»Über Koalitionen wird schon 2024 diskutiert werden«

Politologe Bernhard Weßels über die Etablierung der AfD und was das für kommende Landtagswahlen bedeutet

Sie schreiben in Ihrer Studie, die Alternative für Deutschland (AfD) habe sich konsolidiert. Ist auf dem Magdeburger Doppelparteitag also nicht mit großem Streit zu rechnen?

Nein, denn der Weg der Rechten hat sich auch in der Führung durchgesetzt. Das war zunächst anders, da gab es beim Führungspersonal ein Gleichgewicht zwischen Rechten und Moderaten, etwa zwischen Bernd Lucke und Frauke Petry oder später zwischen Jörg Meuthen und Alexander Gauland. Aber man weiß bei der AfD nie, ob nicht doch etwas auf die Tagesordnung kommt, wie viel weiter es aufgrund der radikalen Deligierten noch in die extreme Ecke geht.

Mit welcher Strategie wird die AfD nächstes Jahr in die wichtigen Wahlen vor allem in Ostdeutschland gehen?

Sie hat bisher sehr geschickt sowohl moderate als auch radikale wie extreme Kräfte angesprochen, auch durch ihre personelle Aufstellung. Es wird allerdings in Ostdeutschland wohl sehr viel stärker nach rechts gehen. Schon bei der letzten Bundestagswahl hat in Thüringen und Sachsen bis zu ein Viertel der Wählerinnen und Wähler die AfD gewählt. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Strategie eher in Richtung einer weiteren Radikalisierung gehen wird. Die vielfältigen Krisen bieten viele Ansatzpunkte, um zu emotionalisieren, Ängste zu schüren und so Anhänger hinter sich zu versammeln.

Welche Erklärung haben Sie für den bisherigen Erfolg der AfD, besonders im Osten?

Ich glaube, das hat sehr viel damit zu tun, dass in Ostdeutschland das Benachteiligungserleben stark ausgeprägt ist. Zwar geht es den meisten ökonomisch besser als zu Zeiten der DDR. Aber die Einkommens- und Vermögensunterschiede zum Westen sind sehr groß. Das Benachteiligungsgefühl wurde zunächst von der PDS bzw. der Linken bedient. Inzwischen hat die AfD diese Rolle übernommen. Möglicherweise hat es mit der Erfahrung der Diktatur zu tun, und die DDR hat weniger Erfolge im Bereich des Antifaschismus erzielt, als dass sie den Autoritarismus gefördert hat.

Und warum kann Die Linke aus Ihrer Sicht in ostdeutschen Bundesländern nicht mehr an frühere Erfolge anknüpfen?

Das ist erst einmal eine Frage der Angebotsstruktur. Es gibt ein Interesse an einer Partei, die versucht, sich neu zu etablieren und Benachteiligungserleben aufgreift. Wenn man dann bei einer solchen Partei eine größere Nähe zu den eigenen Einstellungen sieht, etwa beim Thema Migration, dann wählt man eher diese. Denn die Linke vertritt ja diesbezüglich einen menschenfreundlichen Kurs, und die AfD genau das Gegenteil. In Ostdeutschland ist die Angst vor Überfremdung extrem groß, obwohl da ja der Ausländeranteil immer noch vergleichsweise gering ist. Insofern ist nicht entscheidend, dass die Linke als etabliert angesehen wird, weil sie mitregiert. Zentral ist das neue Angebot. Man darf die AfD eben nicht nur als Protestwahlpartei sehen. Denn ungefähr 15 Prozent der Bürgerinnen und Bürger haben eine politische Orientierung, die mit dem Profil der AfD am stärksten übereinstimmt. Sie wählen sie also wegen ihres Profils und nicht, weil sie irgendwie unzufrieden sind.

Inhaltlich hat die AfD finanziell schlechter gestellten Menschen oder Kriegsgegnern wenig anzubieten. Ist Rassismus für viele Wähler*innen wichtiger als solche Leerstellen?

Die AfD vermag auf eine sehr geschickte Art und Weise, politische Forderungen zu emotionalisieren. Menschen fühlen sich von ihr angesprochen, weil sie Angst haben, ihre soziale Position zu verlieren, oder weil sie glauben, dass zu viele Ausländer ins Land kommen.

Unter den AfD-Wähler*innen sind viele Gewerkschaftsmitglieder. Welche Erklärung haben Sie dafür?

Das hat, glaube ich, sehr viel mit der Unzufriedenheit mit dem zu tun, was sozialdemokratische Politik ist. Außerdem sind gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer natürlich nicht frei von autoritären Politik- und Gesellschaftsvorstellungen. Warum die Gewerkschaften nicht in der Lage sind, dagegen anzutreten, ist mir auch nicht klar. Insgesamt haben die etablierten Parteien und Interessengruppen einschließlich der Kirchen in ihrer Gegenwehr gegen die AfD bisher eher versagt.

In jeder Ausgabe meiner Gewerkschaftszeitung finde ich Artikel gegen Rassismus, und Artikel, in denen darüber informiert wird, dass die AfD ein unsoziales Programm hat. Warum funktioniert diese Aufklärung nicht?

Die Gewerkschaften waren immer stark mit der SPD verbunden. Da hat aber eine Entfremdung stattgefunden. In dem Moment, wo die Gewerkschaften die Allianz zwischen sich und der Sozialdemokratie nicht mehr aufrechterhalten, empfinden die natürlich die SPD nicht mehr als besonders glaubwürdige politische Kraft. Und wenn es da dann eine Alternative gibt, die Vorurteile und Ängste anspricht, gehen sie da hin.

CDU-Chef Friedrich Merz hatte angekündigt, er werde den Zuspruch zur AfD halbieren. Das funktioniert bislang nicht, obwohl er und andere in der CDU sich der AfD rhetorisch angenähert haben. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe?

Zwischen den beiden ehemals großen Parteien muss so etwas wie eine positionelle Differenz sichtbar sein. Eine große Koalition wirkt dieser Sichtbarkeit entgegen. Insofern ist es natürlich im Grundsatz nicht verkehrt, wenn die CDU ihre Differenz zur SPD wieder hervorheben will. Dass der Weg aber in Richtung Rhetorik der AfD geht, halte ich für einen großen Fehler. Die Union kann Themen wie Migration, Inflation oder Corona nicht in gleicher Weise emotionalisieren wie die AfD. Das trägt ihr jetzt schon die Kritik der traditionell konservativ oder liberal eingestellten Wählerschaft ein. Und es wird ihr auch nicht abgenommen werden, weil die AfD zuerst da war und damit viele Erfolge erzielen konnte. Außerdem: Wenn man unsere humanitären Grundwerte verletzt oder angreift, muss man sich nicht wundern, wenn dadurch bei potenziellen AfD-Wählern der Eindruck entsteht, die rechtspopulistische Partei sei gar nicht so schlimm.

Wann wird auf Landesebene das erste Mal ernsthaft über Koalitionen mit der AfD diskutiert werden?

Das wird schon 2024 sein. Wenn die Wahlen so ausgehen, wie das momentan in den Umfragen aussieht, dann wird die Diskussion in den Landesverbänden geführt werden. Die CDU ist in Ostdeutschland einerseits weiter rechts platziert als im Westen. Zudem wird von dort vermutlich das Argument kommen, die Alternative für Deutschland zu integrieren sei die beste Möglichkeit, sie zu mäßigen. Dass es aber 2024 tatsächlich bereits zu Koalitionen kommt, halte ich für unwahrscheinlich.

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