Berlins Baubranche ruft nach öffentlichen Aufträgen

Die Bauwirtschaft ist in einer schwierigen Situation. Das Land soll die Chance nutzen, fordern Verbände

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 4 Min.
Stillstehende Bagger: Die konjunkturelle Talfahrt kann auch eine Chance für die öffentliche Hand sein, die Branche ist derzeit nicht ausgelastet.
Stillstehende Bagger: Die konjunkturelle Talfahrt kann auch eine Chance für die öffentliche Hand sein, die Branche ist derzeit nicht ausgelastet.

Die Bauwirtschaft sei in einer schwierigen Situation, sagt Stephan Schwarz. Der ehemalige parteilose Wirtschaftssenator und vormalige Präsident der Berliner Handwerkskammer erklärt, dass nicht wenige Firmen von Altaufträgen lebten, Neuaufträge aber vielerorts angesichts der Marktsituation mit gestiegenen Zinsen und Baupreisen ausblieben. Dennoch ist Schwarz am Montag als eingeladener Experte im Stadtentwicklungsausschuss des Abgeordnetenhauses zuversichtlich. »Einen Zusammenbruch sehe ich nicht«, sagt er.

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Denn die Lage in der Branche sei differenziert. Im Bauhauptgewerbe, also dem Hoch-, Tief- und Straßenbau, sei der Einbruch deutlich spürbar, so Schwarz. Ganz anders sehe es im Ausbaugewerbe aus, also in dem Bereich, in den auch Installationsarbeiten im Neubau und Bestand fallen. Auch steht den Einbrüchen beim Neubau eine einigermaßen gute Auftragslage bei im Holzbau tätigen Unternehmen entgegen – so die Wasserstandsmeldung von Branchenverbänden.

Nichtsdestotrotz: Die Lage stabilisiere sich auf einem niedrigen Niveau, sagt Schwarz. Egal ob Fachgemeinschaft Bau, Industriegewerkschaft Bau oder die Berliner Architektenkammer, alle berichten am Montag von schwierigen Zahlen basierend auf der Befragung ihrer Mitglieder.

Anschaulich werden die Probleme, wenn man sich die Seite der Auftraggeber anschaut. Der gerade veröffentlichte Geschäftsbericht der Wohnungsbaugesellschaft Mitte weist beispielsweise einen überraschend hohen Überschuss von 34 Millionen Euro für das landeseigene Unternehmen im vergangenen Geschäftsjahr aus. Grund dafür seien geringere Ausgaben für Instandhaltung und Modernisierungen wegen »fehlender wirtschaftlicher Angebote von Firmen bei Bauausschreibungen, Lieferengpässen und fehlenden Personalkapazitäten bei ausschreibenden Planungsbüros«. So schreibt es die WBM in ihrem Geschäftsbericht, über den zuerst der »Tagesspiegel« berichtet hat. Gerade der Verweis auf die fehlenden wirtschaftlichen Angebote zeigt: Unternehmen wie die WBM warten ab.

Auf sinkende Baukosten lässt sich nicht hoffen und niedrigere Zinsen sind vorerst nicht in Sicht. Wenn es nach den Branchenverbänden ginge, sollte deshalb gerade die öffentliche Hand inklusive der landeseigenen Unternehmen die Chance nutzen, auch um gegenzusteuern. Ob Wohnungsbauförderung oder öffentliche Aufträge: Gerade jetzt auf der konjunkturellen Talfahrt der Branche seien antizyklische Investitionen der öffentlichen Hand nötig. »Wir wollen nicht, dass der Gastro-Effekt einsetzt und Fachkräfte die Bauwirtschaft verlassen«, sagt Thomas Hentschel von der Industriegewerkschaft Bau.

Nun steht auch der nächste Landeshaushalt unter dem Motto des Sparens. Und Bausenator Christian Gabler (SPD) macht keine Hoffnung auf ein Mehr an Aufträgen. »Aus unserer Sicht sind wir zum einen bereits auf hohem Niveau unterwegs.« Zum anderen seien die Möglichkeiten für die öffentliche Hand, neue Projekte anzugehen, selbst durch die Kostensteigerungen begrenzt.

Also bleibt nur, die Zusammenarbeit zwischen Land und Bauwirtschaft bei den ohnehin zu vergebenden Aufträgen zu verbessern. Thomas Herrschelmann von der Fachgemeinschaft Bau sagt, der Großteil der Firmen beklage, dass sich der zeitliche Aufwand zur Bearbeitung öffentlicher Aufträge erhöht habe. Herrschelmann führt Formulare wie die zu Kernarbeitsnormen an, deren Einhaltung nicht überprüft werde, die aber trotzdem ausgefüllt werden müssten. Bei einer Umfrage des Wirtschaftsverbands hätten Mitgliedsunternehmen angegeben, sich nicht mehr auf öffentliche Aufträge zu bewerben, weil der Aufwand zu hoch sei bei der Bearbeitung der Ausschreibungen, wenn am Ende ohnehin nur der billigste Anbieter genommen werde. Das Verwaltungshandeln müsste generell beschleunigt werden. Beispielsweise warte man bei den Genehmigungen nach dem Straßenrecht bis zu einem Jahr, bis ein Bauzaun aufgestellt werden könne.

Theresa Keilhacker, Präsidentin der Berliner Architektenkammer, sieht ein weiteres Problem bei Aufträgen der öffentlichen Hand. Seit April habe man eine vergleichsweise hohe Zahl »problematischer Verfahren« gesehen. Egal ob bei einer Ausschreibung der BIM, dem Immobiliendienstleister des Landes, der Senatsverwaltung für den Schulbau oder des landeseigenen Wohnungsunternehmens Howoge: Zunehmend würden Rahmenvereinbarungen über ein hohes Bauvolumen geschlossen. Generalplanerleistungen würden damit mehr oder weniger versteckt mitvergeben werden. Nur große Büros könnten sich auf diese umfangreichen Ausschreibungen bewerben. »Mit der Verengung des Marktes werden die Preise künstlich nach oben getrieben, das kann auch nicht im Interesse der öffentlichen Hand sein«, sagt Keilhacker.

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