Myanmar: Von Entspannung keine Spur

Myanmars Militärregierung versucht Normalität vorzuspielen, davon ist das Land aber weit entfernt

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 4 Min.

Noch steht eine offizielle Bestätigung aus. Aber in Myanmar macht die Nachricht die Runde, die beim Putsch der Militärführung unter General Min Aung Hlaing am 1. Februar 2021 als Regierungschefin entmachtete und zu mehreren Jahrzehnten Gefängnis verurteilte Aung San Suu Kyi sei von der Einzelhaft in Hausarrest verlegt worden. Die 78-Jährige hat auch erstmals ausländischen Besuch erhalten: Schon am 9. Juli soll dem thailändischen Noch-Außenminister Don Pramudwinai ein Treffen mit der Friedensnobelpreisträgerin gestattet worden sein. Eine anonyme hochrangige Quelle aus Suu Kyis früherer Regierungspartei, der Nationalen Liga für Demokratie (NLD), verwies gegenüber der Nachrichtenagentur AFP zudem auf ein mutmaßliches Treffen mit dem chinesischen Sondergesandten Deng Xijun.

Beobachter bewerten dies als Alibimaßnahmen des Regimes, um ein wenig von dem internationalen Druck zu mindern, der auf ihm lastet. Dieses Prinzip hat schon zu früheren Diktaturzeiten funktioniert, als Suu Kyi insgesamt 17 Jahre in Unfreiheit zubrachte. Die Tochter des Unabhängigkeitshelden Aung San galt damals bisweilen als prominenteste politische Gefangene der Welt.

Ausnahmezustand verlängert

Die Entlassung Aung San Suu Kyis in den Hausarrest steht exemplarisch für das doppelte Spiel der Militärjunta. Am Montag verlängerte sie den Ausnahmezustand um weitere sechs Monate. Zugleich bemmüht sie sich, ein Bild der Entspannung und Normalität zu zeichnen. So sollen laut offiziellen Angaben derzeit wieder 6 Millionen Schüler*innen den Unterricht besuchen, ein weiterer Anstieg gegenüber bereits 5,2 Millionen 2022. Beim Ende des Corona-Lockdowns waren es zum Neustart im November 2021 nur 2,3 Millionen. Viele Eltern boykottierten damals aus Sympathie mit der zivilen Widerstandsbewegung die staatlichen Schulen – zumal viele der demokratisch eingestellten Lehrkräfte verhaftet oder untergetaucht waren.

Dass wieder mehr Kinder in die Schule gehen, hat laut »Myanmar Now«, eines der online noch aktiven unabhängigen Medien, zwei Gründe. Zum einen übt die Staatsmacht Druck auf viele Familien aus, zum anderen wollen Eltern verhindern, dass ihre Söhne und Töchter nach mehr als zwei Jahren ganz den Anschluss verlieren. Zwar bietet die demokratisch-zivile Schattenregierung der Nationalen Einheit (NUG) Online-Unterricht, oft ist aber die Internetverbindung ein Hindernis.

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Im Land herrscht faktisch Bürgerkrieg

In vielen Gebieten Myanmars kann von so etwas Alltäglichem wie Schulbesuch ohnehin nicht die Rede sein: Im Land tobt de facto ein Bürgerkrieg. Meldungen über Kämpfe und Tote gibt es jeden Tag. Vielerorts sind Menschen auf der Flucht, um zumindest das nackte Überleben zu sichern, andere harren schon länger in Notunterkünften aus. An der Peripherie, wo die meisten der insgesamt 135 anerkannten Minderheiten leben, gibt es besonders häufig Luftangriffe der Armee auf Stellungen von ethnischen Rebellengruppen (Sammelbegriff EAO), von denen etliche mit der NUG und deren alternativen Streitkräften, den People’s Defence Forces (PDF), verbündet sind. PDF und diverse lokale Milizen sind auch in mehreren Gebieten der Bamar-Mehrheitsbevölkerung aktiv, kontrollieren inzwischen den größten Teil der zentralen Sagaing-Region.

Viele Territorien sind jedoch quasi Niemandsland – mal verbucht die eine, mal die andere Seite Geländegewinne. PDF und EAO überfallen erfolgreich Armeekonvois, zuletzt in der Vorwoche eine Flotte auf dem Irrawaddy-Fluss, während Junta-Soldaten und verbündete Paramilitärs derweil Dörfer heimsuchen, sogar buddhistische Mönche und christliche Anführer ermorden, um Rache zu üben oder Angst zu schüren. Zwar hat die Nordallianz, ein Bündnis mehrerer EAO, zuletzt mit der Junta Gespräche geführt – greifbare Ergebnisse gibt es aber nicht.

Der politische Westen hat das Regime mit Sanktionen belegt, doch aus China, Russland, Pakistan und Indien erhält Myanmar sogar Waffennachschub. Derweil ist selbst das regionale Staatenbündnis Asean mit seinen Vermittlungsbemühungen gescheitert, auch weil sich die zehn Mitglieder selbst nicht einig sind. Besonders pikant: Indonesien, eigentlich neben Malaysia und Singapur klarer Wortführer des »demokratischen Lagers«, will mit der Junta verbündete Firmen in die Großbaustelle seiner neuen Hauptstadt Nusantara investieren lassen, meldete das Nachrichtenportal »Eleven Myanmar«. Ein klarer Fall von Doppelmoral: Während man die Politik eines Regimes verurteilt, das inzwischen laut Gefangenenhilfsorganisation AAPP knapp 20 000 Menschen in Haft hält und mindestens 3850 getötet hat, ist das Geld willkommen.

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