Tour de France: Das Leiden der Sportlichen Leiter

Tom auf Tour: Sportliche Leiter haben es nicht leicht bei dieser Frankreichrundfahrt

  • Tom Mustroph, Cauterets-Cambasque
  • Lesedauer: 3 Min.
Coaching kaum möglich: Die Teamwagen haben selten Kontakt zu ihren Fahrern in der Spitzengruppe.
Coaching kaum möglich: Die Teamwagen haben selten Kontakt zu ihren Fahrern in der Spitzengruppe.

Sportliche Leiter haben es nicht leicht bei dieser Tour de France. Mit ihren Autos sind sie eingebaut in der langen Schlange der Teamfahrzeuge. Gut erwischt hat es der, dessen Fahrer das Gesamtklassement anführt, denn dessen Begleitfahrzeug darf an die Spitze der Mannschaftswagen. Ganz vorn in der Kolonne ist man trotzdem nicht. Denn erst kommt noch der rote Skoda mit der Nummer 2, der Vizechef der Tour, Thierry Gouvenou. Danach folgen der neutrale Materialwagen von Shimano und ein Fahrzeug des Medizinischen Dienstes der Tour. Erst dann ist das erste Teamfahrzeug an der Reihe. Von dort aus sieht man allerdings auch nur den Schwanz des Pelotons, erlebt mit, welche Fahrer gerade den Anschluss verlieren. Nur selten, in langen Kurven etwa, kann man einen Blick auf die Spitze erhaschen. Großartige Taktikpläne lassen sich so nicht umsetzen.

Tom auf Tour

Tom Mustroph, Radsportautor und

Dopingexperte, berichtet zum 22. Mal

für »nd« von der Tour de France.

Helfen könnte das Fernsehbild. »Das allerdings hat eine Verzögerung von etwa 50, 55 Sekunden, wenn es bei uns ankommt. Deshalb kannst du nach dem Fernsehbild gar nicht coachen«, erklärt Aike Visbeek »nd«. Der Sportliche Leiter vom Intermarché-Rennstall musste so auch tatenlos zusehen, wie sich auf der 1. Etappe sein Fahrer Georg Zimmermann beim Sprint um Bergpunkte verschätzte. »Wenn ich ihm sagen würde, geh jetzt, ist er schon ein paar Hundert Meter weiter«, so Visbeek.

Um zu verstehen, was überhaupt vor sich geht, ist das Fernsehbild aber hilfreich. Das merkt man, wenn es plötzlich ausfällt. »Auf der 5. Etappe nach Laruns war es einfach eine Katastrophe«, berichtet Arthur van Dongen, Sportlicher Leiter von Titelverteidiger Jonas Vingegaard, »nd«. »Ich bin jetzt seit 31 Jahren Sportlicher Leiter, aber was wir da erlebt haben, war wie vor 30 Jahren. Das Fernsehbild kam gar nicht an, Internet gab es auch nicht. Nicht einmal das Mobilfunknetz funktionierte«, sagt van Dongen. Die einzigen verlässlichen Quellen an solchen Tagen sind der Funk der Fahrer untereinander und Radio Tour, der Funkkanal der Tour de France. Auf dem werden regelmäßig die Abstände zwischen einzelnen Gruppen und auch deren Zusammensetzung durchgegeben. Das erfolgt recht zeitnah. Darüber, welcher Fahrer noch gut aussieht, wer vielleicht bald attackieren wird, gibt Radio Tour aber keine Auskunft.

Und auch die Fahrer vorn wollen nicht ständig mit Fragen über die Situation belästigt werden. »Ich habe am letzten Berg sowieso so gut wie nichts verstanden. Es war ein Riesentrubel um uns herum, eine geradezu elektrische Stimmung«, blickte Jai Hindley auf seinen Triumphmoment am Mittwoch zurück. »Ich hörte nur noch, wie die Jungs im Auto schrien: ›Bring das Ding über die Ziellinie!‹«, sagte er. Das hatte Hindley ohnehin vor, auch ohne Geschrei im Ohr. »Ich wollte einfach so viel Zeit wie möglich gutmachen«, fasste er seinen eigenen Plan für die letzten Kilometer zusammen. So machte er es dann auch und stürmte zum Tagessieg und ins Gelbe Trikot.

Diese Ereignisse konnten sich die Sportlichen Leiter dann wieder anschauen, als nahe dem Ziel die Netzabdeckung besser wurde. Zu coachen gab es dann aber nichts mehr. Nur noch zu feiern wie im Falle von Hindley und Team Bora – oder sich damit zufriedenzugeben wie im Falle Jumbo-Visma, dass Teamkapitän Vingegaard noch Zeit auf den härtesten Rivalen Tadej Pogačar gutgemacht hatte. In Pogačars Lager freilich wünschte man sich, dass nicht nur die Fernsehbilder ausgefallen wären, sondern am liebsten gleich sämtliche Ereignisse dieser ersten Bergetappe der 110. Tour de France. Aber auch in solchen Dingen sind Sportliche Leiter dann machtlos.

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