Brandenburg: Die Kippa zu tragen ist riskant

Brandenburgs Fachstelle Antisemitismus vermerkt für das vergangene Jahr 204 Vorfälle

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 4 Min.

Erstmals ist in Brandenburg eine eigenständige Bilanz antisemitischer Vorfälle im Bundesland vorgestellt worden. Bei der Präsentation des Monitoring-Berichtes für das Jahr 2022 sagte Staatskanzleichefin Katrin Schneider (SPD) am Montag, dass Antisemitismus bedauerlicherweise zum Alltag gehöre. Er sei eine Form des Alltagsrassismus. Die Ergebnisse des Berichts sollten Schneider zufolge als »Alarmsignal« verstanden werden. Alle Präventionsprojekte werden weitergeführt, sicherte sie zu.

»Obwohl dieser Vorfall schon fast ein Jahr her ist, habe ich noch immer Schwierigkeiten einzuschlafen, wenn ich mit meiner Tochter allein zu Hause bin.« Und: »Ich trage die Kippa wie meine Zigaretten oder das Portemonnaie immer bei mir, kann sie aber nicht aufsetzen.« Solche Aussagen von Opfern antisemitischer Übergriffe in Brandenburg sind in den Bericht aufgenommen. Im vergangenen
Jahr seien 204 antisemitische Vorfälle registriert worden, erklärte Felix Klepzig, der eine Zeit lang im Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrum gearbeitet hat und bei der Erstellung des Berichts mitgewirkt hat. Solche Äußerungen würden beweisen, »wie gefährlich diese Anschläge für die Betroffenen sind«.

Registriert wurden sie in der »Fachstelle Antisemitismus Brandenburg«. Quellen sind Klepzig zufolge Meldungen durch die Opfer, aber auch Angaben der Polizei, von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Pressemeldungen. Fast die Hälfte der antisemitischen Attacken hatten einen rechten oder rechtsextremen Hintergrund, bei den meisten anderen ließ sich ein weltanschaulicher Zusammenhang nicht zweifelsfrei ermitteln. 35 Fälle ereigneten sich in aller Öffentlichkeit auf der Straße, zehn in Bildungsstätten. Ein christlicher, linksradikaler oder israelfeindlicher Bezug sei nicht festgestellt worden.

Weil sich die Art und Weise der Erfassung von dergleichen Vorfällen und Straftaten geändert habe, sei die Zahl nur bedingt vergleichbar mit der Zahl aus früheren Jahren, erläuterte Klepzig weiter. Einen anderen Rang nehmen jetzt die Fälle im Internet ein. Denn in die Monitoring-Statistik gehen nun auch allgemeine antisemitische Aussagen ein, die im Internet geäußert werden. Hakenkreuz-Schmierereien werden nicht erfasst, wenn zusätzliche antisemitische Symbolik fehlt. »Wir betrachten den digitalen Raum mit großer Sorge«, fügte er hinzu.

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Bei antisemitischen Vorfällen wird unterschieden in »extreme Gewalt«, das sind Anschläge auf Leben oder Gesundheit, »gezielte Sachbeschädigung« wie die Schändung von Erinnerungs- und Gedenkorten und »Bedrohung«. Weiterhin gibt es noch »verletzendes Verhalten«, worunter antisemitische Beleidigungen, Beschimpfungen und Kommentare fallen, und die antisemitische Massenzuschrift, bei der sich die Urheber an mehrere Personen wenden und für ihre Hassbotschaften eine möglichst große Verbreitung anstreben.

Die Mitarbeiter der Fachstelle gehen von einer erheblichen Dunkelziffer in allen Bereichen aus. Einen unmittelbaren gewalttätigen Angriff auf Juden hat es im vergangenen Jahr nicht gegeben, zumindest wurde kein solcher Fall erfasst.

Dervis Hizarci, Leiter der Fachstelle Antisemitismus, sprach von einem großen und ernsten Problem, das »insbesondere in Brandenburg« auftrete. Geringe Zahlen könnten auch Ausdruck dafür sein, dass solche Straftaten unter der Decke bleiben und nicht öffentlich werden. »Das muss uns sehr beschäftigen.« Hizarci nannte die von der Landesregierung beabsichtigte Einsetzung einer Landesbeauftragten gegen Antisemitismus einen »klugen und tiefgreifenden Weg«. Zur
Beratungsarbeit seiner Fachstelle gehören Einzelgespräche, aber auch Workshops und Weiterbildungen. Vor allem Lehrer seien da angesprochen. Hizarcis
Einschätzung nach ist die Vorbereitung der Lehramtsstudenten auf den Antisemitismus in der Gesellschaft ungenügend. Da auch ältere Menschen für Antisemitismus anfällig seien, dürfe sich die Aufklärung nicht auf die Bildungsstätten beschränken.

Vor allem der Fußballplatz und Debatten in Fanforen sind ein Ort antisemitischer Beleidigungen. So sei es im Zusammenhang mit einem Spiel des SV Babelsberg 03 gegen die zweite Mannschaft des Berliner Fußballklubs Hertha BSC am 12. August 2022 im Potsdamer Karl-Liebknecht-Stadion durch Berliner zu wüsten antisemitischen Äußerungen gekommen. Unter anderem sei zu lesen gewesen: »Arbeit macht frei – Babelsberg 03« oder auch »Babelsberg 03 – Z(ecken), Z(igeuner) und J(uden)«.

»Immer wieder ertönen aus gegnerischen Kurven rechtsradikale Schmähgesänge und Provokationen, wenn sie auf den Potsdamer SV Babelsberg 03 treffen«, erklärte Hizarci. Zur Behauptung der AfD, dass die eigentliche Gefahr für Juden von Muslimen ausgehe, sagte er, es gebe diese Form von Antisemitismus. Aber das Bild werde bestimmt vom rechtsextremen Antisemitismus. Ein Monitoring-Bericht soll von nun an jährlich vorgestellt werden.

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