Die Wut der Berliner Altmieter

In Prenzlauer Berg wehrt sich ein Bündnis gegen auslaufende Sozialbindungen

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.

»Prenzlauer Berg, was ist nur aus dir geworden? Prenzlauer Berg, ich erkenne dich nicht mehr«: Der Song der Spaßband The Incredible Herrengedeck schallt am Mittwochnachmittag über den Hof der Prenzlauer Allee 70. Dort trifft sich die Bezirksverordnetenversammlung Pankow zu ihrer letzten Sitzung vor der Sommerpause. Gut 80 Mieter*innen haben sich deshalb hier versammelt, um die Bezirkspolitik zum Handeln aufzufordern. Denn in den in den 90er Jahren eingerichteten Sanierungsgebieten von Prenzlauer Berg laufen aktuell die Mietpreis- und Belegungsbindungen aus.

Die Folgen beschreibt die Mietrechtsanwältin Carola Handwerg aus ihrer alltäglichen Praxis so: »Die Mieten erhöhen sich und die Eigenbedarfskündigungen nehmen zu.« Viele Mieter*innen, die teilweise seit vielen Jahren in Prenzlauer Berg leben, haben Angst vor Verdrängung. Dazu gehört Annerose Schröder. Die Seniorin berichtet, dass sie seit 66 Jahren im Kiez lebe und nur eine kleine Rente bekomme. Auch ein älterer Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, hat sein Anliegen auf einem Schild aufgeschrieben. »Ich habe Eigenbedarf an meiner Mietwohnung«.

Doch die Bewohner*innen machen deutlich, dass sie sich nicht so einfach vertreiben lassen werden. Sie haben in den letzten Wochen auf zahlreichen Stadtteilversammlungen einen Forderungskatalog aufgestellt, der auf der Kundgebung verlesen wird. »Wir brauchen einen Krisengipfel auf Landesebene und einen sofortigen Härtefallfonds für Bewohner*innen, die sich die steigenden Mieten nicht leisten können«, erklärt Kerstin Schröder vom Bündnis »Pankow gegen Verdrängung«. Zudem soll die BVV die Vermieter*innen auffordern, mit dem Bezirk Belegungsverträge abzuschließen und auf Mieterhöhungen zu verzichten.

Die Erklärungen der Bezirkspolitiker*innen sind aus Sicht der Mieter*innen ernüchternd. Sie wollen im Rahmen einer Einwohner*innen-Fragestunde die Zahl der Wohnungen wissen, die seit 2018 im Bezirk aus der Sozialförderung herausgefallen sind. »Im Jahr 2018 waren es noch circa 5300 Wohnungen, jetzt sind es noch 830«, benennt Stadtentwicklungsstadtrat Cornelius Bechtler (Grüne) den enormen Rückgang der geförderten Wohnungen im Bezirk Pankow. Die BVV könne nur beratend tätig sein, dämpft Bechtler die Forderungen der Mieter*innen. Er verweist auf Mieter*innen-Beratungsstellen und die Wohngeldämter.

Die Ausführungen von Bechtler sorgen im Sitzungssaal der BVV für Unmut unter den Mieter*innen und ihren Unterstützer*innen. »Wollt ihr nichts machen oder könnt ihr nichts machen?«, sagt ein junger Mann unter Applaus. Die Aufforderung der Sitzungsleitung an die Besucher*innen, Kommentare und Unmutsäußerungen zu unterlassen, heizt die Stimmung zusätzlich an. »Sollen wir also schweigend ausziehen?«, ruft ein Besucher.

»Wir müssen uns selbst organisieren, wenn wir nicht verdrängt werden wollen«, sagt eine Mieterin. Unterstützung kommt von unterschiedlicher Seite. So erklärt etwa der Linke-Landesvorsitzende Maximilian Schirmer, der zugleich an der Spitze der Linksfraktion in der BVV Pankow steht: »Wir stehen auf Seiten der Mieter*innen.« Gleiches gilt für Initiative »Kiezkultur erhalten«, die 2020 für den Erhalt eines Spätkaufs am Raumerplatz gegründet worden ist. »Damit hatten wir keinen Erfolg, aber wir kämpfen weiter für einen solidarischen Kiez und unterstützen deshalb die Mieter*innen, die sich gegen ihre drohende Verdrängung wehren«, sagt Yannick von »Kiezkultur erhalten.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal