Kulturelle Aneignung: Die Bauchtasche als Schwarzes Symbol

Aktivist*innen kritisieren »Antifa-Macker mit Drogendealer-Bauchbeutel«

Bauchtaschen scheinen Kriminalität magisch anzuziehen. Wer im Wortschatz Dienst der Universität Leipzig nach ihr sucht, findet bei den Verwendungsbeispielen erstmal nur Meldungen, in denen Bauchtaschenträger*innen entweder einer Straftat verdächtigt werden oder deren Opfer wurden. Einen besseren Ruf als die Bauchtasche genießt dagegen der Geldgürtel. Er kommt häufig als Sicherheitstipp in Texten vor.

Doch zurück zur Bauchtasche. Manchmal werden in ihr Drogen gefunden, manchmal sind ihre Träger*innen Schwarze Menschen. Auf Indymedia reklamieren Aktivist*innen in einem Beitrag nun sogar die Bauchtasche als »Schwarzes Symbol«. Weiße Typen, die »wie selbstverständlich Hip Bags oder Gürteltaschen tragen, gehören weiter zum Alltag«, heißt es in dem Text. »Antifa-Macker« liefen »mit dem Drogendealer-Bauchbeutel quer über die Brust auf die Demo und zum antifaschistischen Kampf, ohne sich der Bedeutung bewusst zu sein.« Für die Autor*innen ein Zeichen mangelnder Reflexion. Nach der Ausladung der Dreadlocks tragenden Sängerin Ronja Maltzahn bei einer Demo von Fridays for Future habe es »zeitweise« etwas »Bewusstsein« für das eigene Weißsein gegeben. Ein wirklich selbstkritischer Blick sei aber ausgeblieben.

Brust und Gürteltaschen, von den Autor*innen des Indymedia-Textes auch Funny-Bag, Belly-Bag oder Buffalo-Pouch genannt, würden von Weißen oft als »alternativer Modetrend« gesehen, bei Schwarzen sei es hingegen so, dass die Träger*innen von der weißen Mehrheitsgesellschaft oft rassistisch als »drogentypisch« oder ähnliches abgewertet und damit diskriminiert würden. Weiße würden sich Schwarze Symbole aneignen und dann »Aufmerksamkeit und/oder Bewunderung« für ihren »Mut« und ihre »Extravaganz« erhalten. Die Umdeutung und Besetzung mache Schwarze Symbole lächerlich. Weiße könnten sich aus »jeder Kultur bedienen und trotzdem am Drücker sitzen«. Dies fänden viele Schwarze Deutsche nicht witzig, und hätten deshalb auch keine Lust, zur »Drogen-Dealer-Bauchtasche vom Laufsteg zu gratulieren«.

Dass Schwarze mit Gürteltaschen institutionellem Rassismus ausgesetzt sind, ist richtig. Für Polizist*innen sind diese Taschen »Dealerbeutel«, sobald eine Schwarze Person sie trägt. Ob die Gürteltasche aber wirklich als »Schwarzes Symbol« gelten kann, ist fraglich. Ausführliche kulturhistorische Arbeiten zur Gürteltasche fehlen bislang. Wikipedia hat im Beitrag zur »Tasche« immerhin den Punkt Bauchtasche. Neben Hinweisen auf ihre zahlreichen lokalen Namen und die Arten, wie man sie tragen kann, ist zu erfahren, dass sie »schon lange beim Skifahren zum Einsatz« kommen. Als modisches Accessoire sei die Bauchtasche seit den frühen 1990er Jahren beliebt.

In einem Beitrag mit dem Titel »Das Ränzlein wacker umgeschnallt. Das Comeback der Nierentasche«, auf den Wikipedia verweist, macht sich der Wiener Journalist Bruno Seiler schon 1995 über Bauchtaschenträger*innen lustig. Die »Tourengeher im Asphaltdschungel« hätten die Taschen als »letzten Schrei wiederentdeckt«. Das richtige Ding für diejenigen, denen der Rucksack zu »alltäglich« geworden sei.

Gräbt man weiter in der Geschichte der Gürteltasche, landet man zumindest in der deutschsprachigen Wikipedia, bei den oben schon erwähnten Geldgürteln. Diese gibt es seit dem Mittelalter, sie wurden von denjenigen getragen, die unterwegs viel Geld bei sich haben mussten. Das wäre in der Nutzung immerhin eine Verbindung zu heutigen Dealer*innen.

Nun wurden Gürteltaschen sicherlich auch jenseits des europäischen Mittelalters genutzt. Und viele Praxen kultureller Aneignung werden mit guten Gründen kritisiert. Ob die Bauchtasche als Kristallisationspunkt in dieser Auseinandersetzung taugt, daran kann man jedoch erhebliche Zweifel haben.

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