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Ferda Ataman: Schlechter Schutz vor Diskriminierung

Die Antidiskriminierungsbeauftragte fordert mehr Sensibilität für Betroffene beim Gesetzgeber

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 4 Min.
Die meisten Meldungen bei der Antidiskriminierungsstelle betreffen Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt.
Die meisten Meldungen bei der Antidiskriminierungsstelle betreffen Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt.

»Wir haben mehr Anfragen, als wir stemmen können«, sagt Ferda Ataman, Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, bei der Vorstellung ihres Jahresberichts am Dienstag in Berlin. Insgesamt seien im vergangenen Jahr 8827 Beratungsanfragen bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) eingegangen. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Anfragen damit um 14 Prozent gestiegen, verglichen mit 2019 haben sie sich mehr als verdoppelt. Dies deute auf ein gestiegenes Problembewusstsein in der Gesellschaft hin. »Ich habe den Eindruck, viele Menschen sind da weiter als manche in der Politik« – an diplomatischer Kritik an der Bundesregierung spart Ataman nicht.

Mehr als 6600 Beratungsanfragen bezogen sich auf ein Diskriminierungsmerkmal, das im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschützt ist. Dazu zählen Alter, Behinderung, Geschlecht, sexuelle Identität, Religion und Weltanschauung sowie rassistische und antisemitische Diskriminierungen. Mit einem Anteil von 43 Prozent der Anfragen berichteten die Menschen dem Bericht zufolge am häufigsten über rassistische Diskriminierung. Weitere Anfragen bezogen sich auf Diskriminierung aufgrund einer Behinderung (27 Prozent), wegen des Geschlechts (21 Prozent), wegen des Alters (zehn Prozent), wegen der Religion (fünf Prozent) und wegen der sexuellen Identität (vier Prozent).

Ataman wies darauf hin, dass Diskriminierung für viele Menschen alltäglich sei – etwa, wenn Menschen mit Behinderung keine Arbeit bekämen, wenn an Bürger*innen mit türkisch oder arabisch klingenden Nachnamen keine Wohnung vermietet werde oder wenn Menschen über 50 Jahre keinen Job mehr fänden. Außerdem berichtete sie von einer »nie da gewesenen Welle von Hass im Internet«.

Als Beispiele aus der Beratungspraxis nennt Ataman eine Schwarze Frau, deren Kolleg*innen ihr Profilfoto des firmenintern genutzten Messengerdienstes in ihrer Abwesenheit zu einem Affen mit Banane geändert hätten. Die Geschäftsführer*innen hätten dies lustig gefunden. Einem indischen Paar seien die reservierten Plätze vom Busfahrer verweigert worden, weil »sie stänken«. Außerdem berichtet Ataman von einer trans Frau, der eine Behandlung verweigert wurde mit der Begründung, dass alle trans Personen »gestört« seien. »Ich will ermutigen, sich Diskriminierung nicht gefallen zu lassen und ich will, dass alle Menschen ihre Rechte kennen«, so Ataman.

In rund 2200 Fällen meldeten sich Menschen, die aufgrund anderer Merkmale benachteiligt wurden, zum Beispiel wegen des sozialen Status oder aufgrund der Elternschaft. Im Bericht wird das Beispiel eines Mannes in einer Führungsposition genannt, dem mit der Kündigung gedroht wurde, als er ankündigte, in Elternzeit gehen zu wollen. Er nahm dann nur zwei Monate Elternzeit, danach werden ihm weniger anspruchsvolle Aufgaben zugeteilt und Gehaltszulagen gestrichen. Dies ist nach der aktuellen Rechtslage keine Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.

Viele Anfragen erreichten sie aus den Bereichen Polizei, Justiz und Behörden. Auch hier greife das AGG meist nicht. Das sei nicht nachvollziehbar und schwäche das Vertrauen in den Staat, sagt Ataman. Die Behördenleiterin fordert die Bundesregierung daher auf, die angekündigte Reform des AGG schnell umzusetzen. Das deutsche Gesetz sei eins der schwächsten Gleichstellungsgesetze in Europa. »Kein Land hat weniger staatliche Kompetenzen, Menschen bei Diskriminierung zu helfen, als Deutschland«, kritisiert Ataman. Neben einer Verlängerung der Klagefristen würde sie die Erweiterung um den Bereich Künstliche Intelligenz begrüßen. Viele Alltagsgeschäfte würden mittlerweile über automatisierte Entscheidungssysteme abgewickelt, die nicht neutral seien. Hier brauche es mehr Transparenz, um Diskriminierungsfallen zu erkennen. Justizminister Marco Buschmann (FDP) habe den Beginn des Gesetzesänderungsverfahrens noch in diesem Jahr angekündigt. »Ich stehe bereit für mehr Austausch mit Herrn Buschmann«, erklärt Ataman.

Neben der AGG-Reform hat sich Ataman zwei weitere Ziele gesetzt: Es müsse mehr Beratungsstellen für Menschen, die Diskriminierungen erfahren, geben. Auf eine Millionen Menschen komme aktuell oft nur eine Vollzeitstelle, die zu dem Thema berate. Zudem wolle sie im Herbst eine Aufklärungskampagne namens respekt*land starten. »Nur jede dritte Person weiß, dass Diskriminierung verboten ist, nur jede vierte Person weiß, dass es die Antidiskriminierungsstelle gibt«, sagt Ataman.

Angesichts der aktuellen politischen Lage zeigt sich Ataman besorgt. Seit längerem beobachte sie die Rückkehr von Ressentiments in der Öffentlichkeit. Die Wahl eines rechtsextremen Politikers zum Landrat im thüringischen Sonneberg am vergangenen Sonntag sei ein »historischer Tiefpunkt in der Geschichte der Bundesrepublik«. Vielen Menschen im Land mache das Angst. Die Behördenleiterin richtet Kritik auch an Politiker*innen der Union: »Wer die Demokratie stärken will, darf nicht aus jeder Gesetzesidee einen Kulturkampf machen.«

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