Mariette Rissenbeek: Keine weiteren Kürzungen bei der Berlinale

Die Berlinale streicht für 2024 Filme und Sektionen. Ein Gespräch mit der Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek zum Sparplan des Festivals

  • Interview: Susanne Gietl
  • Lesedauer: 6 Min.

Im Vorfeld der diesjährigen Berlinale war davon die Rede, dass das Filmfestival wirtschaftlich gut dastehe. Was ist in der Zwischenzeit passiert?

Nach zwei Jahren Pandemie mussten wir 2023 erst mal zeigen, dass die Berlinale nach wie vor ihre Strahlkraft beim Publikum, bei der Branche und bei der Presse hat. Das hat im Februar total gut geklappt. Es war für mich ein Best-Case-Ergebnis. Wir hatten tolle Gäste auf dem roten Teppich, wir haben 327 000 Karten verkauft, und es gab ein sehr vielseitiges Programm. Für 2023 hatten wir zudem eine einmalige Sonderförderung vom BKM (Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien) bekommen.

2024 reduzieren Sie die Anzahl der Filme von 287 auf 200, die Programmreihe Berlinale Series und die von Dieter Kosslick eingeführte Sektion Perspektive Deutsches Kino streichen Sie. Warum dieser radikale Schritt?

Bei den Vorbereitungen für die nächste Berlinale haben wir festgestellt, dass durch ein Preissteigerungsniveau von 7 Prozent das benötigte Berlinale-Budget von 32 Millionen sehr stark steigt. Es war sehr klar, dass man das Budget nicht jedes Jahr um drei, vier, fünf Millionen erhöhen kann. Also mussten wir über unsere Struktur nachdenken. 2020 hatten wir bereits die Filmanzahl reduziert. Die Sektion Perspektive Deutsches Kino umfasste in der Regel acht bis zehn Filme. Es ist aus unserer Sicht eine gute Option, die Sektion aufzulösen, um die deutschen Nachwuchsfilme in den bestehenden Sektionen zu zeigen. Die Kürzungen sind eine Weiterführung der allerersten Veränderungen, die wir 2020 vorgenommen hatten. Wir haben überlegt: Wo standen wir 2020 – und wo wollen wir jetzt hin?

Wie positioniert sich die Berlinale international?

Im Vergleich zu anderen Festivals wie Cannes oder Venedig ist die Positionierung ziemlich klar. Unser Alleinstellungsmerkmal als Publikumsfestival ist sehr deutlich. Wir finden in einer Großstadt statt und haben dadurch auch ein riesiges Publikum, das sehr unterschiedliche Interessen hat. Deshalb leisten wir uns ein sehr breit gefächertes Programm. Das sieht man in der Form bei den anderen beiden Festivals nicht: Cannes hat nur Fachpublikum und Venedig hat ein kleineres Publikum. Die Zahl der Filme ist dort nicht so groß wie in Berlin.

Das Filmfest München fördert das deutsche Kino mit einer eigenen Sektion, die Berlinale verabschiedet sich von der Perspektive Deutsches Kino. Sollte man als internationales Festival in Deutschland nicht den deutschen Film eher stärken?

Die Berlinale ist ein internationales Festival mit vielen Weltpremieren. Das Münchner Filmfest zeigt internationale Filme, die meist schon bei anderen Festivals gelaufen sind. Den deutschen Film hatten wir dieses Jahr allein mit fünf Wettbewerbsfilmen im Programm. Das hat auch zu einer gewissen Irritation bei der Presse geführt. Einige haben kritisiert, dass wir so viele deutsche Filme in den Wettbewerb aufgenommen haben. Wir haben den deutschen Film durchaus auch in anderen Sektionen sehr gewürdigt; der deutsche Film ist seit vielen Jahren bei der Berlinale sehr präsent. Das wird sich auch nicht ändern.

Bekommt der deutsche Film ohne die Perspektive genug Aufmerksamkeit?

Ich sehe darin eher eine Chance. Deutsche Nachwuchsfilme konkurrieren künftig im Wettbewerb, in Encounters, Generation, Forum oder im Panorama, mit internationalen Produktionen und bekommen dadurch eine größere Aufmerksamkeit von der internationalen Filmbranche oder von der internationalen Presse. Man muss schon sagen, dass die Filme, die in der Perspektive Deutsches Kino gelaufen sind, oft eher die deutsche Branche angesprochen haben und weniger die internationale.

Wie gewährleisten Sie, dass der deutsche Nachwuchsfilm genug Platz bekommt? Die Sektionen haben ja nicht unbegrenzt viel Platz für das deutsche Kino.

Wir sind diesbezüglich mit Verbänden, Hochschulen und anderen Institutionen im Gespräch und auch mit der ehemaligen Leiterin der Perspektive im Austausch. Aktuell gibt es so viele Ideen, dass man sich erst mal sortieren muss.

Serien integrieren Sie in die Sektion Berlinale Special Gala.

Mit der Präsentation von Serien als Berlinale Special Gala können außergewöhnliche Serien noch stärker ins Rampenlicht gerückt werden. Die Frage ist zudem, ob Zuschauerinnen und Zuschauer, die eine Serie in einer gesonderten Serien-Programmreihe gucken, auch zu anderen Berlinale-Vorführungen gehen. Wir haben schon in der Vergangenheit gelegentlich Serien im Berlinale-Special gezeigt, zum Beispiel vor einigen Jahren die Doku-Serie »Hillary«. Damals kam Hillary Clinton auch zur Berlinale.

Welche Kürzungen sind noch zu erwarten?

Wir werden vor allem intern schauen, wie wir Prozesse vereinfachen oder wo wir Doppelstrukturen auf einen Nenner bringen können, aber weitere radikale Kürzungen wie die genannten wird es nicht geben.

Durch die Baustellensituation wird das Festivalzentrum am Potsdamer Platz immer wieder infrage gestellt. Warum halten Sie daran fest?

Man braucht ein bestimmtes Setting für ein Festival. Der Potsdamer Platz liegt im Zentrum von Berlin und ist für alle gut erreichbar. Wir haben den Berlinale-Palast mit 1600 Plätzen, das Pressezentrum liegt gleich um die Ecke im »Hyatt«. Der European Film Market befindet sich im fußläufigen Abstand im Gropius-Bau, und es gibt viele Hotels in der Gegend, sodass wir viele Filmgäste unterbringen können.

Im Netz kursieren Vorschläge, das ICC zu nutzen.

Aber das ICC ist nicht betriebssicher! Da müsste erst mal eine halbe Milliarde investiert werden. Als die Berliner Festspiele dort 2021 das Kunstfestival »The Sun Machine Is Coming Down« veranstalteten, war es ein Riesenaufwand. Man musste zum Beispiel Personal an die Notausgänge stellen, weil die Notausgänge nicht markiert sind. Damals lag die maximale Besucherzahl bei 1000 Leuten. Bei uns gehen jeden Tag Tausende Menschen ein und aus. Eine weitere Konstellation, wie wir sie am Potsdamer Platz haben, sehe ich nicht in Berlin. Da müsste man schon sehr darüber nachdenken, wo man sonst hingehen könnte.

Im März haben Sie verkündet, dass Sie sich aus der Geschäftsleitung der Berlinale verabschieden. Warum genau jetzt? Sie könnten doch auch sagen: Jetzt krempeln wir die Ärmel hoch und machen weiter.

Wie man weiß, habe ich das rentenfähige Alter bereits erreicht. Ich möchte das Feld für die nächste Generation öffnen. Es braucht vielleicht jemanden, der jünger ist und neue Ideen und Ansätze hat, die langfristig angegangen werden müssten.

Werden Sie Ihre Nachfolge in ihrer Aufgabe unterstützen?

Ich stehe auf jeden Fall zur Verfügung. Die Berlinale ist mir sehr wichtig, und es ist mir auch ein Anliegen, dass die Berlinale in guten Händen ist. Wenn mein Rat in irgendeiner Form gebraucht wird, bin ich auf jeden Fall gerne bereit. Ich möchte, dass der Übergang gut vonstattengeht.

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