Ahmad Mansour: Mäandern in der Mitte

Ahmad Mansour ist überzeugt, dass der politische Islam unsere Demokratie unterwandern will

  • Matheus Hagedorny
  • Lesedauer: 4 Min.

Um den Islam ist es ruhig geworden. Inmitten von Erderhitzung, Pandemie, Krieg und Inflation hat die Islamdebatte an Wucht verloren – zum Vorteil des Islamismus, meint Ahmad Mansour. Für den aus Israel stammenden Berliner Psychologen hat sich trotz der relativen Debattenflaute in einem Punkt nichts verändert. Als muslimischer Kritiker des politischen Islam, der sich über Präventionsprojekte, Bücher und Talkshows einmischt, lebt der 47-Jährige in Deutschland gefährlich. Viele radikalkonservative Muslime sehen in ihm einen Abtrünnigen vom Glauben. Sein jüngtes Buch »Operation Allah« widmet er seinen Leibwächtern des LKA Berlin.

Mansour sieht sich als Experte gegen Extremismus. Vielen Linken gilt er dagegen als Kronzeuge rechter Kreise. Dass es komplizierter ist, zeigt sein nunmehr viertes Buch. Dessen Kernthese ist griffig: Der politische Islam, von einer radikalkonservativen Minderheit vorangetrieben, zerstört die islamische Vielfalt. Trotzdem können sich viele Islamisten wegen der Naivität in Politik und Zivilgesellschaft als gemäßigte Dialogpartner verkaufen.

Mansours kritischer Blick konzentriert sich auf die Muslimbruderschaft. Die 1928 in Ägypten gegründete sunnitische Bewegung will langfristig einen Gottesstaat errichten; antisemitischer Verschwörungsglaube ist zentral für ihr Weltbild. Heute lassen sich die Muslimbrüder weniger als festgefügte Organisation, denn als informelle Gesinnungsfamilie begreifen, die ihre Methoden den jeweiligen politischen Kulturen anpasst. Ideologie und Strategie der Muslimbruderschaft sind prägend für die AKP des türkischen Machthabers Recep Tayyip Erdoğan, die Ennahda-Partei in Tunesien und die palästinensische Hamas. Als Hauptfinanzier gilt die Golfmonarchie Katar. In Deutschland steht unter anderen die Deutsche Muslimische Gemeinschaft den Muslimbrüdern nahe, die zu den Gründungsmitgliedern des Zentralrats der Muslime gehörte. Bereits jetzt wird deutlich, wie unübersichtlich das Geflecht der Akteure ist.

Anhand von Alltagsbeispielen beleuchtet Mansour, wie deren kleinere Etappensiege aussehen. Soziale Angebote wie Nachhilfe- und Koranschulen etwa sind für muslimische Jugendliche niedrigschwellig erreichbar, eine unduldsame islamische Identität erscheint vielen noch immer attraktiver als der oft steinige Weg in die schönwetterliberale deutsche Mehrheitsgesellschaft. Mansour zeigt Verständnis für diesen Pfad – aus eigener Erfahrung. Seine Jugend schildert er dramatisch: Der von Mitschülern gemobbte Sohn eines frustrierten arabischen Nationalisten aus der zentralisraelischen Kleinstadt Tira fand Anschluss bei Muslimbrüdern, um sich im weltlichen Tel Aviv schließlich aus dem engstirnigen »Buchstabenglauben«
zu befreien.

In »Operation Allah« wird aber eher mäandert als differenziert: Seine Rede von der islamistischen »Unterwanderung« relativiert Mansour sofort wieder, um dem Überfremdungsgerede des rechten Randes kein Futter zu geben. Zunächst nährt er eine grundliberale Aufstiegserzählung: Öffneten sich Muslime dem westlichen Pluralismus, dann zeigten sich befreiende Wege gegen islamistische Desintegration. Aber anders als viele Liberale und Konservative weiß Mansour, darin Grünen und Linken nahe, dass alltäglicher Rassismus ein Hindernis ist, um den postmigrantischen »German Dream« zu verwirklichen.

Als Vertreter der Mitte ist Mansour bemüht, nicht allzu sehr anzuecken. Erst plädiert er überzeugend für einen säkularen Staat in einer multireligiösen Gesellschaft, dann fordert er eine pragmatische Moschee-Steuer, damit die ausländische Finanzierung von islamischen Verbänden wie der türkischen DITIB aufhört. Auf umsichtige Vorschläge für eine konsequent religiös neutrale Islamismus-Prävention folgt die Forderung, alle Projektmitarbeiter geheimdienstlich überprüfen zu lassen – was aber kein neuer »Radikalenerlass« sein solle.

Kaum zur Sprache kommen in seinem Buch Armut und ökonomische Unsicherheit unter Muslimen, die der Agitation des islamischen Autoritarismus so sehr entgegenkommen. Das ist kein besonderes Versäumnis des Autors. Zwischen Law and Order, toleranter Wurschtigkeit und kulturrelativistischer Nachsicht für Islamismus gibt es im Diskurs wenig. Ökonomieblindheit ist ein systemisches Problem, auch in der staatlich finanzierten Islamismusprävention, an der Mansour beteiligt ist. Dessen Mäandern in der Mitte mag unbefriedigend sein, von der Linken jedoch ist währenddessen, Empörung über Erdoğan ausgenommen, wenig zu vernehmen.

Ahmad Mansour: Operation Allah. Wie der politische Islam unsere Demokratie unterwandern will. S. Fischer, 176 S., geb., 21 €.

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