßen!« In seinem ekstatischen Gestus erinnert es an Edvard Munchs »Der Schrei«. Nein, die Ausdrucksnot des einzelnen Künstlers, das zeigt diese kompakte Ausstellung, ist nach 1990 keineswegs kleiner geworden – nur haben sich die Tabus, die Zwangsmechanismen, das Nicht-Zeigbare auch, offensichtlich verlagert.

Eine Wiederentdeckung ist, jedenfalls für mich, Stefan Plenkers. Der heute End-70er ist mit mehreren farbstarken Bildern aus den 80er Jahren vertreten wie »Kinoeingang« oder »Kneipendurchblick«. Da taucht eine untergegangene Welt aus dem Dunst von Zigaretten und Bier wieder auf, samt ihren lang vergessenen Träumen, die es anhand solcher Bilder wieder zu erinnern gilt.

Ein Anstoß könnte diese Ausstellung in Das Minsk sein, weitere Künstler mit DDR-Hintergrund in den Fokus zu rücken. Der Bildfundus ist riesig – vor allem, er wächst weiter. Das ist eine gute Nachricht, denn viele der Künstler von gestern schaffen auch heute noch Werke, in denen es um jene Zukunft geht, die – wie Walter Benjamin sagt – mit der Vergangenheit voreilig begraben wurde.

»Werk statt Sammlung«, bis zum 20. August, Das Minsk Kunsthaus in Potsdam

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