Putschversuch in Niger: Bundeswehr über Nacht ohne lokale Partner

In der deutschen Afrika-Strategie war Niger als »Stabilitätsanker« und Logistikbasis vorgesehen. Diese Pläne sind nach dem Coup hinfällig

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Der aktuelle Militärputsch in Niger reiht sich ein in eine Kette ähnlicher Prozesse – 2020 und 2021 in Mali, 2021 in Guinea und Tschad, 2022 in Burkina Faso. Die Angst war zuvor bereits groß, dass dieser Prozess auch auf Niger übergreifen könnte. Daher verstärkten die EU und vor allem Deutschland das Engagement. Niger, so sagte Bundeskanzler Olaf Scholz 2022 in der Hauptstadt Niamey, sei der »Stabilitätsanker« in Afrika. An gleicher Stelle hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius – wie Christine Lambrecht, seine Vorgängerin im Amt – die gute Zusammenarbeit zwischen den Streitkräften beider Länder gelobt. Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze hatte ebenfalls vor Ort einen neuen, gesamtgesellschaftlichen Ansatz bei der deutschen Hilfe versprochen.

Die drei SPD-Minister stehen nun vor einem Desaster, ebenso wie die Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU, die gleichfalls vom Putsch überrascht wurde. Sie spielte jahrelang eine sehr undurchsichtige Rolle bei der Stärkung der Sicherheitsstrukturen in der Sahel-Region und speziell in Niger. Bereits unter der Regentschaft von Angela Merkel hatte man eine Art Sahel-G-5-Sicherheitsstrategie entwickelt. Mit deren Hilfe wollte man staatenübergreifende Strukturen schaffen, um die ebenso militanten wie mobilen islamistischen Gruppierungen besser zu bekämpfen. Zugleich hoffte man auf eine Art Aufbauwunder, um den deutlichen chinesischen und vor allem den russischen Machtansprüchen in Afrika zu begegnen. Willkommener Nebeneffekt: die Kontrolle der wichtigsten Flüchtlingsrouten nach Europa.

Nigers Armee hat wesentlich von dieser Zusammenarbeit mit Deutschland und der EU profitiert. Daraus nährte sich auch in Berlin die Hoffnung, dass die Truppe loyal zur gewählten Regierung steht. Bis 2022 lief in Niger die deutsche Ausbildungsmission »Gazelle«. Kampfschwimmer der Deutschen Marine – der Verband ist mit dem KSK des Heeres vergleichbar – trainierten seit 2018 das 41. Bataillon Special d’Intervention in der Garnison von Tillia. Man lieferte allerlei Ausrüstung und begleitete die Truppe bei Kampfeinsätzen. In einer Grauzone, ohne Mandat des Bundestages. Als die Sache 2020 aufflog, ordnete die Regierung in Berlin die Niger-Mission einfach in die EUTM-Mission im benachbarten Mali ein. Diese begann 2013 und endete Anfang 2023.

Auch die deutsche Beteiligung an dem UN-geführten Minusma-Einsatz, der gleichfalls 2013 begann, wird Ende des Jahres enden. Insgesamt waren 24 500 deutsche Blauhelme beteiligt. Im Mai hatte der Bundestag das Ende ihres Einsatzes beschlossen, nachdem die in Mali herrschende Putschisten-Regierung, die sich auf den »Schutz« russischer Wagner-Söldner stützt, unmissverständlich einen Abzug der deutschen Truppen gefordert hatte. Derzeit sind noch rund 1100 Bundeswehrangehörige in Gaoim Nordosten Malis stationiert. Der Abzug birgt viele Gefahren. Er soll keinesfalls – wie in Afghanistan – in einer Flucht ausarten. Auch will man kein verwendbares Gerät und sonstiges Material hinterlassen. Die Vorstellung, russische Söldner könnten demnächst in deutschen »Dingos« Patrouille fahren, sorgt in Berlin für Alpträume.

Niger könnte als einer der größten Truppensteller bei Minusma den Deutschen Sicherheit beim Abzug aus Mali gewähren. Rund 100 deutsche Soldatinnen und Soldaten sind aktuell dort im Einsatz. Momentan, so das Verteidigungsministerium, seien sie sicher. Ändert sich das, wolle man Frankreich, das mit starken Kampfkontingenten vor Ort ist, um Hilfe bitten.

Wie sich der Abzug aus Mali ohne die Logistikmöglichkeiten in Niger gestalten lässt, ist bislang völlig offen. Doch nicht nur dieses Problem bedrückt die Afrika-Strategen des Verteidigungsministeriums. Sie hatten geplant, das Land zur neuen Basis für die Durchsetzung deutscher Sicherheitsinteressen in Afrika zu machen. Die Überlegung war einfach: Wenn man durch die Eingangstür in Mali nicht vorankommt, nutzt man den Nebeneingang Niger.

Die Zeit großer Truppenaufmärsche von EU-Staaten in Afrika – siehe Mali – seien vorbei. Die Bundeswehr wollte, so war zu hören, in Niger »minimalinvasiv« vorgehen. Partnerschaft sei allemal klüger als eine eigene Stationierung. Zumal man die Kräfte inzwischen an der Nato-Ostflanke braucht. In Berlin sprach man davon, die Erfahrungen aus der Mission »Gazelle« zu nutzen und eine »Ausbildung+« zu kreieren. Neben dem deutschen Drill an noch zu errichtenden Militärschulen sollten Bundeswehrausbilder bei Kampfeinsätzen ihrer »Azubis« dabei sein. Diese Hilfe sollte ressortübergreifend erfolgen, man wollte das Außenamt, das Bundesinnen- und das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit im Boot haben. Wie es nun weitergeht, ist offen.

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