Pablo Picasso: Ein Revolutionär mit Herkunft

»Spanische Dialoge«: Picasso aus dem Museum Berggruen zu Gast im Bode-Museum

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 7 Min.
Pablo Picasso wird selbst zur Kunst: hier in Valencia
Pablo Picasso wird selbst zur Kunst: hier in Valencia

Man muss diese kleine Ausstellung lange suchen im großen Bode-Museum auf der Berliner Museumsinsel. In zwei Räumen im Obergeschoss versteckt sie sich eher, als dass sie sich präsentiert. Von einer Jubiläumsausstellung zu Picassos 50. Todestag erwartet man sich einen anderen Auftritt. Aber diese Erwartung wird offensichtlich bewusst mit einem minimalistischen Konzept unterlaufen. Hier ist keine große Picasso-Show gewollt, sondern soll ein Nachdenken angestoßen werden über Korrespondenzen in der Kunst. Denn seine Werke treten wiederum in einen Dialog mit spanischen Kunstwerken aus dem 14. bis zum 18. Jahrhundert.

Nur fünf Gemälde von Picasso, dazu zwei kleine Bronzen, eine Keramik (alle aus der Sammlung Berggruen der Nationalgalerie), das soll reichen, um der Frage nachzugehen, woraus ein Künstler eigentlich schöpft. Gewiss nicht nur aus sich selbst, gerade der Augenmensch Picasso nahm alles in seine eigene Kunst auf, was ihm begegnete, was ihn irgendwann beeindruckt hatte.

Abonniere das »nd«

Linkssein ist kompliziert. Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen. Jetzt abonnieren!

Natürlich ist Picasso kein Kopist, er verwertet Vorlagen ganz nach Gutdünken, formt sie so lange um – man könnte sogar sagen: Er verdaut sie, bis sie ganz ihm gehören. Etwas Vampirhaftes hat das natürlich, aber wovon soll sich das Genie sonst ernähren als von fremden Werken? Henry Miller nannte Picasso darum auch ein »liebenswertes Monstrum«. Und Picassos missgünstiger Konkurrent Salvador Dalí sprach das Prinzip der Inspiration durch die Werke anderer mit ätzenden Beitönen aus: »Er brauchte immer einen Partner: Ingres, Delacroix, Velàzquez ... Ich weiß nicht mehr, wen noch alles. Aber er war ein Eunuch, ein Imitator und Karikaturist, der zerlegte und verspottete, was ihm zu hoch war.«

Das stimmt in letzter Konsequenz natürlich nicht, aber richtig ist, dass für Picasso die gesamte Kunstgeschichte bloß eine Materialsammlung war, aus der er sich bediente. Mit Imitation hat das nichts zu tun, aber dafür viel mit Verwandlung. »Ich muss etwas entdecken«, sagte er oft – und meinte damit, zu neuen Ausdrucksformen zu gelangen.

Die Ausstellung »Spanische Dialoge« sucht nach Herkunfts-Korrespondenzen des 1881 in Malaga geborenen Picasso – und nutzt dieses Thema, um aus dem eigenen reichhaltigen Fundus des Bode-Museums zu schöpfen. In Picassos Fall scheint diese Suche nach frühen Quellen der Inspiration durchaus sinnvoll. Denn als Maler ist Picasso in Paris, inmitten der Avantgarde der Großstadt um 1900, er selbst geworden. Aber welche Symbole, welche Themen brachte er aus Spanien mit?

Wie etwa haben Goya und El Greco auf ihn gewirkt, welche Rolle spielt der spanische Katholizismus oder der Stierkampf in seinem Werk? Auch der Dualismus von übergroßem Licht und starker Dunkelheit prägt Picassos Werk, ebenso wie die Verklärung weiblicher Fruchtbarkeit auf der einen und der des Todes auf der anderen Seite.

Darum ist es sinnvoll zu vergleichen. Jedem der Picasso-Werke sind zwei oder drei andere aus der spanischen Geschichte zur Seite gestellt, aus sehr verschiedenen Zeiten, jedoch um das gleiche Sujet kreisend. So etwa die »Grabplatten von Ramón« aus dem 14. Jahrhundert, oder Alonso Sánchez Coellos Bildnis »Philipp II. von Spanien« (ein düsterer Potentat), wenn es um das Thema Porträt geht. Wen porträtierte man überhaupt in der Geschichte bis ins 19. Jahrhundert hinein? Repräsentanten, die es in ihrem machtvollen Glanz darzustellen galt.

Aber eine andere Tradition, die mit dieser konkurriert, birgt jenen Geist, zu dem Picasso eine starke Beziehung unterhielt: den der Bilder der Mater Dolorosa, der Schmerzensmutter, die ganz von ihrem Leid beherrscht wird. Auch El Greco malte eine Mater Dolorosa, die hier zu sehen ist und vielleicht – ungewollt – zum wichtigsten Bild der Ausstellung wird. Dieses 1587 entstandene Gemälde zeigt keine überhöhte Madonna, sondern eine dem Betrachter eher skeptisch entgegenblickende junge Frau. Sie beobachtet gleichsam den Betrachter, stellt ihn in Frage. So wirkt sie auf faszinierende Weise autonom. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die besondere Farbgebung, die bei El Greco immer etwas provozierend Künstliches hat – das Grün ihres Schultertuches etwa ähnelt eher der Patina von alten Kupferdächern als dem Grün von Blättern. El Greco provoziert auf hintergründige Weise mit den Mitteln der Malerei – in seinen Bildern ist das Selbstverständliche eben keineswegs verständlich – und genau darin folgt ihm Picasso.

Der Kubismus habe »plastische Ziele«, sagt Picasso. Letztlich mündet er in der Aufhebung der Trennung von Fläche und Körper. Davon zeugt ein sehr kleines Bild Picassos: »Sitzende Frau« von 1940. Der Körper wirkt wie mittels scharfer Linien seziert, die Reste des Naturhaften, Kopf und Augen, sowie die Brüste sind in eine forciert unnatürliche Position gebracht worden. Und dennoch entsteht so etwas Erhabenes inmitten der Destruktion. Wie kann das sein? Da ist die Verbindung zu den unweit entfernt stehenden Plastiken »Heiliger Hieronymos« (1540) von Diego de Sloé und »Maria und Jesuskind« von 1490 aufschlussreich. Welch innere Spannung in Picassos geometrischer Reduktion, welch Raumpräsenz! Doch wie erreicht Picasso diese Nähe zur Plastik? Indem er wie ein Kind mit Pappe, Leim und Schere bastelt: Ein Klebebild entsteht so, dessen verschiedene Schichten ein Relief bilden.

Die Porträts »Der Matrose«, »Frau im Sessel« und »Bildnis Nusch«, sämtlich von Ende der 1930er Jahre, haben immer noch etwas Kubistisches. Das erstaunt, da Picasso schon dreißig Jahre zuvor mit »Les Demoiselles d’Avignon« die Körper in ihre Geometrie auflöste. Kunst sei für ihn »Aufruhr«, sagt Picasso, womit für ihn ein innerer Zustand gemeint ist. In diesen drei späteren Bildern scheint dann der Kubismus bereits wieder über sich selbst hinauszugehen, weg von den Linien und Kuben, hin zur fantastischen Opulenz der Form. Eine Art Illusionismus entsteht so, der Körper kehrt zurück, aber als Gespenst.

Die Gesichter auf diesen drei Bildern sind bewusst disproportional gemalt: verdoppelt in zwei ungleiche Hälften. Der Blick der deutlich versetzten Augen ist ein stereoskopischer. Harmonie erscheint als eine nicht länger aufrecht zu erhaltende Behauptung. Schönheit? Das ist hier die Lüge einer Oberfläche, die es zu durchstoßen gilt.

Gibt es auch für diesen radikalen Ansatz Picassos Vorbilder in der Geschichte der spanischen Kunst? Durchaus, etwa in dem vornaturalistischen Gemälde von Pere Nicolau »Der segnende Christus auf der Weltkugel« von 1400, das einerseits in den Grenzen eines Byzantinismus auf Goldgrund verbleibt, aber andererseits eine fantastische Szenerie wie eine reale behandelt. Die Welt, so Picasso, sei immer identisch mit dem Bild, das wir uns von ihr machen.

Anregend ist diese kleine Ausstellung also durchaus, indem sie auf den ersten Blick nicht naheliegende Bezüge zwischen verschiedenen Zeiten und Künstlern herstellt. Allerdings bleiben, wohl auch aufgrund fehlender wichtiger Werke Picassos, entscheidende Bezüge unerwähnt. Dazu sollte man dann in dem klugen Picasso-Buch von Norman Mailer »Portrait des Künstlers als junger Mann« nachlesen, worin er die Vorläufer von »Les Demoiselles d’Avignon« von 1907, diesem Schlüsselbild des Kubismus, sehr genau benennt. Zum einen sei es »Die Vision des heiligen Johannes« (1608–1614) von El Greco, zum anderen »Badende« (1877–1882) von Cézanne. Von beiden Bildern übernimmt Picasso geradezu eins zu eins die Gruppen-Komposition, sie dabei jedoch zu einer neuen Intensität steigernd – durch Reduktion.

In seiner fast panisch gewordenen Konkurrenzhaltung zu Matisse flüchtet Picasso zu dieser Zeit in eine Art mystischen Katholizismus, der voller Angst und geballter Erlösungserwartung ist – von der manche jedoch behaupten, er hätte viel mit seinem übermäßigen Opiumkonsum zu tun. Wohl alles zugleich spielt hier herein, vor allem aber etwas wahrlich Bahnbrechendes in der Geschichte der Malerei, das sich nicht mehr aus der Geschichte herleiten lässt, sondern absolut neu ist: Picasso will Einsteins Relativitätstheorie ins Bild hinein holen – die »vierte Dimension« malen. Norman Mailer dazu: »Er wollte ... eine komplette Umgestaltung der visuellen Welt, sodass Formen nicht mehr zu Landschaften, Figuren und Stillleben gehören würden, sondern auch sämtliche Größenverhältnisse sollten – wenn alle natürlichen Bezugsrahmen einmal abgeschafft sein würden – der Form weichen.«

Picasso als Revolutionär der Malerei hält immer den Bilderkosmos seiner Kindheit präsent. Mit ihm streitet er wie ein einsamer Torero, sieht im traditionellen Stierkampf das Modell der Welt. Aber das ist ein so großes und komplexes Thema, dass es in diesen »Spanischen Dialogen« nur angestoßen werden kann.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal