Hartmut Rosa über Heavy Metal: Umarmung Unberührbarer

Hartmut Rosa schreibt eine kleine Soziologie des Heavy Metal

  • Niels Penke
  • Lesedauer: 6 Min.
James Hetfield (Mitte rechts) sagte über die Musik von Metallica: »Es ist zu laut? Es muss laut sein, ihr sollt es überall spüren.«
James Hetfield (Mitte rechts) sagte über die Musik von Metallica: »Es ist zu laut? Es muss laut sein, ihr sollt es überall spüren.«

Wer einmal eine Großtheorie aufgestellt hat, kann diese auf alles anwenden. In der Soziologie gilt dies besonders für Niklas Luhmann und seine Sozialen Systeme, aber auch Hartmut Rosa hat mit seiner Arbeit über Resonanz (2016) eine solche Großtheorie vorgestellt, auf deren Fundament auch sein neues Buch über Heavy Metal aufbaut.

Dies ist ebenso naheliegend wie plausibel, wer eine Affinität zum Metal besitzt, weiß, dass es sich um ein Phänomen handelt, das starke Resonanzerfahrungen ermöglicht. Damit leistet Metal für viele Individuen in (nicht nur, aber vor allem) westlichen Gesellschaften, was tendenziell immer seltener wird: Verbindungen, »Berührungen« und große positive Gefühle. Wie Metal dies vermag und wie es sich konkret anfühlt, derart berührt und eingemeindet zu werden, führt Rosa auf knapp 180 Seiten aus. Ergänzt wird der resonanztheoretische Ansatz um persönliche Erfahrungen und eine Expertise aus über vierzig Jahren eigenen Metalhörens, Plattenkaufens und Konzertebesuchens.

Es ist daher ausdrücklich kein wissenschaftliches Buch, sondern eine »Selbstdeutung aus Fansicht und Fanerleben«, eine Art Autoethnographie also. Gegenüber den empirisch ausgerichteten soziologischen Arbeiten von Deena Weinstein (»Heavy metal. A cultural sociology«, 1991) oder Sarah Chaker (»Schwarzmetall und Todesblei. Über den Umgang mit Musik in den Black- und Death-Metal-Szenen Deutschlands«, 2014) bezieht Rosa nur behutsam statistische Daten mit ein, der Schwerpunkt liegt auf sozialen Energien und kollektiver Praxis sowie auf (im weitesten Sinne) religionssoziologischen Ausführungen, die stark durch den autobiografischen Ansatz geprägt sind und durch Überlegungen zu einer Phänomenologie des Metal flankiert werden.

Für Szene- und Genrefremde ist Rosas Darstellung auch dadurch nachvollziehbar, dass er fortlaufend Begriffe erläutert und Bands, ihre Alben und Songs jeweils kurz vorstellt. Im Fokus steht dabei eher der klassische Heavy Metal und verwandte progressive Spielarten, weniger die extremen Formen (die aber auch gelegentlich angesprochen werden).

Auch wenn es bei mir erst knapp dreißig Jahre sind (und die favorisierten Bands größtenteils andere), kann ich Hartmut Rosa in vielen der beschriebenen Einschätzungen und Deutungen zustimmen. Den Texten aber würde ich sowohl auf Ebene des Songs als auch darüber hinaus (Album, Band, Genre) nicht ganz so leichtfertig ihre Bedeutsamkeit nehmen, weil sie häufig als Resonanzverstärker wirken – ob Iron Maiden, Metallica oder Blind Guardian – ohne die Texte, die Tausende auswendig kennen und mitsingen, wäre die Konzerterfahrung stets eine andere, vermutlich eine weit weniger resonanzstarke.

Dass die intensive Erfahrung des Musikhörens aber vor der kognitiv fassbaren Bedeutung steht, lässt sich bestätigen. Denn erst aus der wiederholten Erfahrung und der Häufung besonderer Momente erwächst jene Ernsthaftigkeit, die viele Fans und Szeneangehörige eine Art Lebensbund mit »ihren« Bands eingehen lässt. Aus der »Koevolution« individueller Lebens- und Bandgeschichten entsteht jene Kontinuität, die der Musik als »Soundtrack des Lebens« eine lebensbegleitende Rolle zuweist.

Auch wenn es nicht zwingend die säkularisierten Begriffe braucht – etwa, wenn Konzerte und Festivals als »Pilgerorte« beschrieben werden oder das Live-Erlebnis als »Epiphanie« einer größeren »Macht« erscheint – wird plastisch nachvollziehbar, dass Resonanzerfahrungen diese oft jahrzehntelangen Bindungen befördern. Erhabenheitsgefühle, Gänsehaut und Tränen des Glücks über die ansonsten seltene Erfahrung, am richtigen Ort zu sein und dabei eine Verbundenheit im umfassenden Sinne zu spüren, über die Musik, die in einem selbst wirkt, mit der Band auf der Bühne und den vielen Hunderten oder Tausenden vereint zu sein, die sich ebenfalls am richtigen Ort empfinden – diese Erfahrung will wiederholt werden.

Das perfekte Riff oder Solo ist die Ahnung davon, was Metal zu bewirken vermag – wenn nichts diese Erfahrung überlagert oder verhindert. Rosa beschreibt dieses »Resonanzgeschehen« als zweiteilig, als Umarmung und Transzendenz, einem Nahgefühl, umschlossen und wohlgeborgen zu sein, und einem Transzendenzgefühl als Ahnung, dass da doch noch mehr ist, jenseits des Alltags und seiner Sachzwänge. Darin erkennt er ein utopisches Moment, denn »Metal berührt in einer immer stärker berührungslosen Gesellschaft unmittelbar leiblich« und wirkt als Aufschein einer anderen Form von Gesellschaft und des sozialen Umgangs – und vermag zumindest temporär »Risse« und »Entfremdung« zu kompensieren, ohne das gesellschaftliche Ganze über Gebühr zu kritisieren oder dagegen aufzubegehren (über die eher wenigen ausdrücklich linken Metal-Bands und ihre Szenen wäre ein anderes Buch zu schreiben).

Metal bietet daher eine »ontologische« wie »therapeutische Sicherheit«. Diese These ließe sich noch um den inhärenten Konservatismus des Metals erweitern. Dieser äußert sich nicht zuletzt darin, dass fast alle der Bands und Musiker, die Rosa als Jugendlicher kennen und schätzen lernte, immer noch mit derselben (oder zumindest recht ähnlichen) Musik unterwegs sind.

Nicht zu leugnen sind die manifesten Krisen Mitte der 1990er Jahre, in denen der Metal vorschnell für »tot« erklärt wurde, aber diese Abgesänge haben Metal insgesamt nur stärker (und in punkto Erfolg größer) werden lassen. Dieser »Tod« des klassischen Metals hat zudem eine stilistische Vielfalt befördert, von der anzunehmen ist, dass sie von anderen Enthusiasten in derselben Weise beschrieben wird wie die frühen achtziger Jahre von Rosa.

Ein weiterer frappierender Punkt an einer soziologischen Betrachtung des Heavy Metal ist, dass die einstmals dafür in Rezeption wie Aufführungspraxis zuständigen proletarischen Jugendlichen (wie im Birmingham um das Jahr 1970, als der Metal durch Black Sabbath und einen Unfall an der Stahlpresse begründet wurde) den aufstrebenden Mittelklasse-Milieus gewichen sind, deren Horizont über Freude am Krach und gemeinsames Biertrinken insofern hinausgeht, dass diese akademische Ressourcen erworben haben, mit denen sich über die (eigene) Wahrnehmung von Heavy Metal anders nachdenken lässt und Bücher wie dieses – und viele andere, die es mittlerweile zu allen möglichen Aspekten des Metals gibt – erst hervorbringt. Anregend ist Rosas Buch über »Monstren« und »Engel« jedoch allemal.

Wem das trotz allem zu soziologisch und wissenschaftlich anmutet, versuche es alternativ mit Ernie Fleetenkiekers »Metalmanifest« (Index Verlag), einer ebenfalls kürzlich veröffentlichten »Selbstdeutung«, in der es um andere Spielarten des Metals geht, an deren Darstellungen sich wiederum vieles von dem bestätigen lässt, was Hartmut Rosa in seinem Buch ausführt. Worin sich beide Bücher ähneln, ist die Erfahrung von Glück in einer biografischen Identität, die daraus resultiert, dass sich das jugendliche Ich angesichts der vielfältigen populärkulturellen Stil- und Szeneverbünde für das wahrscheinlich zufriedenstellendste Angebot entschieden hat und das diese lebenslange Zugehörigkeit und konstante Freude an der selbstähnlichen Musik ermöglicht hat.

Hartmut Rosa: When Monsters Roar and Angels Sing. Eine kleine Soziologie des Heavy Metal. Kohlhammer, geb., 187 S., 20 €.

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